Donnerstag, 19. Dezember 2013

'Amsterdam, die schöne Stadt, ist gebaut auf Pfählen' - und erwidert Liebe mit Gegenliebe (letztes Update: 04.01.2014)

Grachtenmotiv im Zentrum von Amsterdam
Jene Pfähle, auf denen die von einem alten Kinderlied besungene Altstadt erbaut ist, werden nur bei Bau- und Sanierungsmaßnamen sichtbar. Diese gehören jedoch, wie in Venedig, zum Alltag einer dem Meer und dem Moor abgetrotzten Siedlung. Drei Andreaskreuze der Stadtflagge erinnern noch heute an die historischen Plagen 'Flut, Feuer, Pest', denen Amsterdam über Jahrhunderte ausgesetzt war.
Amsterdams historische Bausubstanz blieb von zwei Weltkriegen weitgehend verschont. In der Gegenwart mutet die Stadt jedoch keineswegs museal an. Amsterdam beeindruckt mit einer kosmopolitischen Gegenwartskultur, ohne seine Geschichte zu vernachlässigen. Obwohl Amsterdam zweifellos als ein Zentrum europäischer Geschichte und Gegenwart gelten muss, liegt die Stadt eher im Randbereich internationaler Wahrnehmung. Nach drei intensiven Tagen stellen wir fest: Aus kultureller Sicht verdient Amsterdam höchste Wertschätzung! 
Amsterdam entfaltet zu jeder Jahreszeit besondere Reize. In den Wintermonaten zieht uns vor allem eine reiche Museumslandschaft an. Unser Zeitbudget erlaubt nur eine kleine Auswahl, aber wir werden bald zurückkehren, nehmen wir uns bei der Abreise vor. Diashow der Fotoserie mit Stadtmotiven


Ankunft und Überblick

Museumsplein, Stedelijk, Van Gogh Museum, Rijksmuseum
Mehrere Amsterdamer Top-Museen waren wegen aufwendiger Umbauten und Sanierungen lange verschlossen. Ein euphorischer Artikel der FAZ vom 8.04.2013 macht auf die Wiedereröffnung des grandiosen Rijksmuseums nach zehnjähriger Sanierung aufmerksam: Das Böse und die Universalkunst. Im Frühjahr 2013 feiert auch das Van Gogh Museum seine Wiedereröffnung. Nur wenige Monate zuvor war der neunjährige Umbau des Stedelijk Museums abgeschlossen (bedeutendstes niederländisches Museum für moderne Kunst). Ein Artikel in der 'Neue Zürcher Zeitung' vom 10.12.2012 resümiert Probleme des Umbaus und würdigt die Bedeutung des Museums: Popularisierung des Musealen. Die Sonderausstellung im Stedeleijk 'Kazimir Malevich und die russische Avantgarde' (19.10.2013 - 2.02.2014) motiviert zusätzlich unseren dreitägigen Kulturtrip mit Freunden nach Amsterdam.



Vondel Hotel in der Vondel Straat
Nach komfortabler Anreise mit dem ICE treffen wir gegen Mittag im reservierten Hotel ein und erleben eine Überraschung. Als Quartier haben wir in fußläufiger Entfernung zum Museumsplein und zur Innenstadt ein kleines Hotel in einer ruhigen Wohnstraße zwischen Leidseplein und Vondelpark gewählt. Bei Ankunft liegt zwar unsere Buchung vor, aber Zimmer sind in dem ausgebuchten Haus aufgrund "technischer Probleme" nicht reserviert. Das drohende Ärgernis wandelt sich rasch zu einer erfreulichen Alternative. Ersatzweise erhalten wir zum Preis der reservierten Standardzimmer ein Upgrade für großzügige und luxuriös ausgestattete Suiten des benachbarten 'Vondel Hotels'. Nach dieser 'schönen Bescherung' steigert sich auch das Wetter trotz eher ungünstiger Prognose kontinuierlich.




Van Gogh Museum

Sämann vor untergehender Sonne, Arles, November 1888
Erster Programmpunkt unseres Kulturtrips ist am Tag unserer Ankunft der Besuch des Van Gogh Museums. Nach kurzer Schaffensperiode hinterließ  Vincent von Gogh ca. 900 Gemälde und 1.100 Zeichnungen. Mit 200 Gemälden und 400 Zeichnungen besitzt das Museum die weltweit größte Van-Gogh-Sammlung, die jährlich ca. 1,4 Millionen Besucher anzieht. Eintrittstickets werden nur in limitierten Kontingenten für feste Zeitfenster zugeteilt. Deutlich vor unserem Zeitfenster treffen wir am Museum ein. Der Andrang überschaubar. Freundlicherweise erhalten wir Einlass. Danke! Diashow der Fotoserie Van Gogh Museum






Reijksmuseum

Rijksmuseum aus Richtung Museumsplein
Highlight unseres Kulturtrips ist das als Rijksmuseum bezeichnete niederländische Nationalmuseum. Der beeindruckende Komplex präsentiert eine große Vielfalt kunst- und kulturgeschichtlich herausragender Artefakte. Im Besitz des Museums befinden sich ca. 1,1 Millionen Objekte, von denen ca. 8.000 auf einer Fläche von 14.500 qm nicht nur ausgestellt, sondern auf der Bühne ihrer architektonischen Umgebung auf höchstem Niveau inszeniert sind. Keine Kurzbeschreibung kann dem Erlebnis des Gesamteindrucks gerecht werden.
Den Besuch beginnen wir mit einem Frühstück im Museumsrestaurant, ehe wir ohne Gedränge mehrere Stunden durch die Ausstellungsräume schlendern. Gegen Mittag wird es zunehmend voller. Wir haben bereits unsere Eindrücke gesammelt und starten zu einem Spaziergang durch die Altstadt. Diashow der Fotoserie Rijksmuseum



Stadtrundgang

De Waag am Nieuwmarkt
Auf dem Weg in Richtung Leidseplein schlendern wir am Paradiso vorbei, ehemals ein Kirchengebäude, das 1968 zu einem Jugendzentrum umgewandelt wurde. Der Anblick erinnert an etliche Nächte Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre in einem für damalige Verhältnisse unglaublich freizügigen Club, dessen Atmosphäre zu dieser Zeit mit dem von preußischer NS-Kultur geprägtem deutschem Spießbürgertum heftig kollidierte und uns ein faszinierendes Gefühl von Freiheit mit prägendem Einfluss auf das eigene Leben vermittelte.
Vom Begijnjof spazieren wir zur Zuiderkerk und weiter zur historischen Stadtwaage 'De Waag' am Nieuwmarkt, mittelalterlicher Hinrichtungsplatz und Viehmarkt. Wir durchqueren das Rotlichtviertel 'De Wallen', in dem Prostitution völlig unaufgeregt und so selbstverständlich wie jedes andere Handwerk angeboten wird. In dem Viertel liegt die Oude Kerk, das älteste erhaltene Bauwerk der Stadt. Wie viele andere Kirchen Amsterdams ist auch die Oude Kerk säkularisiert und wird als Museum genutzt.

Königspalast am Dam
Ein bescheidener Weihnachtsmarkt auf dem 'Beursplein' neben dem historischen Börsengebäude hält uns auf dem Weg zum 'Dam' nicht auf. Der äußerlich eher schmucklose Königspalast am zentralen Hauptplatz der Stadt ist nicht bewohnt und kann besichtigt werden, wenn er nicht gerade repräsentative Zwecke erfüllt.










Nationaldenkmal am Dam
Gegenüber dem Stadtschloss ragt die Stele des Nationaldenkmals auf, das an die Opfer der deutschen Besetzung der Niederlande im Zeitraum 1940-45 erinnert. In den späten 60er Jahren sammelten sich hier niederländische 'Provos', 'Gammler', 'Kiffer', 'Junkies', 'Dealer' und Rucksacktouristen aus aller Welt. 'Politie' war zwar ständig präsentiert, griff jedoch im Normalfall nicht ein. Allein diese Tatsache empfanden wir bereits als ebenso verblüffend wie irritierend.
 'Moffen' (abwertender Begriff für Deutsche) waren zu dieser Zeit in den Niederlanden nicht immer willkommen. Am 'Dam' waren sie integriert. Eine in der Vergangenheit mitunter spürbare und historisch durchaus nachvollziehbare Zurückhaltung oder auch verhaltene Feindlichkeit von Holländern gegenüber Deutschen scheint inzwischen aufgelöst zu sein. Wir können jedenfalls nur von freundlichen Begegnungen berichten.



Nieuwe Kerk am Dam
Die spätgotische Nieuwe Kerk (15./16. Jahrhundert) am 'Dam' ist die zweitälteste Kirche Amsterdams, dient aber mangels 'Kunden' nur noch bei besonderen Ereignissen sakralen Zwecken. Das Kirchenschiff der Nieuwe Kerk wird überwiegend für hochwertige temporäre Ausstellungen genutzt. Die aktuelle Ausstellung (5.10.2013 - 2.02.2014) über die chinesischen Kaiser der Ming Dynastie (14.-17. Jahrhundert) ist uns einen Besuch wert. Fotos sind leider nicht gestattet.








Westerkerk
Auf dem Rückweg zum Hotel gestatten wir uns eine Schleife über die Westerkerk mit ihrem berühmten Westturm. Leider ist die Kirche verschlossen. Anschließend folgen wir der Prinsengracht bis zum  Leidseplein, von dem unser Hotel nur einen Steinwurf entfernt liegt.









Stedelijk Museum

Stedelijk Museum aus Richtung Museumsplein
Der Vormittag des Abreisetages ist für den Besuch des Stedelijk Museums reserviert. Die Außensicht der 'Badewannen-Architektur' des Neubaus vermag zu polarisieren. Ihre Qualität erweist die Archtiektur bei einem Rundgang durch das Museum. Uns zieht das Museum vor allem wegen seiner großartigen Sonderausstellung 'Kazimir Malevich und die russische Avantgarde' (19.10.2013 - 2.02.2014) an (1).
Interessierten bietet diese Ausstelllung einen faszinierenden Blick auf die vielfältig-reiche Schaffensperiode und Persönlichkeit des Künstlers im Kontext eines dynamischen Wandels des politischen und sozialen Umfeldes (2).
Auch wenn die aktuelle Präsentation der ständigen Sammlung nicht das gleiche Niveau erreicht, lohnt sie allemal einen Besuch. Diashow der Fotoserie Stedlijk Museum


Restaurants

Diner in der Brasserie Van Baerle
Die ehemals legendär schlechte holländische Küche hat sich erfreulicherweise zu ihrem Vorteil positiv entwickelt. Wir folgen einer Empfehlung der Reiseliteratur und speisen am ersten Abend in der Brasserie Van Baerle. Das Restaurant ist ausgebucht, aber dank Reservierung erhalten wir gerade noch einen Tisch nach 20:00 Uhr. Das Restaurant glänzt weniger mit seiner Küche als mit seiner lebendigen Atmosphäre in gepflegter Umgebung. Allerdings ist es aufgrund mehrerer großer, lustiger Gruppen ziemlich laut.
Am zweiten Abend wählen wir am Leidseplein das Restaurant Stanislawski im Gebäude der Stadsschouwburg und sind erneut mit unserer Entscheidung zufrieden.
Über Englischkenntnisse sollte man in Amsterdam nicht nur in Restaurants verfügen. Deutsche Speisekarten sind nicht üblich, weil deutsch in der Stadt keine gebräuchliche Verkehrssprache ist. In der englischen Sprache sind Holländer bemerkenswert fit.
Bis bald! 


Anmerkungen zum Konzept der Ausstellung 'Kazimir Malevich und die russische Avantgarde" im Stedelijk Museum


(1) Die Ausstellung ist vom 11.03.-22.06.2014 in der Bundeskunsthalle Bonn sowie vom 17.07.-26.10.2014 in der Tate Modern in London zu sehen.

(2) Noemi Smolik konstatiert am 30.12.2013 in einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen ("Mit Bilderwaffen die Würde der Bauern verteidigen") bemerkenswerte Missverständnisse der Ausstellungskuratoren. Die Ausstellung habe die Chance vertan, "Malewitsch vor dem Hintergrund des historischen Geschehens in Russland gerecht zu werden und nicht wieder die eigenen, durch das westliche Konzept der Moderne geprägten Erwartungen in sein Werk zu projizieren". Noemi Smolik behauptet nicht nur, sie begründet auch:
  • Die Ausstellung suggeriere, dass Malevich seinen Malstil in zeitlicher Kontinuität entwickelt habe. Tatsächlich habe Malevich jedoch parallel in mehreren Stilen gemalt.
  • Malevich verstehe seine gegenstandlosen Bilder nicht als Abstraktion, sondern als ein absurdes Spiel oder eine Parodie auf den westlichen Fortschrittsglauben bzw. auf die Auffassung, dass ein Kunstwerk ein von Vernunft geprägtes logisches Verhältnis zur Wirklichkeit zeige. Mit seinen gegenstandslosen Bildern lehne sich Malevich vielmehr gegen den Überlegenheitsanspruch der westlichen Moderne auf, indem er die westliche Dominanz unterlaufe. 
  • Für Malevich und die russische Avantgarde zeige Malerei kein mehr oder weniger konkretes oder abstraktes Abbild der Wirklichkeit, sondern sie verweise auf höhere Prinzipien (Anmerkung: Gemeint sind vermutlich Prinzien menschlichen Verhaltens, die sich nicht aus der unmittelbaren Beobachtung erschließen). Aus diesem Grund wende sich die russische Avantgarde Ikonenmalerei und Bauernmotiven zu und beziehe sich damit auf die eigene Tradition.
  • Von Malevich definierte Titel einiger Bilder würden die Kuratoren unterschlagen, um die Bilder dem Deutungskontext dieser Ausstellung gefügig zu machen. 
  • Bauernmotive begleiten Malevichs Arbeiten durch alle Schaffensperioden. Wenn Noemi Smolek fragt, ob "seine nach 1928 entstandenen Bauernbilder nicht ein bewusster Aufschrei gegen die Vernichtung der russischen Bauernschaft und ihre Kultur waren", liefert sie die Antwort implizit mit.     
Diese Anmerkungen sind nicht als Plädoyer gegen einen Ausstellungsbesuch zu verstehen. Im Gegenteil werben sie stattdessen für einen Besuch dieser spannenden Ausstellung und für eine Auseinandersetzung mit kontroversen Sichtweisen. Eine Bewertung von Noemi Smoliks Verdikten bleibt der Expertise von Fachleuten überlassen.

(Die Schreibweise des Malernamens ist in den Varianten "Kazimir Malevich" und "Kasimir Malewitsch" verbreitet, weshalb unterschiedliche Schreibweisen nicht irritieren sollten.)

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