Dienstag, 21. September 2021

Himmelswege in Sachen-Anhalt: Dolmengöttin Langeneichstädt - Himmelsscheibe von Nebra - Ringheiligtum Pömmelte

Jungsteinzeitliches Großsteingrab und Menhir an der Eichstädter Warte Nebra-Fund: Himmelsscheibe, Schwerter, Beile, Armschmuck Dolmengöttin von Langeneichstädt (Original)
 
Himmelswege ist eine kreative Bezeichnung für eine touristische Route in Sachsen-Anhalt, die kulturhistorisch bedeutende archäologische Entdeckungen der Vorgeschichte verbindet. Wissenschaftsjournalist Ulf von Rauchhaupt machte uns mit dem FAZ-Artikel Im Reich der Himmelsscheibe auf die Ausstellung Die Welt der Himmelsscheibe von Nebra - neue Horizonte im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle aufmerksam. Daher führt Teil 2 unserer Sommerreise 2021 an die Ostseeküste von Mecklenburg-Vorpommern über Halle (Saale) und weitere Stationen der Himmelswege. Auf dem Weg nach Halle besuchen wir die Dolmengöttin von Langeneichstädt. Die Route unserer Rückreise nach Köln führt über das Ringheiligtum Pömmelte, unsere dritte Station der Himmelswege.
 
 
Großsteingrab und Dolmengöttin an der Eichstädter Warte - Fotoserie
 
Eichstädter Warte, mittelalterlicher Wachturm des 15. Jh., Vorposten der Burg Querfurt Die Eichstädter Warte ist ein spätmittelalterlicher Wachturm des 15. Jh., der als Vorposten der Burg Querfurt (10. Jh.) diente und einen Vorgänger des 10. Jh. ersetzte. Besiedlungsspuren der Höhe, auf der Burg Querfurt errichtet ist, reichen bis zur Frühbronzezeit um ca. 2300 v. Chr. zurück und werden der Aunjetitzter Kultur (ca. 2300 v. Chr. bis 1600/1500 v. Chr.) der Frühbronzezeit zugeordnet, über die wir am Nachmittag im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle mehr erfahren werden.



 


Jungsteinzeitliches Großsteingrab Langeneichstädt und Menhir Deutlich älter als die Warte ist ein in der Nachbarschaft 1987 bei Feldarbeiten entdecktes jungsteinzeitliches Steinkammergrab, das zwischen 3600 und 2700 v. Chr. entstanden ist (Wikipedia: Großsteingrab Langeneichstädt). Einer der Decksteine der Grabkammer war ein Menhir, dessen Ritzungen als stark abstrahierte Darstellung einer Dolmengöttin gedeutet werden. Unterhalb der Frauengestalt sind weitere Ritzungen angebracht, die als Axtmotiv interpretiert werden und als männliches Statussymbol gelten. Bestattungsart, Grabbeigaben und Symbolik der Ausstattung erlauben Rückschlüsse auf religiöse Vorstellungen. In der Gegenwart ist neben der Grabkammer eine Nachbildung des Menhirs aufgestellt. Das Original befindet sich im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle, das wir am Nachmittag besuchen.
 
 
Landesmuseum für Vorgeschichte Halle - Fotoserie
 
P1016871.jpg Unter der Führung des Archäologen Harald Meller entwickelte sich das Landesmuseum für Vorgeschichte Halle zu einem international renommierten Museum für Archäologie. Maßgeblich zum Ruf des Museums und seines Leiters hat der Fund der Himmelsscheibe von Nebra beigetragen, die seit 2004 im Landesmuseum präsentiert wird. 1999 wurden das Objekt sowie zwei Bronzeschwerter, zwei Beile, ein Meißel und Bruchstücke von Armreifen (Hortfund von Nebra) von 2 Männern gefunden, die mit Metalldetektoren die Gegend illegal absuchten. Harald Meller traf sich 2002 als vermeintlicher Kaufinteressent mit Hehlern des Fundes und machte so dessen Sicherstellung und die Verhaftung der illegal Beteiligten möglich. Die Himmelsscheibe von Nebra, deren Alter auf 3700 bis 4100 Jahre geschätzt wird, gilt als älteste bekannte konkrete Himmelsdarstellung. Das Alter der Himmelsscheibe und ihre kulturelle Einrodnung sind jedoch nicht völlig unstrittig.(1,2)

Nebra-Fund: Himmelsscheibe, Schwerter, Beile, ArmschmuckDas Erdgeschoss des Museums zeigt die aktuelle Sonderausstellung: Die Welt der Himmelsscheibe von Nebra - neue Horizonte (4.06.2021 - 9.01.2022).(3) Neue Horizonte präsentieren die Himmelsscheibe von Nebra im Kontext einer über Europa hinaus bis zum Vorderen Orient reichenden wirtschaftlichen Vernetzung, mit der Kulturtransfer einherging. U.a. fand sich Bernstein der Ostsee als Schmuck in Pharonengräbern und astronomisches Wissen des Zweistromlands gelangte nach Mitteleuropa.(4,5) Dieses Wissen ermöglichte verlässliche Kalender und legitimierte zusammen mit dem Wissen über Verfahren der Bronzeverarbeitung komplexe hierarchische Machtstrukturen der Aunjetitzter Kultur, die sich zur ersten mitteleuropäischen Hochkultur entwickelte und erstmals in Mitteleuropa eine staatliche politische Ordnung ausprägte.(6,7) Die politische Bedeutung von Religion bleibt in der Ausstellung aus nachvollziehbaren Gründen unterbelichtet.(8) Der Ausstellung gelingt es erfolgreich, abstrakte Themen anschaulich zu präsentieren.(9,10) 

Dolmengöttin von Langeneichstädt (Original) Das Mittelgeschoss des Museums präsentiert Artefakte von der Spätbronze- und Früheisenzeit bis zur Spätantike. Im Obergeschoss des Museums unternehmen Besucher eine Zeitreise von der Altsteinzeit über die Mittelsteinzeit und Jungsteinzeit bis zur Frühbronzezeit. Hier treffen wir auf das Original der Dolmengöttin von Langeneichstädt. 
 
 
 
 
 
 
 
Archäologischen Laien erschließen sich vorgeschichtliche Zusammenhänge nicht intuitiv. Diesen Sachverhalt berücksichtigt das Landesmuseum für Vorgeschichte auch in der Dauerausstellung mit einer vorzüglichen Präsentation, die untergegangene Welten anschaulich vermittelt. Nach diesem spannenden Auftakt freuen wir uns auf die Fortsetzung unserer Exkursion der Himmelswege auf der Rückreise vom Darß nach Köln.
 
 
Besuch des Ringheiligtums Pömmelte via Barby und Elbfähre - Fotoserie
 
Rathaus von Barby St.-Marien-Kirche in Barby, 13. Jh. Girseilfähre über die Elbe zwischen Ronney und Barby
 
Unsere Route zum Ringheiligtum Pömmelte überquert zwischen dem Dorf Ronney, ein Ortsteil von Walternienburg im Landkreis Anhalt-Bitterfeld, und der Kleinstadt Barby im Salzlandkreis die Elbe mittels einer Gierseilfähre (Fähre Barby). Dieser an der Elbe und an der Weser in relativ hoher Dichte verkehrende Fährtyp nutzt als Antrieb die Strömung des Flusses. Im Zentrum von Barby motivieren uns das historische Rathaus und die St.-Marien-Kirche zu einem kurzen Rundgang. Im Ortszentrum treffen wir auf Tristesse ostdeutscher Provinz der Nachwendezeit. Das Zentrum wirkt wie ausgestorben. Die Kirche ist verschlossen. Etliche Häuser stehen leer und sind dem Verfall überlassen.  
 
Blick von der Aussichtsplattform zum Ringeiligtum Pömmelte
 
Gegen 9:00 Uhr treffen wir an der jederzeit kostenlos zu besichtigenden archäologischen Ausgrabungsstätte einer Kreisgrabenanlage ein, die touristisch griffiger als Ringheiligtum Pömmelte der Touristenroute Himmelswege in Sachsen-Anhalt bezeichnet wird. Am Morgen sind wir die einzigen Besucher. Die Besucher-Infrastruktur ist bescheiden. Am Rand des Parkplatzes stehen Container, von denen einer als öffentliche Toilette gedacht ist, die aber aufgrund von Störungen verschlossen ist. 05/2023 wurde ein Besucherinformationszentrum eröffnet, zu dem aktuell nur wenige Informationen zu finden sind.

Palisaden im inneren Bezirk Anhand von Luftbildaufnahmen wurde 1991 die als Ringheiligtum Pömmelte bezeichnete Kreisgrabenanlage entdeckt und nach umfangreichen archäologischen Untersuchungen am Fundort rekonstruiert. Die seit 2016 zu besichtigende Rekonstruktion besteht aus 7 Ringen, die sich aus hölzernen Pallisaden, Gruben und Wällen zusammensetzen. Die Anlage hat einen Durchmesser von 115 m und zeigt einen ähnlichen Aufbau und ein ähnliches Alter wie der südenglische Kultplatz Stonehenge und andere englische Henge-Monumente.(11) Sie gilt daher nicht nur bildlich als das Stonehenge von Sachsen-Anhalt, sondern sie dürfte als kulturelles Zentrum auch vergleichbare funktionale Bedeutung im parallelen Zeitraum besessen haben und ist darum ein starkes Indiz für die Annahme eines über Europa hinausreichenden kulturellen Austauschs.(12,13,14,15) 
 
 
Palisaden im inneren Bezirk Die sakrale Nutzung dieses Platzes begann 2900 - 2600 v. Chr.. Ca. 500 Jahre später begann vor ca. 4300 Jahren die Geschichte der Kreisgrabenanlage. In der auslaufenden Jungsteinzeit drängten von Westen die Schnurkeramik-Kultur (2800 - 2100 v. Chr.) sowie von Osten die Glockenbecher-Kultur (2500 - 2200 v. Chr.) nach Mitteleuropa. Die Kulturen trafen sich an der Elbe, etablierten einen bedeutenden zentralen Kultplatz und verschmolzen zur bronzezeitlichen Aunjetitzer Kultur (2200 - 1600 v. Chr.). Radiokarbonmethoden weisen nach, dass die Anlage um das Jahr 2050 v. Chr. gezielt abgebaut und Pallisadenwände vebrannt wurden. Um das Jahr 1950 v. Chr. wurde die Anlage nach ca. 350-jähriger Nutzung aufgegeben. Konflikte zwischen Machtstrukturen von Priesterkasten und Fürstendynastien sind in menschlicher Kulturgeschichte verbreitet und darum spekulativ denkbar.
 
 
Westlicher Hauptzugang zum Ringheiligtum Pömmelte Art der dort stattgefundenen Riten und kulturelle Vorstellungen von Menschen dieser Zeit sind nicht überliefert. Sicher ist jedoch, dass über mehrere Jahrhunderte rituelle Begräbnisse stattfanden, die mit religiösen Vorstellungen einhergingen. Die oberirdische Ausgestaltung der Anlage ist kein Produkt der Phantasie. Sie gibt die ursprüngliche Struktur der Anlage getreu der Bodenfunde wider und beruht auf Annahmen, die wissenschaftliche Plausibilität beanspruchen. Ausstattungen und Lage von Gräbern, die Art von Begräbnissen sowie die Gliederung in äußere und innere Bezirke verweisen auf hierarchische soziale Strukturen. Die astronomische Ausrichtung der Anlage lässt jahreszeitliche und weitere Festlichkeiten vermuten und legt nahe, dass Einflüsse astronomischen Wissens mesopotamischer Kulturen Vorderasiens auf heute nicht mehr nachvollziehbaren Wegen nach Europa importiert wurde. 
 
Palisaden im inneren Bezirk Die Bedeutung der Anlage ist mit uns vertrauteren christlichen Kathedralen vergleichbar, die ebenfalls mit religiösen Vorstellungen verknüpft sind. In Kathedralen finden unterschiedliche Riten und öffentliche Zeremonien statt, in denen Menschen unterschiedliche Rollen wahrnehmen und entsprechend ihres sozialen Rangs mehr oder weniger stark eingebunden sind oder auch nur als Zuschauer teilnehmen. Innerhalb einer Sozialstruktur bestimmt die soziale Position von Menschen noch immer, ob Bestattungen mit großem Pomp prominent in einer Kathedrale öffentlich unter Teilnahme sozialer Prominenz und vieler Menschen (in der Gegenwart auch Medien) zelebriert werden und Verstorbenen sogar ein Grab in einer Kathedrale möglichst nah am Altar zusteht (i.d.R. Männer) oder ob sie bescheiden auf einem Friedhof außerhalb der Kathedrale beigesetzt werden. 
 
 
Holzmenhire im Innenraum Für die Anlage von Pömmelte und ähnliche Anlagen ist anzunehmen, dass neben einer Fürstenkaste eine Priesterkaste bestand, die mit jenseitigen Mächten kommunizierte und im Diesseits den vermeintlichen Willen dieser Mächte rituell mit öffentlichen Zeremonien als Verhaltensvorschriften aller Menschen einer Kultur zum Nutzen der Fürstenkaste auslegte. Die Magie dieses Ortes, die Menschen vor mehr als 4000 Jahren vermutlich empfunden haben, vermittelt sich Besuchern der Anlage auch noch in der Gegenwart.

 

 
 

Grundrisse von Langhäusern der Aunjetitzer Kultur außerhalb des Heiligtums In unmittelbarer Nähe der Anlage wurden Besiedlungsspuren in Form von Grundrissen von bisher 50 Langhäusern entdeckt, die augrund gefundener Artekfakte unterschiedlichen Kulturen zugeordnet werden können. Grabungsfunde der Kreisgrabenanlage sind im Salzlandmuseum in Schönebeck (Elbe) ausgestellt. Ein Besuch des Museum hat sich erübrigt, weil es während der Woche nur sehr eingeschränkt geöffnet und mittwochs geschlossen ist.  
 


 
 
 
Die Geschichte der Kreisgrabenanlage Pömmelte ist noch nicht zu Ende erzählt. In wenig mehr als ein Kilometer Entfernung entdeckten Archäologen die Kreisgrabenanlage Schönebeck in kleineren Dimensionen.(16) Diese Anlage wird ebenfalls der Aunjetitzer Kultur zugeordnet und wurde vermutlich parallel mit anderen Funktionen genutzt.(17) Eine genauere Einordnung erlaubt der Stand archäologischer Forschung noch nicht.(18) Aktuell laufende Grabungen stießen auf weitere Strukturen, die als 4800 - 4500 Jahre sowie 6000 - 5400 Jahre alte Vorgänger identifiziert und der Baalberger Kultur zugeordnet werden.(19) Fortschreitende Grabungsarbeiten lassen weitere Erkenntnisse erwarten.(20) Entdeckungen der Frühgeschichte bleiben für interessierte Menschen in Sachsen-Anhalt spannend.

 
Anmerkungen
  1. Archäologie online: Neue Kontroverse um die Himmelsscheibe von Nebra
  2. Tagesspiegel: Forscher streiten um das Alter der Himmelsscheibe 
  3. PDF-Broschüre: Himmelswege 
  4. WELT: Himmelsscheibe von Nebra - Wie das astronomische Geheimwissen nach Mitteleuropa gelangte 
  5. WELT: Ein Fürst brachte das Geheimwissen aus dem Orient nach Europa 
  6. WELT: Die mysteriösen Goldspuren auf der Himmelsscheibe von Nebra   
  7. Eine vertiefende Darstellung der Thematik sowie Interpretationen der Himmelsscheibe und ihrer Veränderungen über Zeit bietet die lesenswerte aktuelle Veröffentlichung von Harald Meller und Kai Michel: Griff nach den Sternen - Nebra, Stonehenge, Babyilon: Reise in das Universum der Himmelsscheibe
    Rezension der Veröffentlichung in der FAZ: Himmelsscheibe von Nebra - Alles für die Legitimation von Eliten
  8. In der Vorgeschichte sind Entwicklungen relativ stabiler politischer Ordnungen ohne Ordnung stiftende und Machtstrukturen legitimierende Religionen kaum denkbar. Dass Religion von großer Bedeutung war, zeigen Bestattungskulturen und belegen Heiligtümer, deren Errichtung große Anstrengungen vieler Menschen erforderte und deren Dauerhaftigkeit über viele Generationen die kulturelle Relevanz von Religionen erweist. Mangels Schriftsprache bleiben jedoch religiöse Systeme der Vorgeschichte eine Blackbox. 
  9. Daher konnte diese Sonderausstellung in weniger als 3 Monaten mehr als 25.000 interessierte Besucher anziehen, obwohl Corona-Bedingungen reduzierte Besucherströme erfordern, die mittels Zeitfenster-Tickets organisiert werden.
  10. Private Fotos dürfen in der Sonderausstellung nicht aufgenommen werden. Das hier eingefügte Foto stammt aus einem Archiv.
  11. Wikipedia: Beschreibung der Anlage
  12. Wikipedia: Kreisgrabenanlage von Pömmelte 
  13. Tagesspiegel: Neue Entdeckungen beim Stonehenge von Sachsen-Anhalt  
  14. FAZ: Das deutsche Stonehenge
  15. Archäologie Online: Paralllelen der Anlagen von Pömmelte zu Stonehenge und Avebury werden untersucht
  16. Archäologie Online: Schönebeck: "Deutsches Stonehenge" II - nur ohne Steine
  17. Archäologie Online: Kreisgrabenanlage von Schönebeck wird ausgegraben
  18. Mitteldeutsche Zeitung: Menschen der Himmelsscheibe lebten möglicherweise in Pömmelte
  19. Süddeutsche Zeitung: Vorgängerbau an den Kreisgrabenanlagen Schönebeck entdeckt
  20. Archäologie Online: Beginn der diesjährigen Ausgrabungen am Ringheiligtum Pömmelte

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