Der 'Wonnemonat Mai' ist in der ersten Hälfte verregnet. Attraktiver als geplante Wanderungen im Pfälzer Wald und im Rheingau sind unter solchen Bedingungen Stationen unseres kulturellen B-Programms. Auf dem Weg nach Süden legen wir einen Zwischenstop am Arp Museum Rolandseck ein und besuchen die aktuelle Sonderausstellung 'Otto Piene - Alchemist und Himmelsstürmer'.(1) Die Besichtigung von Speyer bei zeitweiligem Sonnenschein lässt eine entgangene Wanderung im Pfälzerwald verschmerzen. Als Quartier der ersten Übernachtung wählen wir das angenehme Gästehaus Casa Palatina in Großkarlbach und speisen am Abend im Restaurant Winzergarten. - Fotoserie Großkarlbach
Nach Besuch des Weinguts Knipser(2) im Nachbardorf Laumersheim fahren wir am nächsten Morgen nach Ingelheim am Rhein, um die aktuelle Ausstellung der Internationalen Tage zu besuchen. Sehenswer!(3) Eine Autofähre setzt uns von Ingelheim in Rheinland-Pfalz über den Rhein nach Oestrich im hessischen Rheingau. Den Nachmittag verbummeln wir im Kloster Eberbach, bis wir um 17:00 Uhr ein Gästezimmer in Franz Kellers Adler-Wirtschaft in Hattenheim beziehen können, in der wir zum Dinner reserviert haben.
Ein Familienforschungs-Projekt weckt Erinnerungen der Kindheit und Jugendzeit an Aufenthalte in Ilbenstadt in der Wetterau. Auf der Rückreise begeben wir uns auf Spurensuche in Ilbenstadt. Die Weiterfahrt nach Köln unterbrechen wir noch einmal am Freilichtmuseum Hessenpark. Dauerregen verleidet einen Rundgang. Wir beschränken uns auf Einkäufe in der Bäckerei Schäfer und im Delikatessengeschäft Kömpel.
Speyer - Fotoserie
In Speyer legt das regnerische Wetter eine Pause ein. Mit der aufreißenden Wolkendecke erblüht die Stadt im sonnigen Licht. Den Rundgang durch die Stadt verbinden wir mit einem Besuch des Speyerer Doms, der seit 1981 als UNESCO-Weltkulturerbe gelistet ist und als weltweite größte erhaltene romanische Kirche gilt. Die Bedeutung von 'erhalten' ist jedoch diskussionswürdig.
Der salische König und spätere Kaiser Konrad II. beauftragte 1025 in einem damals überschaubaren Dorf den Bau der größten Kirche des Abendlandes. Das strategische Projekt ist vermutlich Konrads Kaiser-Ambitionen geschuldet. Fertiggestellt wurde der Dom erst unter Konrads Enkel Heinrich IV. im Jahr 1061. Dimensionen des Baus waren für Heinrichs eigene Ambitionen nicht ausreichend. Er ließ den Dom umbauen und erhöhen. 1106 waren die Arbeiten abgeschlossen.
In der Folgezeit zerstörten Brände und kriegerische Plünderungen mehrfach den Dom und seine historische Ausstattung. Unter Napoleon Bonaparte nutzten französische Truppen den Dom als Viehstall und als Materiallager. Ein Dekret von 1805 sah den Abriss des Doms vor, von dem zu dieser Zeit nur noch der Chor erhalten war. Das Langhaus war zerstört und vom Westbau stand nur noch eine Ruine. Mit der Sanierung des Doms im 19. Jahrhundert wurde das Langhaus erneuert, dabei Barockisierungen rückgängig gemacht und ein Westbau im neoromanischen Stil angefügt. Ob Maßnahmen der Rekonstruktion angemessen oder missglückt sind, ist unter Denkmalpflegern strittig. Wie auch immer, wir sind beeindruckt, obwohl die Krypta mit kaiserlichen Grablegen am Tag unserer Besichtigung nicht zugänglich ist. Für den Besuch der Krypta hätten wir 3,80 €/p.P. akzeptiert. 6 €/p.P. für den Turmaufstieg sind wir ebensowenig bereit zu zahlen wie 8,50 €/p.P. für einen Audioguide oder 12 €/p.P. für ein Kombitickett.
Franz Kellers Adler-Wirtschaft in Hattenheim - Fotoserie
Der Koch Franz Keller ist ein Abkömmling des Winzers Franz Keller. Das Weingut Franz Keller und das zum Weingut gehörende Hotel Schwarzer Adler am Kaiserstuhl zählen zu deutschen Spitzenbetrieben des Weinbaus und der Gastronomie. Franz Keller sr. schickte Franz Keller jr. zur Ausbildung als Koch in Betriebe französischer Hochgastronomie. Nach Rückkehr trieben Konflikte mit dem Vater den ehrgeizigen Junior hinaus zu italienischen Küchen. 1979 eröffnete Franz Keller in Köln 2 eigene Restaurants, "Kellers Keller" als Gourmetrestaurant und "Kellers Tomate" als Ableger für ein jüngeres Publikum mit Gourmet-Ambitionen. Neben dem mit 3 Michelin-Sternen ausgezeichneten Goldenen Pflug im rechtsrheinischen Köln-Mehrheim zählte "Kellers Keller" mit 2 Michelin-Sternen zur gastronomischen Spitze in Deutschland.(5) An diese Historie erinnert das beste Kölner Restaurant Le Moissonnier.(6) Inhaber Vincent und Liliane Moissonnier waren vor ihrer Selbständigkeit bei Franz Keller im Service tätig.
Max Grundig, Wirtschaftspionier der Nachkriegszeit, sammelte Hotels und wollte das Schlosshotel Bühlerhöhe zur Luxus-Hotellerie entwickeln. Er engagierte Franz Keller als Küchendirektor aller Hotel-Restaurants. Die Zusammenarbeit scheiterte krachend. Franz Keller entdeckte als Koch des Restaurants Kronenschlösschen den Ort Hattenheim im Rheingau. 1993 eröffnete Franz Keller in Hattenheim die Adler Wirtschaft mit einer Philosophie, die in der Gegenwart angesagt ist, aber vor mehr als 25 Jahren kühn war. Die Küche des Restaurants im Gasthaus-Stil ist regional-deutsch ausgerichtet und verbindet hochwertige Produkte mit hochklassiger Küchenqualität und professionellem Service bei moderaten Preisen. Auf Teller-Kunst, Lametta und jede Art von Bling-Bling verzichtet das Restaurant ebenso wie auf Sterne-Dekorationen von Restaurantführern.(7,8)
Unethische Tierhaltung und die meist schlechte Qualität von Fleischprodukten motivierten Franz Keller zur Etablierung eines eigenen Bauernhof im Rheingau, den Falkenhof, auf dem er Tierhaltung nach eigenen Vorstellungen von angemessener Tierhaltung und Produktqualität betreibt. Mittlerweile hat Franz Keller die Adler-Wirtschaft ohne Brüche des Konzeptes an seinen Sohn übergeben. Produkte des Falkenhofs landen auf Tellern der Adler Wirtschaft. Ob Tiere des Falkenhofs sich darauf freuen, ist fraglich, aber das Schicksal der Tiere dürfte zumindest zu ihrer Lebenszeit vergleichsweise erträglich sein und die Qualität der Produkte weiß die Spitze der Freßordnung zu schätzen.
In einem Nachbargebäude hält die Adler-Wirtschaft 4 Gästezimmer vor. Wir übernachten in einem der eher schlichten Zimmer, deren Komfort den Preis deutlich übertrifft.
Ilbenstadt - Fotoserie
Die schönsten Erinnerungen der Kinderzeit verbinde ich mit Ilbenstadt in der Wetterau als Feriengast von Verwandten. Das Suffix "stadt" ist eine deutliche Übertreibung. Ilbenstadt ist ein Dorf, das durch Eingemeindungen 1970 zum Ortsteil der Stadt Niddatal umgewandelt wurde. Ilbenstadt kann immerhin auf eine bemerkenswerte Kulturgeschichte mit Spuren bis zur Gegenwart verweisen. Der Ortsname wird auf die historische Namensform 'Eluistat' in der Güterliste Lorscher Codex des Klosters Lorsch zurückgeführt.(9,10) Familiäre Verbindungen nach Ilbenstadt kamen zustande, weil eine von Mutters Schwestern während des 2. Weltkriegs nach Ilbenstadt heiratete. Als im 2. Weltkrieg Bombardierungen des Ruhrgebiets zunahmen, zog die Großmutter der Mutterlinie mit mehreren Kindern bis zum Kriegsende nach Ilbenstadt, wo sie in der Schwiegerfamilie der Tochter lebte. Im Zusammenleben auf engem Raum entstand eine intensive familiäre Verbindung nach Ilbenstadt. Auf dem aktuellen Kurztrip bietet sich die Gelegenheit einer Nachschau in Ilbenstadt.
Persönliche Aufenthalte in Ilbenstadt verteilen sich auf 2 Wohnsitze der Verwandten. In den frühen 1950er-Jahren bezogen Tante und Onkel ein selbst errichtetes Haus in der Straße 'Am Krautgarten'. In dem Haus lebten auch die Eltern des Onkels, die wir als 'Tante' und 'Opa' ansprachen. Das Haus finden wir problemlos. Veränderungen des Außenbereichs beschränken sich auf Details. Die ehemals offene Vorhalle mit Haustür und Zugängen zum 'Plumpsklo' und zur Waschküche liegt inzwischen hinter einer bündig mit der Hausfront abschließenden gemauerten Verblendung.
Mit zunehmendem Wohlstand wurde das in der Nachkriegszeit errichtete Haus wachsenden Ansprüchen nicht mehr gerecht. Die Verwandten verkauften ihr Haus und errichten am süd-östlichen Rand des Dorfs ein moderneres Haus im Bungalowstil, in dem Mitglieder der Familie ebenfalls häufig Gäste waren. Das Ortsbild von Ilbenstadt hat sich insbesondere an den Ortsrändern stark verändert, aber dank funktionierender Erinerungen können wir das Haus identifizieren. Aus für uns nicht nachvollziehbaren Gründen verlegten die längst verstorbenen Verwandten ca. 1980 ihren Wohnsitz nach Frankfurt-Bergen-Enkheim in beengtere Wohnverhältnisse. Damit endete das 'Kapitel Ilbenstadt.'
Die 'Show-Front' von Ilbenstadt bildet das zum Orden der Prämonstratenser gehörende ehemalige Kloster Ilbenstadt. Der westfälische Graf Gottfried von Cappenberg (1096-1127) war in dem kriegerisch ausgetragenen Investiturstreit vom Kaiser Heinrich V. wegen Hochverrats angeklagt. Gottfried traf auf Norbert von Xanten, Gründer des Prämonstratenserordens, der ihn tief beeindruckte. Als Buße für die Zerstörung des St.-Paulus-Doms zu Münster, für die Gottfried verantwortlich gemacht wurde, vermachten Gottfried und sein Bruder Otto 1122 dem Orden die Burg von Cappenberg und weitere Besitztümer, u.a. Ilbenstadt.(11) Gottfried trat mit seiner Familie in den Orden ein und entzog sich mit diesem Schritt einer drohenden Verurteilung wegen Hochverrats. 1122 stifteten die Cappenbergs das Doppelkloster-Ilbenstadt (ein Männer-Kloster in Ober-Ilbenstadt und das Frauen-Kloster 'Nonnenhof' in Nieder-Ilbenstadt) sowie eine Stiftskirche am Männerkloster in Ober-Ilbenstadt. 1127 verstarb Gottfried in Ilbenstadt. Sein Grab befindet sich vor dem Hochaltar in der Abteikirche Ilbenstadt. Gottfried von Cappenberg wird als nichtkanonisierter Heiliger verehrt. Nach der Reformation blieb Ilbenstadt eine 'katholische Insel' der protestantischen Wetterau.
Beim heutigen Besuch ist die barocke Onimus-Orgel wegen einer umfassenden Sanierung ausgebaut. Onkel Schorsch war als Jugendlicher Messdiener der Klosterkirche und trat als Kalkant den Blasebalg der Orgel. Obwohl sich Onkel Schorsch später von Kirchenlehren distanzierte, haben wir die Abteikirche außerhalb von Messen oft gemeinsam besucht und mit historischen Exkursionen verbunden.
Anmerkungen
- Post vom 7.05.2019: Ausstellungsbesuch Otto Piene im Arp Museum Rolandseck
- Das Weingut Knipser in Laumersheim gilt als Pionier und Spitzenbetrieb des deutschen Qualitätsweinbaus und als Flagship-Weingut der Pfalz neben Ökonomierat Rebholz.
- Wikipedia: Weingut Knipser
- Gault Millau 2019 (PDF)
- Eichelmann 2019 (PDF) - Post vom 7.05.2019: Ausstellungsbesuch Ingelheimer Tage 2019
- Gourmetportal Sternenfresser: Le Moissonnier
- Goldener Pflug:
- Sternenfresser: Herbert Schönberner: Der erste deutsche Drei-Sterne-Koch
- Kölner Stadt-Anzeiger: Vom Gourmet-Tempel zum Brauhaus - Post vom 23.03.2016: Restaurant Le Moisonnier
- Franz Keller: Vita
- ZEIT: Wolfram Sieberbeck über die Adler Wirtschaft: Die edle Dorfkneipe
- Historisches Ortslexikon: Ilbenstadt
- Post vom 2.10.2014: Besichtigung Kloster Lorsch an der Hessischen Bergstraße
- Quellen zu Gottfried von Cappenberg:
- Grundmann, Herbert, in: Neue Deutsche Biographie 6, Gottfried von Cappenberg
- Wilhelm Crecelius in: Allgemeine Deutsche Biographie, Gottfried von Cappenberg
- Ökomenisches Heiligenlexikon: Gottfried von Cappenberg
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