Freitag, 10. August 2018

Neues am Marinushof und in seiner Umgebung

Marinushof in Kastelbell Das Südtiroler Alpental Vinschgau ist berühmt und berüchtigt für seine Obst-Monokulturen, zu denen auch Wein mit einem kleinen Anteil zählt. Im 1.441 km² großen Einzugsgebiet beträgt die landwirtschaftliche Nutzfläche jedoch nur 0,5 %, von denen lediglich 7,1 % dem Obst- und Weinanbau dienen, während ca. 50 % der Fläche aus Wald und natürlichem Grünland bestehen, Ödland und Felsen 31,1 % einnehmen und 5,9 % der Fläche von Gletschern bedeckt sind.(1) Der Vinschgau ist selbstverständlich kein statischer Kultur- und Naturraum, sondern im Gegenteil von hoher Dynamik geprägt, deren Entwicklung wir seit mehr als 30 Jahren beobachten. Der aktuelle Post trägt einige Beobachtungen des Jahres 2018 zusammen und bewertet sie subjektiv. - Fotoserie

In Marein, Ortsteil von Kastelbell-Tschars, sind wir seit 2011 alljährlich Gäste am Marinushof, dessen Wein- und Brennerei-Erzeugnisse höchste Güte repräsentieren. In jedem Jahr überrascht uns der Marinushof mit Neuigkeiten.(2) Nachdem in Vorjahren der Weinkeller ausgebaut und der Hof gepflastert wurde, ist in diesem Jahr eine Erweiterung des Wohntraktes in Form eines auf dem Hauptgebäude liegenden Kubus an der Reihe (siehe Eingangsfoto). Dank schwarz lasierter Holzverkleidung fügt sich der Aufbau unauffällig in die Gesamtarchitektur. Aus der Distanz ist der Aufbau kaum auszumachen.

Vinschger Bahn vor dem Neubau der Obstgenossenschaft Juval Wie Erweiterungsgebäude auch ganz anders auftreten können, demonstriert die Brutal-Architektur eines neuen Lagerhauses der Obstgenossenschaft Juval. Funktional mag die Baumaßnahme zu rechtfertigen sein, aber warum muss es ein derartiger Klotz sein, der wie ein Reaktorblock anmutet und das Talbild dominiert?(3) Wenn die zur Zeit noch angebrachte weiße Folie von der schwarzen Außenverkleidung entfernt wird, macht sich das Gebäude zwar nicht kleiner, aber hoffentlich ein wenig unauffälliger. Möglicherweise wirkt es dann aber auch bedrohlicher. Über Architektur kann man unterschiedlicher Meinung sein, jedoch kaum über Baulärm, der von der Baustelle ausgeht. Die Frage, ob Tourismus in dieser Region auch zukünftig gewollt ist, stimmt in Anbetracht solcher Architekturen nachdenklich.


Pfarrkirche St. Andreas in Kastelbell-Marein Dass sich moderne Architektur harmonisch in die Bergwelt eines Alpentals einfügen lässt, beweist das Kirchengebäude der Pfarrkirche St. Andreas in Marein. Die Kirche ist kein Neubau. Sie wurde bereits 1973 errichtet, aber da die Baustelle der Obstgenossenschaft Juval vom Kirchplatz gut zu überblicken ist, lag es nahe, bei dieser Gelegenheit den Innenraum der Kirche zu besichtigen.






Neubau auf dem Nachbargrundstück des Marinushof Wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand motivieren zahlreiche Baumaßnahmen bzw. Baustellen für neue Wohngebäude, auf die wir überall im Tal treffen. U.a. wird in unmittelbarer Nachbarschaft des Marinushofs aktuell ein neues Wohnhaus fertiggstellt. Weiter Baustellen ziehen sich entlang der Alten Straße, die bisher nur dünn besiedelt war und vor allem als Wirtschaftsweg genutzt wird.






Tafel des Weinwanderwegs am Tschars-Schnalser Waal Am Sonnenberg befinden sich mehrere historische Waale, die ursprünglich der Bewässerung im Tal dienten, aber auch für Kornmühlen genutzt wurden. Wege entlang der Waale waren für die Wartung des Bewässerungssystems erforderlich. In der Gegenwart sind sie beliebte Wanderwege.(4) Im Gebiet der Gemeinde Kastelbell-Tschars führen Waalwege entlang oder auch durch Weinberge.(5) Auf diesem Abschnitt der Waalwege wurde im Sommer 2018 ein weiterer Themenweg als Weinwanderweg Via Vinum Venostis eingerichtet.(6,7) Entlang des Weges vermitteln Hinweistafeln Informationen zu Landschaft, Wein, Hofkellereien und Gastbetrieben.










Verkehrssituation und Verkehrsplanung im Vinschgau

Die von viel Skepsis begleitete Wiederbelebung der Vinschger Bahn im Jahr 2005 hat sich zu einem Erfolgsmodell entwickelt, das mittlerweile zum Vorbild für Verkehrsplanungen in anderen Regionen geworden ist, was sicher auch den günstigen Tarifen, den komfortablen Zügen und der guten Abstimmung des Verkehrsnetzes geschuldet ist. Allerdings ist mit ca. 2 Millionen Fahrgästen pro Jahr gegenwärtig die Kapazitätsgrenze der Vinschger Bahn erreicht. Entlastung durch Ausbau befindet sich jedoch bereits in Sichtweite. Bis zum Jahr 2020 werden die Strecke elektrifiziert, Bahnsteige verlängert, zusätzliche Gleise verlegt, weitere Züge angeschafft und vorhandene Züge umgerüstet. Das Maßnahmen-Paket macht eine Erhöhung der Zugfrequenz mit Verlängerung der Strecke über Meran hinaus bis Bozen möglich, lässt längere Züge zu, reduziert Emissionen, eröffnet Optionen zum weiteren Ausbau des Streckennetzes. Nicht zuletzt gestatten die Maßnahmen eine Ausweitung der Fahrgast-Kapazität und entlasten die Vinschger Staatsstraße, die als Hauptverkehrsader im Tal ein Nadelöhr darstellt.

Der Individualverkehr auf der Vinschger Staatsstraße SS38 wird aktuell mit durchschnittlich 13.200 Fahrzeugen pro Tag angegeben bei steigender Tendenz.(8) Aber was besagt schon der Durchschnitt? In Ferienzeiten ist die Menge der Fahrzeuge pro Tag erheblich höher.(9) Während Umfahrungen die Orte Laas, Kortsch, Schlanders, Latsch, Staben und Naturns schon länger entlasten und andere Dörfer in Randzonen vom Verkehr betroffen sind, rollte der gesamte Straßenverkehr durch Tartsch, Eyrs, Kastelbell und Rabland und provoziert in diesen Dörfern zunehmend unerträgliche Zustände. Kastelbell wird befreit. Im Herbst 2018 sollen Bauarbeiten für eine 3,36 km lange Umfahrung aufgenommen werden.(10) Geplant sind Anschlüsse ca. 450 m westlich von Schloss Kastelbell und im Osten auf Höhe der Gewerbezone Galsaun. Dazwischen soll der Verkehr durch einen 2.495 m langen Tunnel geführt werden. Die Bauzeit ist mit 4 Jahren angegeben. Geplante Baukosten betragen 82,3 Mio €.(8) Die Qualität der Planung wird erst die Zukunft erweisen. Bekanntlich liegen bei komplexen, mehrjährigen Großprojekten oft Welten zwischen Planung und Realität.

Blick von der Vermoispitze auf Kastelbell, Marein, Latschinig Offensichtlich findet im Vinschgau ein signifikantes wirtschaftliches Wachstum statt, mit dem strukturelle Veränderungen einhergehen. Wir nehmen wahr, dass an vielen Orten im Vinschgau die von Gewerbebetrieben belegten Flächen wachsen. Selbst aus fast 3.000 m Höhe wirkt der Gebäudekomplex der Obstgenossenschaft Juval wie eine Blockade des Tals. Dies ist jedoch nur ein Beispiel von zahlreichen weiteren. Gewerbeflächen bei Galsaun, Latsch, Goldrein, Schlanders oder Prad haben sich in den letzten Jahren stark ausgedehnt. Dementsprechend nehmen zwangsläufig auch Schwerverkehr, Lärmbelästigungen und Emissionen zu. Für Vinschger (Einwohner des Tals) dürfte diese zum individuellen Wohlstand beitragende Entwicklung erfreulich sein. Stillstand oder gar eine Umkehrung dieser Entwicklung sind nicht zu erwarten.
Wo Licht ist, werden auch Schatten geworfen. Für uns als Ruhe suchende Großstädter nimmt mit dieser Entwicklung die Attraktivität des Vinschgaus als Urlaubsregion ab.  Für das nächste Jahr haben wir bereits erneut reserviert, weil wir die herzliche, freundschaftlich-familiäre Atmosphäre der Gastgeber am Marinushof als einzigartig empfinden und wir diese Atmosphäre immer wieder neu genießen. Zusätzlich bereiten uns Begegnungen mit der Wein-Welt in Theorie und Praxis außerordentlich großes Vergnügen. Dennoch regt sich aufgrund der beschriebenen Entwicklungen der Wunsch nach Alternativen für die Folgejahre.

Anmerkungen
  1. Die Zahlen sind dem Wikipedia-Artikel Vinschgau entnommen und beruhen auf einer Zählung des Jahres 2000. Sie sind daher nicht aktuell, vermitteln aber ein Gefühl für die Flächenstruktur im Vinschgau.
  2. Auch in den Vorjahren haben wir regelmäßig über Veränderungen und Events am Marinushof berichtet:
    07/2016: Kellerführung und Weinverkostung am Marinushof in Marein
    07/2016: Neues am Marinushof in Marein
    08/2015: Neues vom Marinushof in Marein
    09/2013: Zehnkämpfer im Tal der Äpfel am Marinushof
    07/2012: Ferienunterkunft Marinushof bei Kastelbell-Marein
    08/2011: Weinverkostung auf dem Marinushof
  3. Vermutlich verdrängen wirtschaftliche Gründe alle anderen Erwägungen. Ein Bau in die Höhe dürfte kostengünstiger sein als ein Bau in die Tiefe und bei einem Bau in die Breite würden dauerhaft landwirtschaftliche Nutzflächen verloren gehen. 
  4. Vinschgau.net: Die Waalwege im Vinschgau in Südtirol 
  5. Vinschgau.net: Weinbau in Kastelbell-Tschars
  6. Vinschgau.net: Themenwanderungen in Kastelbell-Tschars
  7. Bericht zur Eröffnung des Themenwegs im "Der Vinschger": Zum Genuss über die Via Vinum Venostis
  8. Südtirol News: Umfahrung von Kastelbell und Galsaun vorgestellt 
  9. Das Landesinstitut für Statistik ASTAT der Provinz Bozen weist für die Messpunkte Töll und Rabland in den Monaten Juli, August, September auf der SS38 täglich mehr als 20.000 Fahrzeuge aus, die nur von der mehrspurig ausgebauten Strecke zwischen Meran und Bozen übertroffen wird. Für die Zählstelle Töll sind für alle Monate des Jahres 2017 mehr als 13.200 Fahrzeuge ausgewiesen. An der Zählstelle Rabland liegt die Zahl der Fahrzeuge nur im Monat Januar 2017 leicht unterhalb des Durchschnitts: Durchschnittlicher Tagesverkehr nach Fahrzeugkategorie 
  10. Informationen der Südtiroler Landesverwaltung: Kastelbell und Galsaun - Umfahrung - Umfahrung von Kastelbell und Galsaun vorgestellt

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