Montag, 24. August 2015

Kulturführung in Latsch

Burg Latsch, Hans der Sager, Pfarrkirche
Bichlkirche in Latsch
Eine Kaltfront mit böigem Schauerwetter zieht aktuell über die Alpen. Die Rückkehr sommerlichen Wanderwetters ist jedoch ab morgen angekündigt. Ohne Bewegung fühlen wir uns unwohl und starten darum mit einer erfrischenden Walkingrunde unsere Tagesaktvitäten. Am Nachmittag möchten wir an einem kulturellen Dorfrundgang in Latsch teilnehmen. "Achtung! Für dieses Event müssen Sie sich vorher anmelden", verkündet die Veranstaltungsseite. Kein Problem, unsere Runde führt ohnehin über Latsch. "Eine Anmeldung ist nicht erforderlich", erfahren wir im Tourismusbüro, "es reicht, wenn sie einige Minuten vor Beginn die Teilnahmegebühr von 5 € pP entrichten."
Nachmittags finden sich außer uns 2 weitere Deutsche zur Führung ein. Später stoßen noch 2 Italiener hinzu, die dann auch wieder früher gehen. Der Kulturrundgang dauert nämlich deutlich länger als die vorgesehenen 1,5 - 2 Stunden. Dank unseres bestens informierten und sehr unterhaltsamen Guides endet die spannende Führung nach fast 3 Stunden. Diashow der Fotoserie


Burg Latsch
Die Führung startet an Burg Latsch im Ortszentrum, deren Ursprünge auf das 13. Jh. zurückgehen. Im 14. Jh. fiel die Burg an die Freiherren von Annenberg, in deren Besitz sich auch Schloss Annenberg befand. Auf Schloss Annenberg befand sich eine bedeutende Bibliothek, in der sich vermutlich auch eine (von 34 mittelalterlichen) Handschrift des Nibelungenliedes aus dem Jahre 1323 befand. Das Geschlecht derer von Annenberg starb 1695 aus. Ihre Burgen fielen an die Grafen Mohr, die auch im Besitz der Burgen Obermontani sowie Untermontani am Eingang des Martelltals waren. 1834 wurde in der Burgruine Obermontani die erwähnte Original-Handschrift des Nibelungenliedes gefunden. Das Unikat der Nibelungen-Handschrift Codex I besitzt die Berliner Staatsbibliothek. 
Burg Latsch befindet sich nach wechselvoller Geschichte und Sanierung in der Gegenwart in Privatbesitz und kann nicht besichtigt werden.



Bichlkirche
'Heiliges Grab' in der Bichlkirche
Am östlichen Ortsrand von Latsch befindet sich auf einem Hügel die Kirche Unsere Liebe Frau auf dem Bühel, 'Bichlkirche' im Volksmund genannt. Die Kirche wurde mehrfach umgebaut, erweitert, den jeweiligen zeitlichen Moden angepasst und besteht daher aus einem kuriosen Stilmix romanischer, gotischer und barocker Architektur. Erstmals geweiht wurde die Kirche 1020. Die Dastellung einer pästlichen Tiara nährt die unbelegte Vermutung, dass Heinrich II. (973/078 - 1024) die Kirche gestiftet und der damalige Papst sie geweiht habe. In der Gegenwart dient die Kirche als Abstellraum für barocke Peinlichkeiten, etwa eine figürliche Darstellung der Osterliturgie als Heiliges Grab im Stil eines Kasperletheaters. Zwischen dem Kirchenplunder ist ein sensationeller Fund ausgestellt.




Männlicher Statuenmenhir Rrückseite
Männlicher Statuenmenhir Vorderseite
1992 wurde unter einer hölzernen Altarmensa ein Statuenmenhir vom Typ Etschtalgruppe entdeckt. Der aus Vinschger Marmor bestehende Stein ist 107 cm hoch, 77 cm und 12 cm dick. Kopf- und Fußpartie fehlen. Senkrechte Streifen dieser Gruppe von Menhire werden als Darstellung eines Fransenmantels gedeutet. Erkennbare Dolche mit dreieckiger Klinge machen wahrscheinlich, dass der Menhir zwischen 3.300 und 2.000 v. Chr. von Leuten der Remedello Kultur gefertigt wurde. Neben den für die Etschtalgruppe typischen ikonografischen Elementen (Girlandengürtel, Axt, Dolch, Stabdolch und Bogen), fallen beim Latscher Menhir Zierelemente der Lombardischen Gruppe auf (Sonne, Hirsch und stilisierte menschliche Figuren), wie sie im Valcamonica und im Veltlin gefunden wurden. Diese bestätigen Verbindungen zwischen Vinschgau und nordöstlicher Lombardei.





1499 hat während des Schwabenkriegs die Calvenschlacht zwischen Eidgenossen und Habsburger Truppen stattgefunden. Am 'Calven', eine Talenge, die das Münstertal vom Vinschgau trennt, waren die Bündner überlegen. Habsburger Machtpolitik kostete den Tod von mehr als 5000 Habsburger Soldaten. Kaiser Maximilian I. soll nach der verlorenen Schlacht geweint haben. Soldatenschicksale dürften ihn kaum berührt haben, eher war es der Machtverlust und seine Kosten. 2000 Tote soll es auch auf Seite der Sieger gegeben haben, die sich ihren Preis abholten. Wikipedia berichtet im Artikel zur Calvenschlacht: "Die Bündner plünderten das ganze obere Etschtal bis nach Schlanders und brannten die Dörfer Mals, Glurns und Laatsch nieder. Alle männlichen Bewohner über 12 Jahren wurden niedergemacht. Zur Vergeltung folterten die Tiroler 38 Engadiner Geiseln in Meran zu Tode." Tagelang soll Blut abgeschlachteter Menschen das Wasser der Etsch rot gefärbt haben. Unerwähnt lässt Wikipedia, dass marodierende Bündner Truppen bis zum Dorf Latsch vorstießen und u. a. Kirchen des Ortes ausraubten und abfackelten. Im 16. Jh. wurden Latscher Kirchen auf historischer Substanz neu aufgebaut.


Portal der Spitalkirche von Latsch
Flügelaltar von Jörg Lederer in der Spitalkirche
Im Zentrum von Latsch beeindruckt in der unauffälligen Spitalkirche zum Heiligen Geist (eine Stiftung der Herren von Annenberg) ein Flügelaltar von Jörg Lederer (um 1524). Sehenswert ist auch das von Oswald Furler zum Neuaufbau der Kirche geschaffene gotische Portal in weißem Marmor.













Im Ortszentrum Latsch befindet sich die Pfarrkirche zu den Heiligen Petrus und Paul, einzige dreischiffige Kirche des Vinschgaus. Die Kirche zeigt Stilelemente aus der Romanik bis zur Neugotik. Das Hauptportal in weißem Marmor gestaltete Oswald Furler 1524 im gotischen Stil.


Patronsfiguren St. Peter und St. Paulus
Portalfiguren St. Jakobus und St. Johannes
Erzengel Michael mit Seelenwaage

St. Nikolaus, Latsch
Am westlichen Rand des Zentrums von Latsch liegt die vor dem Jahr 1200 als Chorturmkirche errichtete Kirche St. Nikolaus, die ursprünglich dem Malteserorden gehörte. Später nutzte die Latscher Freiwillige Feuerwehr die Kirche und nahm Umbauten für ihre Zwecke vor. Rückbau und Restaurierung waren mehrmals beabsichtigt, sind aber bisher nicht erfolgt.














Kapelle St. Anna des Ansitzes Mühlrain
Ansitz Mühlrain in Latscg
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite von St. Nikolaus befindet sich Ansitz Mühlrain, das 'Rote Schloss'. Graf Kleinhans gelangte als Feldhauptmann in spanischen Kriegen unter Philipp II. zu Wohlstand (wie auch immer) und ließ 1580 den Ansitz in der heutigen Form gestalten. Innen und an der Außenfront ist das Gebäude mit Fresken versehen. Zum Ansitz gehört die barocke Kapelle St. Anna aus dem 17. Jh., über deren Portal die sog. Wessobrunner Madonna im Rosenkranz thront.

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