Sonntag, 18. September 2016

Antwerpen-Trip 15.-17.09.2016 - entspannt, intensiv, spannend

Blick über die Schelde zum historischen Zentrum Antwerpen
Antwerpen bietet mit entspannter maritimer Atmosphäre, einer Vielzahl kultureller Sehenswürdigkeiten, ausgezeichneten Restaurants und guten Quartieren eine beeindruckende Lebensqualität. Unser Besuch im Rahmen einer Kurzreise erzwingt Beschränkungen bzw. Fokussierung des Programms und erfordert ein wenig Vorbereitung. Bereits zu Hause filtern wir unter Berücksichtigung von Wettersituationen uns interessierende Optionen aus einem breiten Spektrum. Vor Ort spricht gutes spätsommerliches Wetter für 'Plan A'. Unsere Unterkunft macht das Glück perfekt. Das A42 B&B am Sint Paulusplaats im historischen Zentrum besticht mit exzellenter Lage, ausgezeichnetem Frühstück, ebenso komfortabler wie hochwertiger Einrichtung und netten Gastgebern. Zahlreiche Sehenswüdigkeiten, Hafenviertel Eilandje, interessante Museen und angesagte Restaurants liegen in fußläufiger Distanz. Nach intensiven, spannenden Exkursionen des Tages bieten die Restaurants Brasserie Dock's Café und Fischrestaurant Mojo entspannte Küchenkultur. Die Rückreise nutzen wir für Besichtigungen an Antwerpens Peripherie.
Der Post dieses Trips fokussiert inhaltlich auf Aspekte der Stadtentwicklung. Verlinkte Fotoserien informieren visuell über unsere Aktivitäten:
Antwerpen inside - Historisches Zentrum - Hafenrundfahrt - Museum aan de Stroom - A42 B&B - Brasserie Dock's Café - Visbistro Mojo
Antwerpen outside - Belle Époque in Zurenborg - Middelheim Park und Museum - Lier, Zimmertum, Uhrenmuseum, Beginenhof

Geographische Lage der Stadt Antwerpen
Sint Annatunnel
Sint-Annatunnel unter der Schelde
Antwerpen liegt an der Schelde, die ca. 80 km weiter im Nordwesten in der niederländischen Provinz Zeeland in die Nordsee mündet. Im Stadtgebiet Antwerpens weitet sich die Schelde zu einer breiten Trichtermündung, die von Seeschiffen befahren wird und den Ausbau eines Seehafens ermöglichte, der die Entwicklung der Stadt zu einem bedeutenden internationalen Handelsplatz begünstigte und aktuell zu den größten Seehäfen Europas zählt. Schiffbar ist der Mündungsarm der Westerschelde. Die Oosterschelde versandete und wurde 2002 zum Nationalpark Oosterschelde erklärt, den das Oosterschelde-Sturmflutwehr gegen Sturmfluten und Hochwasser schützt.
Um die Schifffahrt nicht zu behindern, führen in Antwerpen keine Brücken über die Schelde. Stattdessen verbinden zahlreiche Tunnel die beiden Ufer des Flusses. Eine touristische Attraktion ist der Sint-Annatunnel für Fußgänger und Radfahrer.



Herkunft des Stadtnamens
Brabobrunnen vor dem Rathaus Antwerpen
Brabobrunnen und Rathaus auf dem Grote Markt
Gemäß Legende der Stadtgründung bedeutet der Name Antwerpen 'Hand werfen' (Hant-werpen) und wird auf die Brabo-Legende zurückgeführt, als deren ältester schriftlicher Nachweis die Gesta episcoporum Leodiensium gilt, eine 1247-1251 verfasste Aufstellung der Großtaten Lütticher Bischöfe. Jeder Besucher des historischen Zentrums begegnet spätestens auf dem Grote Markt dieser Legende, die der Brabobrunnen des Antwerpener Bildhauer Jef Lambeaux (1852−1908) darstellt. Die Brunnenskulptur zeigt den jungen Helden Silvius Brabo, wie er die abgehackte Hand des im Kampf besiegten Riesen Druon Antigon in die Schelde wirft. Die vollständige Legende lautet ungefähr so:
In grauer Vorzeit hauste der grausame Riese
Druon Antigon an der Schelde und verlangte von vorbeifahrenden Schiffen Zoll. Schiffern, die den Zoll nicht entrichten wollten oder konnten, hieb Druon Antigon die Hand ab und warf sie in der Schelde. Wie David gegen Goliat wagte nur der römische Legionär Silvius Brabo den Kampf gegen Druon Antigon. Silvius Brabo siegte, hieb dem Riesen eine Hand ab, warf sie in die Schelde und ermöglichte damit die Gründung der Stadt am Platz des Handwurfs.

Plaketten mit Hand-Symbolen an der Fassade des Museums aan de Stroom
Handjes an der Fassade des Museums aan de Stroom
Obwohl (a) archäologische Funde tatsächlich eine gallo-römische Siedlung nachweisen, (b) die Hand-Metapher auf die Bedeutung des Siedlungsplatzes für den Handel verweist sowie (c) das Abhacken von Händen eine kulturelle Spezialität darstellt, die in belgischer Kolonialzeit mit den Kongogräuel wieder auflebte, ist die Story unter 'Mythen und Märchen' einzusortieren
Plausibler ist die Herleitung des Stadtnamens aus dem niederfränkischen Namen 'Andauerpa', der wahrscheinlich auf den Verweis 'an de warp' zurückgeht und sich auf Warften bezieht (angeschüttete Siedlungshügel am Ufer der Scheldebucht). Trotz vergifteter Handsymbolik scheinen Antwerpener Bürger die folkloristische Variante zu bevorzugen. Handsymbole sind in der Stadt allgegenwärtig. Sie zieren u.a. die Fassade des grandiosen Museum aan de Stroom (Fotoserie MAS) und werden als Antwerpse Handjes in Form von Keksen und als Schokolade vertrieben. 



Streifzug durch Antwerpens Stadtgeschichte ab dem Mittelalter im Zeitraffer
Burg Het Steen, Antwerpen
Burg Het Steen
Brabobrunnen und Liebfrauenkathedrale am Grote Markt Antwerpen
Brabobrunnen, Liebfrauenkathedrale
Wüten der 'spanischen Furie' am 4.11.1576 in Antwerpen (anonym) - Museum aan de Stroom - Machtenfaltung
Spanische Furie 17.08.1585 (anonym)
Eine strategisch günstige Lage ermöglichte Antwerpen mit dem Niedergang Brügges ab Ende des 15. Jahrhunderts einen glanzvollen Aufstieg, der an der Schnittstelle von Kulturräumen und Machtsphären stets auch kriegerisch umkämpft war und die Stadt vor Katastrophen nicht schützte. Dem 'Goldenen Zeitalter' folgte ab Mitte 17. Jahrhundert eine Zeit des Niedergangs und der Stagnation, die erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts endete. Der nachfolgende Abschnitt geht der Frage nach, welche Mächte und Ereignisse die Dynamik der Stadtentwicklung trieben.
  • 1291 erhielt Antwerpen Stadtrechte und erlebte dank des Hafens und des Tuchhandels im 14. Jahrhundert eine Blütezeit als europäischer Handelsplatz und als Finanzzentrum. 
  • Philipp der Kühne wurde von seinem Vater, dem französischen König Johann dem Guten, mit Burgund belehnt. Durch Erbschaft und Kauf erwarb Philipp der Kühne die Freigrafschaft Burgund sowie Flandern. 1430 fiel Antwerpen an Burgund
  • Im Spätmittelalter entwickelte sich die Stadt Brügge zu einem Zentrum der Tuchindustrie und des Fernhandels. 1369 fiel Brügge an das Herzogtums Burgund und wurde Residenzstadt der Burgundischen Herzöge. Wirtschaftlich und kulturell stieg Brügge zu einer der reichsten Städte Europas auf und zum wichtigsten Fernhandelsplatz Flanderns vor Antwerpen.
  • Karl der Kühne verstarb 1477 in der Schlacht bei Nancy ohne Nachfolgeregelung. Durch Heirat und Krieg fielen die burgundischen Niederlande an Maximilian I. aus dem Haus Habsburg, dem das Burgundische Erbe nicht in den Schoß fiel, sondern im Burgundischen Erbfolgekrieg (1477-1493) erkämpft wurde.
  • Ende des 15. Jahrhunderts versandete Brügges schiffbarer Zugang zur Nordsee. Brügge verlor seine führende Position in Flandern an Antwerpen, verarmte und versank in Bedeutungslosigkeit. Durch den wirtschaftlichen Stillstand blieb der mittelalterliche Stadtkern weitgehend erhalten und wurde erst im 20. Jahrhundert vom Tourismus entdeckt.
  • Unter Karl V. (1500-1554) erlebten die 17 Provinzen der Spanischen Niederlande eine Blütezeit, die als 'Goldenes Zeitalter' gilt. Antwerpen stieg zum Zentrum der Handelswelt auf und bildete den Nährboden für barocke Malkunst auf höchstem Niveau. Maler wie Peter Paul Rubens, Anthonis van Dyck, Jacob Jordaens, Jan Brueghel der Ältere und sein Sohn Jan Brueghel der Jüngere waren in Antwerpen tätig.
  • Wie ganz Belgien ist Antwerpen aufgrund der früheren Zugehörigkeit zu den Spanischen Niederlanden überwiegend vom römisch-katholischen Christentum geprägt. Der Aufteilung der ehemals 17 Provinzen der Spanischen Niederlande in protestantische Nordprovinzen (heutige Niederlande) und katholische Südprovinzen (heutiges Belgien) ging der durch die Reformation entfachte Achtzigjährige Krieg  (1568-1648) der flandrischen Provinzen gegen die katholische spanische Krone voraus.
  • Ein als Spanische Furie bezeichnetes Ereignis hat tiefe Spuren im kollektiven Bewußtsein Antwerpener Bürger hinterlassen. Am 4. November 1576 fiel die Spanische Furie über Antwerpen her, damals reichste Stadt der Spanischen Niederlande, und richtete unter den 100.000 Einwohnern ein dreitägiges Massaker an, bei dem 8.000-10.000 Menschen starben und große Werte durch Plünderungen und das Niederbrennen von mehr als 1/3 aller Häuser vernichtet wurden.
  • Am 17. August 1585 endete die Belagerung Antwerpens durch Truppen des spanischen Königs Philipp II. mit der Eroberung der Stadt, als deren Folge sich spanische Herrschaft und die Gegenreformation in den südlichen Provinzen der Spanischen Niederlande durchsetzen konnten. 
  • Der Achtzigjähriger Krieg (1568-1648) mündete in den Dreißigjährigen Krieg (1618-1648). Mit dem Westfälischen Frieden von 1648 wurden beide Kriege beendet und Machtsphären neu verteilt. Spanien erkannte die Unabhängigkeit der nördlichen Niederlande an. Der südliche Teil der Niederlande, aus dem im 19. Jahrhundert Belgien hervorging, blieb unter spanischer Herrschaft. In Vereinbarungen des Westfälischen Friedens konnte die Niederlande gegenüber den katholischen spanischen Provinzen eine Scheldeblockade durchsetzen, so dass die Provinzen unter spanischer Herrschaft die Schelde nicht mehr als Schifffahrtsweg zur Nordsee benutzt durften. Weil Seehandel Quelle des Reichtums Antwerpens war, setzte mit der lediglich im Zeitraum 1795-1830 unterbrochenen Scheldeblockade ein wirtschaftlicher Niedergang Antwerpens ein, der bis Mitte des 19. Jahrhunderts anhielt. 
  • Aufgrund der Scheldeblockade war Antwerpen gezwungen, alternative Einkommensquellen zu erschließen. Dazu zählten die Produktion von Luxusgütern und Handel mit diesen. Die Stadt entwickelte sich zum ehemals weltweit bedeutendsten Zentrum des Buchdrucks sowie zum Weltzentrum des Diamantenhandels und der Diamantenschleiferei. Zu Spitzenzeiten wurden mehr als 80 % aller Rohdiamanten in Antwerpen gehandelt und bearbeitet. In der Gegenwart verlagert sich das Geschäft an andere Plätze der Welt. 60 % des Diamantenhandels findet noch in Antwerpen statt. 1500-1600 Diamantenfirmen beschäftigen mehr als 25.000 Mitarbeiter. Vier Diamantenbörsen setzen jährlich ca. 40 Milliarden Dollar um.
  • Mit dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges (1701-1714) gehörte Antwerpen zur Österreichischen Niederlande, bis Napoléon die Stadt mit seinen Truppen 1794 besetzte. Die Scheldeblockade wurde aufgehoben und der Seehandel nahm wieder Schwung auf. Napoléon beabsichtigte, den antwerpener Hafen in einen Militärhafen umzuwandeln, um Großbritannien angreifen zu können. Er ließ den Hafen ausbauen und nahe dem Stadtzentrum um zwei Hafenbecken erweitern (Bonapartedok und Willemdok), an denen sich aktuell das angesagte Stadtviertel Eilandje neu erfindet. Die napoleonische Besatzung endete 1815 mit der Schlacht bei Waterloo (65 km südlich von Antwerpen).
  • Nach den napoleonischen Kriegen im Zeitraum 1792-1815 wurde auf dem Wiener Kongress 1814/5 der heutige Beneluxraum zu den neuen Niederlanden vereinigt, so dass Antwerpen von 1815 bis 1830 zum Königreich der Niederlande gehörte. 
  • In einem von Brüssel ausgehenden Aufstand spalteten sich die südlichen Provinzen von der Niederlande ab, schufen den heutigen Staat Belgien und erklärten Belgien für unabhängig (-> Geschichte Belgiens). Im Londoner Protokoll vom 20. Dezember 1830 erkennen die europäischen Großmächte die Unabhängigkeit Belgiens an. Die 1648 im Westfälischen Frieden verhandelte Scheldeblockade wird zwar aufgehoben, aber die Niederlande erhebt hohe Zölle, mit der sie belgische Seeschifffahrt verhindert.
  • 1863 entfallen niederländische Zölle der Scheldeschiffahrt. Als belgischer Hafen erfährt Antwerpen einen neuen Aufschwung, der ein reiches Großbürgertum hervorbringt. Neureiche Antwerpener siedeln sich im neu entstehenden Ortsteil Zurenborg an und stellen ihren Reichtum mit protzigen Bauten ungeniert zur Schau. (Fotoserie Zurenborg - Artikel des Reisemagazins Schwarzaufweiss: Belle Epoque in Zurenborg)
    Antworten auf die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang dieser Reichtum auf der als Kongogräuel in die Geschichte eingegangenen brutalen Ausbeutung von Ressourcen in zentralafrikanischen Kolonien Belgiens beruht, bleiben weiteren Recherchen vorbehalten. Sicher ist jedoch, dass unter König Leopold II. in dessen Kolonialgebieten schon für Verdächtigungen und für Bagatellanlässe schärfste Auspeitschungen z.T bis zum Tod üblich waren und bevorzugt Hände abgehackt wurden.   
  • Deutsche Besetzung im Ersten Weltkrieg (1914-1918) wie im Zweiten Weltkrieg (1939-1945) unterbricht Antwerpens Stadtentwicklung. In beiden Kriegen sind in Antwerpen tausende zivile Opfer und starke Zerstörungen der Stadt zu beklagen, für die deutsche Politik und deutsches Militär maßgeblich verantwortlich sind.
  • In der Gegenwart ist Antwerpen mit mehr als 500.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Belgiens nach Brüssel. Der Antwerpener Seehafen (Güterumschlag: 208,4 Mio. t im Jahr 2015) gilt nach dem Hafen Rotterdam (Güterumschlag: 466,4 Mio. t  im Jahr 2015) als zweitgrößter Hafen Europas und verzeichnet Wachstum.

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