Mittwoch, 15. März 2023

Reisetagebuch Kurzreise nach Schleswig-Holstein, 14.-19.03.2023 (Update 18.03.2023)

Blick aus der FeWo Seeidyll zum Wittensee Bei 5jähriger beruflicher Tätigkeit ab 2006 im Raum Kiel haben wir entschleunigte Natur und Kultur von Schleswig-Holstein kennengelernt und in unser Herz geschlossen, weshalb wir immer wieder gerne zurückkehren.
Vor Bauarbeiten im heimischen Wohnhaus flüchten wir mit einer Kurzreise in die Hüttener Berge, eine Wanderregion zwischen den Städten Rendsburg und Eckernförde in Schleswig-Holstein. Die gebuchte Ferienwohnung Seeidyll liegt im Naturpark Hüttener Berge im Hof Wittensee, den Familie Schröder in Klein Wittensee seit 500 Jahren landwirtschaftlich betreibt, unmittelbar am Wittensee, ein glazialer Endmoränensee. Die Landschaft ist mit der letzten Eiszeit (Weichsel-Kaltzeit) entstanden und mit ihr die Ostsee, Förden, Binnendünen (ehemalige Moränen), Moore, Urstromtäler mit Talsandflächen, zahlreiche glaziale Seen (u.a. die Mecklenburgische Seenplatte) und eine spezielle Vegetation. Die höchste Erhebung der Hüttener Berge ist der 105,8 m hohe Scheelsberg, dessen Gipfel wir uns noch zutrauen. Stabiles Wetter ist zu dieser Jahreszeit nicht zu erwarten, aber da sich in dieser Landschaft ein attraktiver Kulturraum entfalten konnte, ist keine Langweile zu befürchten. Über Erlebnisse der Kurzreise berichtet dieses Reisetagebuch forlaufend.

 
14.03.2023: Ankunft in der Ferienwohnung - Fotoserie
FeWo Seeidyll im Hof Wittensee Nach 6 Stunden Anreise mit Regen bis Hamburg erreichen wir am späten Nachmittag Klein Wittensee, ein Dorf mit wenig mehr als 200 Einwohnern. Im Unterschied zur bescheidenen Infrastruktur des Dorfes begeistern Landschaft und Ferienwohnung mit Ausblick auf den Wittensee. Spontan sind wir uns einig, dass wir einen Platz entdeckt haben, der uns sehr gefällt und das Programm unserer Standard-Reiseziele ergänzen sollte.
Ohne zu zögern haben wir noch am Ankunftstag für den Herbst einen weiteren Aufenthalt im Zeitraum 29.10.-12.11.2023 gebucht. Im Mai 2024 werden wir unsere alljährliche Rügenreise auf der Anreise mit einem einwöchigen Aufenthalt am Wittensee verbinden.
 
 
 

15.03.2023: Wochenmarkt mit Einkäufen in Eckernförde - Fotoserie
Morgendliches Schneekratzen am Hof Wittensee Am Morgen fällt etwas Schnee. Über den Tag wechseln Sonne und Niederschläge mehrfach. 
Wir lieben die Kleinstadt Eckernförde (Stadtrundgang), in der wir zunächst das gut organisierte Tourismusbüro aufsuchen, um uns mit Informationen und Kartenmaterial einzudecken. Danach besuchen wir den mittwochs und samstags am Rathaus stattfindenden Wochenmarkt, der als einer der attraktivsten in Norddeutschland gilt. Wir haben wenig Einkaufsbedarf und genießen vor allem das Marktflair. Einkäufe beschränken sich auf Matjesfilets für selbst zubereitete Matjesbrötchen, Stremellachs als Salatbeilage und ein zu erwärmendes Grünkohlgericht, das wir an einem Metzgerstand für das Abendessen erstehen und Erwartungen erfüllt.
Am Nachmittag lernen wir Frau Schröder kennen, Land Lord Lady unserer Unterkunft, mit der wir eine Weile schnacken. Die gestandene Landwirtin erzählt gerne. Wir erhalten zahlreiche Informationen, u.a. über die Geschichte des Hofs, und erfahren, dass Frau Schröder sich mit Aerobic und Pilates fit hält, was das Sympathiekonto gleich um einige Punkte erhöht.

16.03.2023: Wikinger-Museum Haithabu - Fotoserie
Blick über das Haddebyer Noor zum Wikinger-Museum Haitabu
Wikinger-Museum Haitabu am Haddebyer Noor
CC-BY-SA-4.0
Heute bleiben wir von Regen, Schnee, Frost verschont, aber niedrige Temperaturen und ein böiger Wind sprechen für einen Museumstag. Wir besuchen das Wikinger-Museum Haithabu am Ufer des mit der Schlei verbundenen Haddebyer Noors nahe der wahrscheinlich aus der Wikinger-Handelsniederlassung Haithabu hervorgegangen Stadt Schleswig. Von der historischen Handelsmetropole der Wikinger sind erst ca. 5 % ausgegraben. Dabei wurden mehr als 10.000, teilweise sensationelle Funde archäologisch gesichert. Teile der Funde werden seit 1985 im Museum Haithabu ausgestellt. Am ehemaligen Hafen der Siedelung stehen 7 rekonstruierte Wikinger-Häuser, die von April bis Oktober als Freilichtmuseum bespielt werden. Aktuell sind sie geschlossen. Seit 30.06.2018 ist der Handelsplatz mit seinem umgebunden frühmittelalterlichen Grenzbauwerk Danewerk ein UNESCO-Welterbe
 
 
 
Modell eines Wikinger-Kriegsschiffes
Modell eines Wikinger-Kriegsschiffes
Archäologisch gesicherte Relikte eines hochseetauglichen Wikinger-Kriegsschiffs sind das bedeutendste Ausstellungsobjekt des Museums. Mit Langschiffen dieser Art unternahmen Wikinger über 2 Jahrhunderte regelmäßig Beutezüge, die ihnen einen nachhaltigen Ruf als Schrecken Nordeuropas eintrugen. Auf Wikingerfahrten erreichten sie über Flusssysteme reiche Städte und Klöster, die sie plündeten und zerstörten, u.a. Köln im Jahr 862. Wikinger waren nicht nur kriegerisch unterwegs. Mit bauchigen Schiffen betrieben sie weitgespannte Handelsnetze im gesamten Ostseeraum und im atlantischen Raum und unterhielten in Nordeuropa zahlreiche Handelsstützpunkte (u.a. Haithabu). Laut archäologischer Datierung erreichten Wikinger Nordamerika 1021, 471 Jahre vor Christopher Kolumbus, dem irrtümlichen Entdecker Amerikas (Süddeutsche Zeitung: Die erste Reisegruppe), wo sie im Unterschied zu Grönland und Island nicht länger blieben. Auf einsamen Wanderwegen von Orkney Mainland haben wir an Grenzen europäischer Kultur auf Gezeiteninseln Wikingersiedlungen besichtigt: Brough of Deerness (Fotoserie 2009) und Brough of Birsay (Fotoserie 2017). 

17.03.2023: Leuchtturm Bülk, Drachenbahn Schilksee, Schilkseer Fischbrötchen - Fotoserie
 
Ankunft am Leuchturm Bülk Drachenbahn im Olympiazentrum Schilksee Schilkseer Fischbrötchen

Zum Ende unseres Aufenthaltes im hohen Norden wird das Wetter freundlicher. Wir unternehmen einen Revival-Ausflug nach Schilksee, wo sich während fast 5jähriger Tätigkeit in Kiel die Unterkunft in einem Appartement des Olympiazentrums befand. Trotz äußerlich abschreckender Plattenbauarchitektur hat das Leben in Schilksee berufliche Beschwerlichkeiten und Ärgernisse positiv überlagert. An diese Zeit erinnern wir uns gerne und möchten Erinnerungen auffrischen. In Schilksee steuern wir gezielt die Drachenbahn an, in der wir das Auto auf der Höhe des damals bewohnten Appartements parken. Die Umgebung finden wir fast 1:1 so vor, wie wir sie vor mehr als 10 Jahren verlassen haben und tauchen sofort in alte Erinnerungen ein.
 
Ein etwas mehr als einstündiger Spaziergang führt uns von Schilksee über den viel hübscheren Ort Strande zum Leuchtturm Bülk, der Ende 2020 die Farbe gewechselt hat. Ehemals schwarze Streifen sind jetzt grün. Ursprünglich waren die Streifen rot. Wir fragen uns, ob der Farbwechsel eine tiefere Bedeutung hat oder von Launen motiviert ist, finden aber keine Antwort. Eine 2013 auf dem Turm montierte Radaranlage verändert das Aussehen zusätzlich, aber wir erkennen den Leuchtturm noch. Zur Zeit des beruflichen Aufenthaltes in der Region führte die morgendliche Laufstrecke ab 6:00 Uhr in der Frühe zu jeder Jahreszeit bei jedem Wetter mindeststens bis zum Leuchtturm und im Sommerhalbjahr ab 5:30 Uhr Uhr weiter. Im Februar 2009 haben wir bei Schneeregen mit Urgesteinen der Laufszene am privat ausgerichteten, auf 100 Teilnehmer limitierten 13. Kieler-Leuchttürmelauf (Fotoserie) teilgenommen. Die volle Strecke führte über die Marathondistanz. Wir haben den Lauf nach 25 km am Leuchtturm Bülk beendet. Beim Besuch im Café Leuchtturm-Pavillon blühen Erinnerungen wieder auf.
 
Ein weiteres Highlight unseres Ausflugs ist das Majtesbrötchen des Hafenkiosks Goldfisch im Olympiazentrum Schilksee. Die legendäre Qualität der Produkte macht oft lange Schlangen geduldig wartender Menschen unvermeidbar. Der Andrang hält sich heute in Grenzen. Der Preis von 3,50 € fällt duchschnittlich aus, aber die Qualität ist top und verdient 3 Sterne ("lohnt eine Reise" gemäß Kriterien des Guide Michelin). Vermutlich ist der Goldfisch eine Goldgrube.

Enttäuschend fällt ein Besuch im Schilkseer Supermarkt aus, den ehemals die Coop-Gruppe als Sky Supermarkt betrieb. 2018 übernahm REWE die Kette und organisierte sie uns abschreckend neu. Der ehemals sympathische Supermarkt zieht uns nicht länger an. Andere Kunden scheinen ähnlich zu denken. Heute war der Kundenbesuch jedenfalls sehr überschaubar.


18.03.2023: Kurzwanderung in den Hüttener Bergen am Aschberg, Lütte Backstuv und Fischkiosk Bening in Holzbunge - Fotoserie

, Blick in Richtung Eckernförde Lütte Backstuv Bünsdorf Fischkiosk Bening in Holzbunge

Für den Vormittag planen wir eine ca. 12 km lange Wanderung in den Hüttener Bergen ab dem 6,5 km entfernten Aschberg. Auf dem Weg verschaffen wir uns im Nachbardorf Groß Wittensee einen Eindruck vom EDEKA-Markt Gottschalk und ergänzen unseren Brotvorrat.
 
Am Aschberg stellen wir am Wanderparkplatz beim Panorama-Hotel Aschberg das Auto ab und steigen zunächst auf den Aussichtsturm am Hotel, der am 98 m hohen Aschberg 20 m aufragt. An der Rückseite des Turms ist eine Kletterwand angebracht, die uns vor 30 Jahren sicher angelockt hätte. Das Kletteralter liegt schon lange hinter uns. Die Aussichtsplattform bietet einen 360 Grad Rundblick, aber Sichtverhältnisse sind heute eher bescheiden. Von der Aussichtsplattform überblicken wir die für Hüttener Berge charakteristische Knicklandschaft
 
Als Knicks bezeichnete Wallhecken grenzen Flure ab, durch die Redder führen (Wege zwischen Wallhecken). Knicks erfüllen ähnliche Funktionem wie Trockenmauern anderer Regionen. Sie dienen als Grenzen, bilden Zäune für Schafe und Kühe und schützen Nutzvieh vor Wölfen. Zusätzlich liefern Knicks in waldarmen Regionen Brennholz und bieten etlichen Tier- und Pflanzenarten ökologische Nischen. (Knickbroschüre des Landes Schleswig-Holstein - Bund: Was sind Knicks?
 
Soziologisch Interessierte finden in Knicklandschaften ein anschauliches Beispiel komplexer Vernetzungen von Denken und Handeln mit Bedingungen ihrer Umgebung. Knicklandschaften entstanden vor ca. 200 Jahren als Folge gesetzlich verfügter privatwirtschaftlicher Umnutzung von zuvor gemeinschaftlich genutzten Flächen. In der Gegenwart bilden Knicks Hindernisse für Intensivlandwirtschaft und sind Streitobjekte zwischen ökonomischen und ökologischen Interessen. Flurbereinigungen dienen als 'Fortschritt' deklarierten ökonomischen Interessen und rechtfertigen vermeintlich die Entfernung hier noch anzutreffender Knicks, die wahrscheinlich bald verschwinden werden. Man lernt nie aus. Unser Verständnis dieser Landschaft, ihrer Menschen und der zwischen ihnen interagierenden Prozessen nimmt allmählich zu.
 
Für die Wanderung sind wir natürlich mit Wanderkarte, Wegbeschreibung und einem GPS-Track auf dem Smartphone vorbereitet. Bereits am Start wird deutlich, dass sich Komoot entgegen aller Behauptungen nicht auskennt. Die App erklärt abwechselnd, dass wir den Weg verlassen haben oder uns auf der Route befinden. Das macht uns nicht unruhig. Wir bevorzugen ohnehin analoge Medien, führen Wanderkarte und Wegbeschreibung in Papierfom old-fashioned mit (allerdings in nur grober Auflösung) und empfinden die Situation als Bestätigung unseres prinzipiellen Misstrauens gegenüber digitalen Medien. Nach 2-3 km gerät unsere Orientierung in ernste Zweifel. Die Route wird unwegsamer und ist zunehmend von Bruchholz und umgestürzten Bäumen blockiert. Wandermarken fehlen. Wir entscheiden uns zur Umkehr und verbuchen 1,5 Stunden Wanderzeit.
 
Ab dem Aschberg unternehmen wir eine kleine Rundfahrt im Gelände der Umgebung. Am Wittensee betreibt Fischermeister Bening in Bünsdorf eine Fischräucherei mit Gastronomie, die wir anfahren. In Bünsdorf wundern wir zunächst uns über einen ungewöhnlichen Auftrieb zahlreicher Menschen und Autos, den der Kunsthandwerkermarkt "Frauen stellen aus" verursacht. Der Kunsthandwerkermarkt interessiert uns nicht und die Fischräucherei bietet keinen Verkauf außer Haus, aber sie verweist auf einen Verkaufskiosk im Nachbardorf Holzbunge, den wir nach einem Besuch der Lütten Backstuv der Bäckerei Lechtworden in Bündsdorf aufsuchen werden. 
 
Die Bio-Bäckerei betreibt keinen typischen Verkaufsladen, sondern bietet ihre Produkte in einem hölzernen Verkaufswagen mit Selbstbedienung an. Kunden sind aufgefordert, Geld für gekaufte Produkte in eine unkontrollierte öffentliche Kasse zu legen. Auf dem Land funktioniert das Konzept offenbar, es wirkt sich aber nicht mindernd auf Preise aus, die an der oberen Grenze der Zumutbarkeit liegen. Die Produkte scheinen so gut zu sein, dass Preise nicht abschrecken. Sämtliche Brote sind ausverkauft. Im Herbst 2023 werden wir unser Glück erneut suchen.
 
In Holzbunge erstehen wir am Fischkiosk Bening für etwas mehr als 21 € jeweils ein Stück geräucherten Heilbutt und Stremellachs, die wir erst morgen zu Hause essen werden. Die Preise wecken Erwartungen einer Top-Qualität. Enttäuschend fällt die Qualität eines vor Ort verzehrten Matjesbrötchen aus, das nicht mehr als die Schulnote ausreichend verdient und Welten von der gestern am Hafenkiosk Schiksee genossen Qualität entfernt ist. Für Matjesbrötchen muss man nach Schilksee reisen.

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