Nach dem überaus interessanten Besuch des Weingutes Elena Walch (Post vom 5. Juli 2018) sind wir gespannt auf das Weingut Alois Lageder, bei dem wir zu einer Kellerführung mit Verkostung angemeldet sind (Führungen, 12 € pP). Alois IV übernahm 1974 das 1823 gegründete Familienweingut in 5. Generation(1). Die Qualität des Südtiroler Weins befand sich damals auf ihrem Tiefpunkt. Der Markt wurde mit billigen Massenprodukten überschwemmt, vor allem Vernatsch für den Eigenbedarf, den außerhalb Südtirols niemand trinken wollte. Alois Lageder hat andere Vorstellungen vom Wein und orientiert sich am Weinbau in Burgund und im Bordeaux. Er verabschiedete sich von Fassware und Literweinen, reduzierte Erträge, stellte auf für Südtirol untypische Reberziehungen um und baute Traubensorten wie Chardonnay, Pinot Noir, Cabernet Sauvignon, Merlot, Petit Verdot, Sauvignon Blanc an. In Südtirol erklärte man Alois Lageder für verrückt. Allmählich einsetzender Erfolg gab ihm Recht und machte Alois Lageder zum Pionier des Südtiroler Qualitätsweinbaus. Der Austausch mit Rainer Zierock, in Südtirol wirkender Önologe und Weinphilosoph aus Württemberg, inspirierte Alois Lageder zur biologisch-dynamischen Wirtschaft nach anthroposophischen Prinzipien (Biodynamie), die sich in ganzheitlicher Betrachtung der Versöhnung von Natur und Kultur verschreibt.(2) In der Gegenwart gilt das Weingut Alois Lageder als Ikone des Südtiroler Weins und Alois Lageder darüber hinaus als bedeutender Förderer zeitgenössischer Kunst.(3)
- Fotoserien: Weingut Alois Lageder - Rundgang in Margreid
Rundgang in Margreid
Margreid liegt als eines der südlichsten Dörfer der Südtiroler Weinstraße abseits touristischer Hauptrouten und scheint sich an Felswänden des Fennberges anzulehnen. Trotz zahlreicher historischer Gebäude war Margreid lange in einem Dornröschenschlaf versunken, aus dem es in der Gegenwart allmählich zu erwachen scheint.(4) In Margreid finden wir in geschwungenen Gassen repräsentative Gebäude mit Torbögen, steingerahmten Rundbogenfenstern und gotischen Erkern sowie nicht weniger als sieben steinerne Dorfbrunnen. Beim Augustin-Haus in der Grafengasse treffen wir auf die als Naturdenkmal ausgewiesene älteste datierte Weinrebe Europas (1601), die noch immer Früchte trägt.
Zwei von mehreren Ansitzen im Dorf befinden sich im Besitz von Alois Lageder. Die Gebäude liegen ca. 100 m auseinander. Den Ansitz Löwengang kaufte Alois III 1934. In Anbauten der 1990er Jahre befinden sich die Weinkeller und findet die Vinifizierung statt. 1991 erwarb Alois Lageder IV das Weingut Casòn Hirschprunn mit 30 ha Weinbergen und historischen Gebäuden im Zentrum des Weindorfes Margreid. Nach umfangreichen Umbauten eröffnete Alois Lageder im Casòn Hirschprunn ein Restaurant und verlegte Verkostungs- und Verkaufsräume des Weingutes in den Ansitz (Vineria Paradeis). Einige historische Gebäudeteile werden als Eventlocation genutzt.
Mittagsimbiss in der Vineria Paradeis
Wir sind mit Bus und Bahn aus Seis angereist und nutzen die Zeit bis zum Beginn der Kellerführung für einen Imbiss mit Weinbegleitung in der Vineria Paradeis. Trotz böigem Wind sind Tische im Hof des Ansitzes eingedeckt. Autokennzeichen geparkter Gästeautos und Tischgespräche verraten, dass sich das Restaurant heute in deutscher Hand befindet.
Wir haben reserviert und werden prompt bedient. Als Gerichte wählen wir Risotto mit roten Beten und Ziegenfrischkäse sowie Tagliolini mit Rehragout und sind zufrieden. Unsere Weinbegleiter, ein Sauvignon Blanc 2017 der klassischen Linie sowie der biodynamisch ausgebaute Lagrein Riserva CONUS 2014, stellen uns ebenso zufrieden. Die Rechnung über insgesamt 41,70 € (inkl. 2 Kaffees) werten wir in Anbetracht der gebotenen Qualität als angemessen.
Kellerführung im Weingut Alois Lageder
Eine neunköpfige Gruppe deutscher Touristen findet sich zur Kellerführung ein. Als Guide stellt sich Christian vor, Mitarbeiter des Weingutes für Vertrieb & Marketing und Export Area Manager mehrerer europäischer Länder, u.a. Deutschland. Während der Führung outet sich Christian als Fan deutscher Rieslingweine, die seines Erachtens weltweit unübertroffen sind und die für ihn an der Spitze aller Weißweine stehen. Mit diesem Statement hat Christian uns sogleich gewonnen. Nach Begrüßung und Auftakt im Casòn Hirschprunn ziehen wir um zum Ansitz Löwengang, um Produktionseinrichtungen und Keller zu besichtigen.
Im Ansitz Löwengang gehen wir der nach Art und Qualität des Leseguts differenzierten Prozesskette der Vinifizierung nach, beginnend bei der Anlieferung des Traubenguts, über das Rebeln (sofern keine Ganztraubenverarbeitung stattfindet), Maischen und Pressen, die Gärung, Reifung und Lagerung bis zur Flaschenabfüllung. Da auf dem Weingut sowohl biodynamisch zertifiziertes Lesegut als auch konventionelles Lesegut verabeitet wird und zwischen beiden Arten von Lesegut keine Kontakte stattfinden dürfen, ist eine strenge Trennung zwischen biodynamischem und konventionellem Lesegut erforderlich. Christian erklärt Funktionen von Einrichtungen, Arbeitsweisen von Maschinen, Transportwege und zeitliche Abläufe. Der gesamte Produktionsprozess und die Infrastruktur der Wirtschaftsgebäude sind auf eine möglichst schonende Verarbeitung von Trauben nach Prinzipien biodynamischer Wirtschaft ausgerichtet.(5) Die Arbeit der Kellermeister und deren Geheimnisse bleiben bei der Führung ausgespart.
Kommentierte Verkostung von 4 Weinen des Weingutes Alois Lageder (6)
Nach einstündiger Kellerführung und Theorie möchten wir selbstverständlich Ergebnisse in der Praxis kennenlernen. Die Verkostung von 4 Weinen des unteren Preissegmentes findet im Casòn Hirschprunn statt, in dem wir an die Theke des Verkaufsraums gebeten werden. Der Ort ist unglücklich gewählt, weil Christians Kommentare vom Geräuschpegel des Publikumsverkehrs und der Verkaufsgespräche überlagert werden und häufige Nachfragen erforderlich machen. Christian zeigt sich geduldig und geht bereitwillig auf alle Fragen ein. Eine intimere Atmosphäre kann er jedoch nicht herstellen. Die Zusammenstellung der Verkostung werten wir als ungeschickt. Die Genialität jener Weine, die den Ruf des Weingutes rechtfertigen, vermittelt sich uns nicht. Außerdem vermissen wir Brot und Wasser, die zur Neutralisierung des Geschmacks verhelfen. Positiv anzumerken sind feine Riedel-Gläser.(7)
- Die Verkostung beginnt mit einem Beta Delta Bianco 2017 aus biodynamischem Anbau, eine Cuvée aus 60 % Müller Thurgau (aus dem Eisacktal), 35 % Pinot Grigio, 5 % Gewürztraminer und erfreulichen 11,5 % Alkoholgehalt (13,50 € Flaschenpreis). Wenn wir von der fehlenden Kühlung absehen, dominiert u.E. der Gewürztraminer und überdeckt alle anderen Geschmacksnoten. Wer Gewürztraminer mag, den macht dieser Wein vielleicht glücklich. Wie zählen nicht zu dieser Gruppe.
- Unser zweiter Verkostungswein ist der Sauvignon Blanc 2017 (13,50 € Flaschenpreis), den wir bereits bei unserem Imbiss mit Trinkspaß probiert haben. Der Wein ist mit Naturhefen ausgebaut, 4 Monate im Stahltank gereift und glänzt ganz nach unserem Geschmack mit Frische, Mineralik, zarter Säure (5,9 Gramm) und dezenten floralen Noten.
- In der dritten Runde präsentiert Christian einen Lagrein Rosé 2017, ein leichter Sommerwein mit fruchtigen Erdbeer- und Himbeernoten (10,90 € Flaschenpreis). Zugegebenerweise ist unser Geschmack vermutlich beeinflusst von Rosés, die wir erst kürzlich auf unserer Reise durch Südfrankreich deutlich beeindruckender erlebt haben. Bei uns stellen sich Assoziationen an Himberwasser ein, das wir uns als Kinder aus Himbeersirup und Leitungswasser gemischt haben, weil Limonade zu teuer war.
- Zuletzt verkosten wir aus der Produktlinie "Kompositionen" einen St. Magdalener Oberingram 2017, eine in Beton-Zisternen ausgebaute Cuvée mit 90 % Vernatsch und 10 % Lagrein (10,90 € Flaschenpreis). Zugegeben, ein "Schüttwein", der sicher gut mit einem Speckbrett harmoniert. Vernatsch konnten wir jedoch bisher so wenig abgewinnen wie Speckbrettern. Schade um den Lagrein.
Am Rand unserer Gespräche erfahren wir, dass ein Hagelsturm am vergangenen Donnerstag in der Lageder-Top-Lage Römigberg (Cor Römigberg) am Kalterer See verheerende Schäden angerichtet hat, durch die voraussichtlich 90 % der Produktion vernichtet wurden.(7) In Seis hat der Hagelsturm nicht gewütet, aber das Wetter hat faszinierende Regenbogen produziert und außergwöhnliche Fotos ermöglicht.
- Fotoserie: Over the Rainbow
Anmerkungen
- Nach Önologie-Studium in Geisenheim und Dijon und Praktika auf renommierten Weingütern in den USA und Frankreich stieg 2015 Alois Lageders Sohn Alois Clemens als 6. Generation in das Weingut ein. Georg Meißner, aus Mannheim stammender Experte für biodynamischen Weinbau und einer der Lehrer von Clemens Lageder in Geisenheim, konnte als Kellermeister für das Weingut Alois Lageder gewonnen werden. - News Meininger Online 21.03.2013: Verstärkung im Weingut Lageder
- Einem breiteren Publikum wurde Rainer Zierock erst nach seinem Tod im Jahr 2009 durch seinen Wein 'Dolomytos' (gemischter Satz) bekannt. Auf dem Ansitz Dolomytos Sacker
über Bozen lebte Rainer Zierock ein Leben nach eigenen Vorstellungen
und suchte nach dem Geheimnis des absoluten Weins, das er im antiken
Griechenland fand. Ausgebaut wurde der aus vielen Rebsorten bestehende 'Dolomytos' in stark
getoasteten Holzfässern zu je 150 Litern, wie sie sonst nur für Whisky
und Sherry üblich sind. An der Vermarktung seiner Weine
war Rainer Zierock nicht interessiert.
Erst nach seinem Tod brachten Nachlassverwalter die Weine jahrgangsweise
behutsam in
den Markt. Jedes Fass wurde separat in Flaschen abgefüllt,
ohne den Inhalt von Fässern zu mischen. Je nach Fass fallen Weine eines Jahrgangs durchaus unterschiedlich aus. - Linke Weine: Ansitz Dolomytos Sacker, Unterinn am Ritten.
Rainer Zierock gilt als Vordenker einer sich in Entwicklung befindenden und zunehmend bedeutenderen radikalen internationalen Bewegung, die sich von vermeintlich unumstößlichen Dogmen der Weinherstellung befreit und stattdessen mit Weinstilen experimentiert, die als 'Orange', 'Raw' oder 'Natural' etc. bezeichnet werden.
In den 80er Jahren etabierte Rainer Zierock mit Rebellen der württembergischen HADES-Gruppe den Ausbau deutscher Weine im Barrique gegen den Widerstand der deutschen Weinlobby. - Aus der Unterwelt ins Rampenlicht - 25 Jahre Hades: Umsturz im Weinkeller
Elisabetta Foradori, ein Star des Weinszene Italiens, studierte Weinbau bei Rainer Zierock in San Michele all'Adige und ging mit ihm eine Ehe ein, die später zerbrach, aus der jedoch 3 Kinder hervorgehen. Rainer Zierock vermittelte Elisabetta Foradori entscheidende Anregungen der Weinerzeugung, auf deren Basis sich das Weingut zu einer Top-Adresse auf Weltniveau entwickelte.- Feinschmecker: Elisabetta Foradori - Eine Winzerin us dem Trentino - Das Weingut verarbeitet Trauben aus 150 ha Anbaufläche, von denen sich
50 ha im Privatbesitz befinden und zu 100 % biologisch-dynamisch
zertifiziert sind. Vertragswinzer liefern Traubengut aus weiteren 100 ha Anbaufläche, von denen mit wachsendem Anteil derzeit ca. 25 % biologisch-dynamisch
zertifiziert sind. Das Weingut produziert ca.1,2 Millionen Flaschen Wein pro Jahr. In Spitzenzeiten werden bis zu 4.000 Flaschen pro Stunde abgefüllt.
Alois Lageder übernimmt im Jahr 2000 die Präsidentschaft der Stiftung Museion, die als Kulturverein das Museion, Museum für moderne und zeitgenössische Kunst Bozen, verwaltet und fördert. Alois Lageder ist selbst Sammler moderner Kunst (Architektur & Kunst). Im Weingut werden regelmäßig Konzerte mit zeitgenössischen Kompositionen junger Komponisten veranstaltet, die vom Weingut inspririerte Werke aufführen (Vin-O-Ton). - Wikipedia: Liste der Baudenkmäler in Margreid
- Seit 2004 ist das Weingut von Demeter biodynamisch zertifiziert (Alois Lageder - Demeter Weingut in Südtirol). Seit 2016 ist Alois Lageder Präsident von Demeter Italien (Alois Lageder il nuovo presidente Demeter Italia).
Eine biodynamische Bewirtschaftung verlangt für das zu verabeitende Material die Vermeidung von Stress. Stress widerspricht dem Gebot des Respekts für die Natur und wirkt sich gemäß dieser Denkweise negativ auf die Qualität von Produkten aus. Beispiele der Umsetzung solcher Ideen auf dem Weingut Alois Lageder sind z.B.:- eine vertikale Struktur der Prozesskette. Sie nutzt Schwerkraft für den Transport, so dass auf Umpumpen (Stress!) weitgehend verzichtet werden kann.
- Luftzirkulation in den zum Felsen offenen Produktions- und Lagerräume, die Klimatisierung weitgehend verzichtbar machen.
- CO2-Emissionsfreiheit von Gebäuden und Produktion durch natürliche Lüftung mithilfe einer multifunktionalen Dachkonstruktion und einer Photovoltaikanlage.
- Reinigung und Wiederverwendung von Brauchwasser.
- Aufbrechen der Monokultur und herstellen von Biodiversität im Weinberg.
- Das Portfolio des Weingutes Alois Lageder (Weine) setzt sich aus 3 Hauptlinien zusammen :
- Klassische Rebsorten (Flaschenpreise für 0,75 l von 9,50 € bis 17,20 €)
- Kompositionen (Flaschenpreise für 0,75 l von 10,90 € bis 23,50 €)
- Meisterwerke (Flaschenpreise für 0,75 l ab 27,50 € nach oben offen)
- Unsere eigenen Anmerkungen zu den verkosteten Weinen sind selbstverständlich absolut subjektiver Art und erheben keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit.
- Meldungen zum Hagelsturm vom 5. Juli 2017:
Stol.it: Hagelsturm im Überetsch Unterland
News Meininger Weinwirtschaft: Verheerender Hagel in Kaltern
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