Mittwoch, 31. August 2022

Reisetagebuch Kurzreise nach Pünderich an der Mosel

Moselfähre und Marienburg Altes Fährhaus am Moselufer Pünderich Pünderich
 
Die Schönwetterlage und das 9-Euro-Ticket nutzen wir für eine Kurzreise zum Mosel-Weindorf Pünderich im Landkreis Cochem-Zell. In Pünderich wohnen wir mit Halbpension-Arrangement im sehr angenehmen Hotel Zur Marienburg. Der Name des Hotels bezieht sich auf die Marienburg auf dem Petersberg der gegenüberliegenden Moselseite, zu der wir vom Hotelzimmer blicken. Im 12. Jahrhundert wurde der Komplex als Kloster errichtet. Nach wechselvoller Geschichte, Zerstörung und Wiederaufbau dient er in der Gegenwart als Jugenbildungsstätte des Bistums Trier. Das Bistum hat entschieden, dieses Bildungszentrum zum 31.12.2023 aufzugeben. Das Schicksal des Gebäudekomplexes ist noch ungewiss. Gewiss ist: Pünderich, das Hotel und die Wanderregion sind Entdeckungen, die unsere Reiseziel-Hitliste bereichern. 
 

Das Weindorf Pünderich hat ca. 800 Einwohner und nicht weniger als 23 Weingüter sowie mehrere Gästebetriebe. Weine der Ortslagen (59 % Rieslinge) werden in Steillagen angebaut und haben eine hohe Mineralität bei niedrigem Alkoholgehalt. Im alten Ortskern sind Fachwerkhäuser aus dem 16. Jahrhundert erhalten. 'Mosel-Ballermann' ist in Pünderich angenehmerweise Fehlanzeige. Den Aufenthalt in Pünderich nutzen wir für zwei attraktive Wanderungen in der Umgebung. 
 

Wanderung auf Abschnitten des eisenbahnhistorischen Kulturwegs Kanonenbahn und des Moselsteigs - Fotoalbum
 
Moseltal, Reil Blick vom Leofelsen nach Alf und Bullay Moseltal, Marienburg, Pünderich

Foto links:    Blick vom Moselsteig zum Weindorf Reil
Foto Mitte:   Blick vom Leofelsen auf Alf und Bullay im Moseltal
Foto rechts: Blick vom Aussichtsturm Prinzenkopf auf Pünderich und die Marienburg im Moseltal
 
Die Fähre Pünderich ist nicht in Betrieb, weil der Fährmann erkrankt ist. Um den Moselsteig auf dem gegenüberliegenden Ufer zu erreichen, folgen wir zunächst dem eisenbahnhistorischen Kulturwanderweg Kanonenbahn, auf dem wir beim Weindorf Reil die Mosel überqueren. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 musste Frankreich Elsaß-Lothringen an Deutschland abtreten. Eine in 1870er Jahren gebaute Eisenbahnverbindung von Berlin nach Metz diente primär nicht wirtschaftlichen, sondern militärstrategischen Zwecken und wurde daher als Kanonenbahn bezeichnet. Mit der Bahnstrecke sollte die Region an Deutschland angebunden werden. Die Bahnstrecke wurde u.a. für den Transport schwerer Eisenbahngeschütze genutzt. Ab Reil treffen wir auf Etappe 14 des Moselsteigs und folgen ihr über den Aussichtspunkt Leofelsen, der Drieschhütte und dem Aussichtsturm Prinzenkopf bis zur Marienburg, von der wir in Richtung Bullay absteigen. Via Doppelstockbrücke Alf-Bullay überqueren wir die Mosel und fahren ab dem Bahnhof Bullay mit der Buslinie 720 zurück nach Pünderich (ca. 13 km, 4 Stunden Gehzeit).


 
Moseltalradweg Pünderich-Briedel am Briedeler Herzchen Blick von der Hindenburglay auf das Moseltal, Briedel, Marienburg Blick vom Beinter Kopf auf das Moseltal, Zell, Kaimt

Foto links:    Moselradweg an der Weinlage Briedeler Herzchen
Foto Mitte:   Blick vom Aussichtspunkt Hindenburglay nach Briedel im Moseltal
Foto rechts: Blick vom Aussichtspunkt Beinter Kopf auf Zell und den Ortsteil Kaimt im Moseltal

Um den Rundweg Moselsteig Seitensprung Briedeler Schweiz zu erreichen, folgen wir ab Pünderich dem Moselradweg ca. 3 km bis Briedel. In Briedel durchqueren wir den Ortskern, in dem wir auf die ersten Wandermarken treffen. Ein schattiger Rundweg führt mit einigen kräftigen Rampen über mehrere Aussichtspunkte. Schatten ist heute wichtig, denn die Temperatur erreicht fast 30 Grad im Schatten. Der höchste Punkt des Weges ist mit 390 m die Schöne Aussicht, an der ein Picknickplatz zu einer Rast einlädt. Hier genießen wir das Lunchpaket, mit dem uns das Hotel Zur Marienburg im Rahmen des Arrangements ausgestattet hat. Glücklicherweise ist der Rückweg auf dem Moselradweg nach Pünderich überwiegend beschattet. (10,5 km Rundweg + ca. 6 km Pünderich-Briedel, 4:50 Std. Gehzeit) 

 
Reiseerlebnisse unserer Bahnreise - Lernreise Geschichte Real Life
 
Überfüllte Züge und Gedränge auf Bahnhöfen sind auf dieser Reise keine Überraschung, sondern aufgrund des auslaufenden 9-Euro-Tickets bei sommerlicher Wetterlage zu erwarten. Immerhin vermeiden wir mit dem Ticket allein bei dieser Reise 150 € Reisekosten. Dass Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln für uns wirtschaftlicher wäre als der Unterhalt eines Autos, das wir fast ausschließlich für private Reisen nutzen, ist offensichtlich und rechnerisch ohne große Mühe nachzuvollziehen. Wirtschaftlichkeit ist jedoch nicht der einzige Aspekt hinsichtlich Für und Wider des Unterhalts eines Privat-Kfz. Zu beachten sind auch Fragen von Komfort, Freiheiten, Zuverlässigkeit, gesundheitlicher Risiken in Corona-Zeiten sowie von Unfall-Risiken der Verkehrsmittel. Für manche Menschen ist ein Auto ein Status-Symbol. Diesen Aspekt können wir vernachlässigen, weil wir keine Status-Symbole benötigen. Bewertungen dieser Aspekte und deren Gewichtung sind individuell geprägt. Einfache Antworten gibt es nicht. Mit Bahnreisen der vergangenen Wochen nähern wir uns jedoch Antworten in Relation zu unserem individuellen Bedarf und zu unseren Ansprüchen. Sicher scheint uns zumindest zu sein, dass Bahnfahrten unterhaltsamer sind als Autofahrten, womit noch nichts über die Qualität der Unterhaltung ausgesagt ist. Wie diese Aussage zu verstehen ist, machen Reiseerlebnisse der letzten Kurzreise deutlich.
 
 
Hinreise 28.08.2022
 
Auf der Hinreise ist der 9:30 Uhr-Zug von Köln nach Koblenz total überfüllt. Wir stehen 1:20 Std. am gleichen Platz im Gang zwischen den Sitzen. Ein wenig Bewegung ist nur möglich, wenn Reisende an Haltestellen zusteigen oder aussteigen. Überwiegend steigen jedoch Reisende hinzu. Wegen Überfüllung sammelt der Zug auf der Strecke 15 Minuten Verspätung ein. Der Zug endet in Koblenz, sodass alle Reisenden aussteigen müssen. Am Bahnsteig setzt ein furchterregendes Gedränge ein, weil etliche Reisende zu ihren Anschlüssen hetzen. Wir wollen nicht ausmalen, was passieren würde, wenn Panik entstände.
 
Von unseren 20 Minuten Umstiegzeit sind bereits 15 verbraucht. Auch auf dem Weg vom Gleis 9 zum Gleis 2 herrscht Gedränge. Den Anschlusszug in Richtung Kaiserslauten erwischen gerade noch vor der Abfahrt und können sogar Sitzplätze ergattern, obwohl auch dieser Zug sehr voll ist und an jeder Station voller wird. Der Zug erreicht Bullay pünktlich. Mit 10 Minuten Umstiegzeit ist der stündlich nach Traben-Trabach verkehrende Bus locker erreichbar.
 
 
Rückreise 31.08.2022

Der in Kaiserslautern eingesetzte Zug trifft in Bullay mit 2 Minuten Verspätung ein. Das ist fast schon sensationell, zumal der Zug beim Eintreffen in Bullay bereits 'rappelvoll' ist. Auf dem Bahnsteig warten Hunderte Reisende auf den Zug. Wir wissen nicht, ob alle zusteigen können. Wir können in den Zug drängen, müssen aber bis Koblenz ca. 50 Minuten stehen. 
 
Dass Kinder und jüngere Menschen ihre Plätze für ältere, alte und gebrechliche Reisende freigeben, ist nicht mehr üblich. Wenn solches Verhalten zu beobachten ist, handelt es sich um Ausnahmen, wie im Fall einer mit Hidjab bekleideten jungen Frau, die für ältere Reisende ihren Sitzplatz räumt. Weitere Ausnahmen sind uns heute nicht aufgefallen. Hemmunglos laut geführte lange Telefonate im dicht gefüllten Zug machen uns klar, dass wir aus der Zeit gefallen sind. In sozialen Kontexten dieser Art durchscheinende Themen wie Sozialisation, Erziehungsstile, Werteorientierung, soziale Kompetenz, abweichendes Verhalten, sozialer Wandel, Gegenwartskultur, Subkultur, soziale Stratifikation, Habitus etc. und Zusammenhänge zwischen ihnen beackern Soziologen im wissenschaftlichen Feld ihrer Domäne. Eine Vertiefung würde den Raum dieses Posts sprengen. Vielleicht ein andermal an anderer Stelle.
 
Der Zug unserer Weiterfahrt von Koblenz nach Köln pendelt zwischen Oberhausen und Koblenz. In Koblenz leert sich der Zug und wird neu besetzt. Auf dem Koblenzer Bahnsteig stehen wartende Reisende dicht gedrängt. Soweit wir das beoabachten können, findet jeder einen Platz. Das ändert sich jedoch zunehmend, weil an jeder Station viele Reisende zusteigen und nur wenige aussteigen.

In Sichtweite sitzt eine dreiköpfige Gruppe junger Leute im Alter Anfang 30, zwei Männer und eine Frau, vom Typ her wirken sie serbisch-kroatisch, jedenfalls südländisch und tragen keine verbindlich vorgeschriebene Maske. Den Zug begleiten mehrere Security-Männer mit Bären-Figuren. Einer von ihnen fordert die Gruppe zum Maskentragen auf. Die Frau in 'Destroyed Jeans' und der eher unauffällige der beiden Männer folgen der Aufforderung. Der Dritte, ein drahtiger Mann vom Typ Kampfsportler mit wilden Tatoos an Armen und lässiger Goldkette am Hals scheint der Anführer der Gruppe zu sein. Er verweigert die Maske und schaltet stattdessen auf seinem Smartphone laute Musik ein. Die Zugbegleiter werden ebenfalls laut. An der nun einsetzenden Eskalation beteiligen sich mehrere Fahrgäste. 
 
Stimmung gegen den Maskenverweigerer veranlasst ihn schließlich, eine Maske aus der Hosentasche zu ziehen und sie provokativ über Kinn und Mund unterhalb der Nase zu platzieren. Darauf erklärt die Security, die Gruppe habe den Zug am nächsten Bahnhof zu verlassen. Der Aufforderung kommt die Gruppe erwartungsgemäß nicht nach. Die Security verständigt per Telefon die Polizei, um am Bahnhof Remagen die Gruppe aus dem Zug holen zu lassen. "Mit diesen Personen fährt der Zug nicht weiter", erklärt der Chef der Security unter Applaus einiger Reisender. In Remagen wartet der Zug auf das Eintreffen der Polizei, die nach ca. 15 Minuten mit 3 Beamten auftritt und sich um Deeskalation bemüht. Die aufmüpfige Gruppe hat inzwischen den Zug verlassen und wird auf dem Bahnsteig von der Polizei empfangen. Bis der Sachverhalt aufgenommen ist, vergehen weitere 15 Minuten. 
 
Insgesamt hat der Zug jetzt 30 Minuten Verspätung, worauf einige Reisende mehr oder weniger erregt reagieren, weil sie ihre Anschlüsse verpassen werden. Unter den Reisenden bilden sich zwei Fraktionen, Befürworter und Gegner der Maßnahme. Wir zählen zu den Befürwortern. In unserer Reihe sitzt auf der anderen Seite des Gangs eine jüngere Frau, die ihrem drei- bis vierjährigen Sohn auf Deutsch ein französisches Kinderbuch erklärt. Aufgrund ihres Habitus (Sprache, Kleidung, Gestik, Körperhaltung) und des kindlichen Verhaltens sind die beiden im Bildungsmilieu einzuordnen. Die durch den Vorfall entstandene Verspätung versetzt die Frau in Erregung. Wir führen mit ihr eine Diskussion. 
 
Sie habe einen wichtigen Termin, den sie nun verpassen werde, erklärt sie ziemlich laut mit erregter Stimme und rechtfertigt persönlichen Unmut mit Nachteilen einer vermeintlich empörten Majorität. In der Realität kennt niemand diese Majorität, weil sie lediglich behauptet ist und eine konstruierte Projektion ihres eigenen Ärgers darstellt. Es sei ein Unding, argumentiert sie, dass "Tausende"(!) Reisende (bestenfalls Hunderte, die aber niemand gezählt und befragt hat) wegen der Lapalie einer Maskenverweigerung mit Verspätungen und verpassten Anschlüssen bestraft würden. Die Reaktion auf die Maskenverweiger sei eine krasse Unverhältnismäßigkeit. So etwas gebe es nur in Deutschland und sonst in Europa nirgendwo. Das sei wieder ein Beweis dafür, dass Bahnfahren eigentlich nicht ginge. Darum sei nicht verwunderlich, dass es der Bahn so schlecht gehe. 
 
Bildung schützt offensichtlich nicht vor Dummheit. Die Frau betreibt das beliebte, weil scheinbar einfache, tatsächlich aber unsinnige Spiel der Personalisierung komplexer Sachprobleme. Die prekäre Bahn-Situation ist durch Unterfinanzierung des Betriebs verursacht, die ein marodes Streckennetz und Personalengpässe bewirkt. Unterfinanzierungen sind in dieser Dimension nicht leicht zu korrigieren, weil sie politische Willensbildung mit auszuhandelnder Umverteilung eines prinzipiell nie ausreichenden öffentlichen Haushalts erfordert und Umverteilungen Konflikte an anderen Stellen auslösen. Probleme dieser Art betreffen nicht nur den Bahnverkehr oder die öffentliche Verkehrsinfrastrukur insgesamt, sondern es handelt sich um inhärente Probleme öffentlicher Güter (Kollektivgüter), die Marktsysteme nicht oder nur unvollständig bereitzustellen vermögen (hierzu zählen: Bildungssystem, Gesundheitssystem, Energieversorgung, Wasserversorgung, Luftqualität, Umweltschutz, Katastrophenschutz, Sicherheit gegen Bedrohungen von Außen und von Innen etc. sowie das politisches Regierungssystem) und der Tragik der Allmende ausgesetzt sind, weil Gemeingüter gegen Missbrauch kaum zu schützen sind.
 
Der Security-Chef argumentiert, es ginge um die Sicherheit und Gesundheit der Reisenden, für die er verantwortlich sei und die er nicht riskieren dürfe. (Lt. RKI haben derzeit 18 Millionen Erwachsene in Deutschland keinen ausreichenden Impfschutz gegen Covid-19!) Wir argumentieren, dass es hier um das Gemeinwohl bzw. um Durchsetzung dem Gemeinwohl dienender Regeln gehe und individuelle Nachteile prinzipiell von nachrangiger Bedeutung seien. Die Ego-Frau bleibt uneinsichtig-hartleibig. Unsere Intervention ist gescheitert. Wir fragen uns, warum Mitmenschen oft derart inkonziliant sind und was ihre Haltung verändern könnte. Antworten sind wahrscheinlich in individuellen Biographien zu finden. Diese Erlebnisse verweisen zugleich exemplarisch auf Probleme unserer Kultur, die wir nicht lösen können, aber auch nicht als Normalität hinnehmen wollen. Auf Autoreisen blieben wir von diesen Problemen verschont. Ist das besser oder schlechter? Die Bahnreise hat sich für die Beobachtung dieser sozialen Dynamik gelohnt. Täglich brauchen wir das nicht, aber sich hier offenbarende Probleme bestehen alltäglich.
 
In den noch immer überfüllten Zug drängen am Hauptbahnhof Bonn Hunderte Reisende. Der Zugführer erklärt über Lautsprecher, dass er die 1. Klasse wegen Überfüllung für alle Reisenden freigebe. Sitzplätze sollen vorrangig Müttern mit Kindern und älteren Reisenden überlassen werden. Ob diese Worte Wirkung entfalten, können wir nicht beobachten. Wir haben Zweifel.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen