Sonntag, 18. Juni 2023

Reisetagebuch Kultur-Wanderreise Baltikum 25.06.-07.07.2023

Baltikum-Route.jpg Düne von Perwalka im Nationalpark Kurische Nehrung Geburtstagsfeier im Freilichtmuseum Rumšiškės

Eine Reise in das Baltikum beabsichtigen wir schon länger. 2020 war die Studiosus-Wander-Studienreise zwischen Mythen und Herrensitzen gebucht. Covid-19 hat die Reise verhindert. Nachdem die Pandemie vorerst unter Kontrolle ist, haben wir im Oktober 2022 diese Reise erneut gebucht. Der Russland-Ukraine-Krieg verhinderte lange die Mindestteilnehmerzahl von 12 Personen. Erst im Mai 2023 wurde gewiss, dass die Reise zum Wunschtermin mit 14 Teilnehmern zustande kommt. 6 weitere Termine fallen mangels Teilnehmer aus. Unsere Entscheidung haben die für uns spannende Kombination von Studien- und Wanderreise, in die Region reichende familiäre Spuren und positive Erfahrungen mit dem Anbieter motiviert. Für die Wahl des Termins sprechen Wetterbedingungen und die besondere Magie der Weißen Nächte, die uns bereits 2011 in St. Petersburg fasziniert hat. In Klaipėda, Litauen, besichtigen wir am Kurischen Haff familiäre Spuren. In Vilnius, Litauen feiern wir einen Geburtstag. Die 13-tägige Reise schenkt uns zahlreiche neue und oft auch spannende Erfahrungen, die wir nicht ausschließlich positiv, aber immer als Bereicherung werten. (Redaktionelle Hinweise beschreibt Anmerkung 17)


Was bleibt? Fazit der Reise
 
Die Mischung von Wander- mit Kulturreise entspricht unseren Vorlieben. Als überzeugte Individualreisende ist uns bewusst, dass Gruppenreisen Kompromissbereitschaft verlangen und nicht jedes Detail einer Reise mit eigenen Ansprüchen und Gewohnheiten vollständig kompatibel sein kann. Per Saldo übertrifft diese Reise unsere Qualitäts- und Erlebniserwartungen. Das Reisekonzept richtet sich an ein Bildungspublikum und ist gut durchdacht. Vermittelte Informationen sind auf wissenschaftlichem Niveau aufbereitet, ohne Teilnehmer mit Details zu ermüden. Nachfragen werden bereitwillig kompetent beantwortet. Die Qualität von Reiseleitung und Organisation werten wir als exzellent. Die Reisegruppe ist relativ homogen.Teilnehmer agieren harmonisch.
 
Die Reise hat sich gelohnt und den Preis völlig gerechtfertigt. Kulturell Interessierten bietet die Reise großen Mehrwert. In den baltischen Staaten genießen wir Ruhe, Beschaulichkeit und relative Einsamkeit von Landschaften, die starke Kontraste zu dicht bevölkerten Regionen bildet, aber auch touristische Infrastruktur bietet. Landschaftlich kennen wir allerdings für uns attraktivere, in teilweise sehr viel stärker frequentierten oder sehr einsamen Regionen. Vor- und Nachteile sind individuell zu bewerten. 
 
Als durch und duch von Kultur geprägte Spezies empfinden wir persönlich als besonders faszinierend, wie nah Besucher der Kulturgeschichte dieser Region kommen, wenn sie sich nicht nur mit oberflächlicher Wahrnehmung zufrieden geben, sondern über Zeit und Raum reichende komplex verwobene Zusammenhänge aufspüren, die als kollektives Unbewusstes sozial vererbt werden und Einfluss auf unser Denken und Handeln nehmen, ohne dass wir uns dessen bewusst sind.(17)
 
Bemerkenswert sind unsere Wettererfahrungen, die zum Bild globaler Klimaveränderungen passen. Das Klima der baltischen Staaten gilt als gemäßigt kühl. Statistisch betragen in den Sommermonaten die Tagesmitteltemperaturen 17-19 Grad. Ausreißer mit heißen Tagen sind möglich. Im Zeitraum unserer Reise waren Ausreißer mit subtropischem Wetter ein Dauerzustand. An allen Tagen wurden 25-30 Grad erreicht. An 3 Tagen fiel stundenweise Regen. Trotzdem war es ingesamt eher trocken, selbst in Moorregionen. Nach Regen war die Luftfeuchtigkeit schweißtreibend. In Hotelzimmern ohne Klimaanlage war erholsamer Schlaf kaum möglich. 

Die Rundreise führt durch 3 Länder, Völker, Staaten, Nationen, Nationalstaaten, Volksnationen, Staatsnationen, Kulturnationen, Gesellschaften, Kulturräume oder was auch immer? Genannte Begriffe konnotieren verschiedene Sichtweisen politischer, geografischer, rechtlicher, ethnischer, kultureller Art, die sich auf unterschiedliche oder ähnliche oder identische empirische Sachverhalte und auf wertende normative Sachverhalte beziehen. Jeder der Begriffe beruht letztlich auf gedanklichen Konstrukten, die mehr oder weniger Unschärfen enthalten und sich zudem in historischer Betrachtung über Zeit in ihrer Bedeutung verändern.(16) Genannte Begriffe und ihre Konnotationen sperren sich gegen Versuche einer Subsumtion in einer umfassenden Definition. Dennoch erzeugen, verändern oder bestätigen Reisen durch Eindrücke, Erfahrungen, Erkenntnisse subjektive Muster des Verständnisses sozialer, politischer, kultureller Realität und gelten daher zu Recht als bildungsrelevant.(15
 

07.07.2023: Rückreise nach Deutschland
 
Um 11:10 Uhr startet unser zweistündiger Rückflug von Vilnius, Litauen, nach Frankfurt fast pünktlich. Von Frankfurt nach Köln reisen wir mit der Deutschen Bahn erwartungsgemäß unpünktlich. Wenn es gut liefe, träfen wir gegen 17:40 Uhr am Hauptbahnhof Köln ein. Es läuft nicht gut. Am Fernbahnhof des Flughafens Frankfurt herrscht nacktes Chaos. Kein Zug ist pünktlich. Anzeigen sind unzuverlässig. Eine grauenhafte Akustik verhindert die Verständlichkeit von Durchsagen. Eine Minute vor planmäßigem Eintreffen unseres Zugs sind +40 Minuten angekündet, zu der kurz vor der verspäteten Abfahrtzeit weitere 5 Minuten hinzukommen. Informationen sind nur per Smartphone-App zu erhalten. Reisende ohne technische Affinität haben doppeltes Pech. Die Reisezeit von Frankfurt nach Köln ist mit 1:02 Std. angegeben. Kurz vor dem Ziel muss der Zug wegen Baustellen mehrmals halten und kann die Fahrt nur im Radfahrertempo fortsetzen. Auf Reisende mit Anschlusszügen warten weitere Abenteuer. Reisende üben sich in Fatalismus und Sarkasmus.
 
Um 18:30 Uhr erreichen wir den Hauptbahnhof Köln, in dem wir auf Menschenmassen treffen. Das Zusammentreffen von Wochenende, Ferien, Sommerwetter, 49 Euro Ticket sowie das zweiwöchige LGBT-Festivals Cologne Pride, größtes Festival dieser Art in Deutschland (Festival-Webseite), setzt Menschenmassen in Bewegung, wie sie sonst in Köln nur an Karneval anzutreffen sind. Mit dem CSD-Straßenfest und einem Umzug erreicht das Cologne Pride Festival am 9.07.2023 seinen Höhepunkt. Wer nicht mitfeiern möchte, sollte die Kölner Innenstadt in diesem Zeitraum möglichst meiden. Wir haben das Glück, dass uns ein sehr hilfsbereiter, freundlicher Mensch, der uns bereits vor 2 Wochen zum Frankfurter Flughafen gefahren hat, am Kölner Hauptbahnhof abholt, sodass wir uns nicht bei 31 Grad in überfüllte, unklimatisierte Straßenbahnen und Busse quetschen müssen.


Litauen

06.07.2023: Wanderungen im Neris Regionalpark und im Nationalpark Trakai, Abschlussdinner in Vilnius

Wasserburg Trakai, 14. Jh. (Rekonstruktion)
Wasserburg Trakai, 14. Jh. (Rekonstruktion)

Wanderung auf dem Dūkšta Trail im Neris Regionalpark - Fotoserie
Die letzte Wanderung dieser Gruppenreise findet im Neris Regionalpark der historischen Region Dzūkija statt (historische Regionen beschreibt das Kapitel zu Wanderung im Freilichtmuseum Rumšiškės vom 4.07.). Diese Wanderung bietet keine spektakulären Sensationen, sondern subtile erinnerungswürdige Eindrücke. Benannt ist der Landschaftspark nach dem Fluss Neris, der in Belarus (Weißrussland) entspringt, durch Vilnius fließt und bei Kaunas in die Memel mündet (siehe 04.07.). Zwischen Vilnius und Kaunas mäandert die Neris durch eine hügelige Region, die zum Belarussischen Höhenrücken gehört und als litauische Highlands bezeichnet wird, wobei Hügel maximal eine Höhe von 293,84 m erreichen (Wikipedia: Berge in Litauen). 
 
Der Landschaftspark gehört zu den ältesten besiedelten Regionen Litauens, in dem Spuren prähistorischer Siedlungen und Grabkomplexe gefunden wurden. Im Regionalpark liegen insgesamt 9 prähistorisch besiedelte Hügel, die von baltischen Stämmen überwiegend künstlich aufgeschüttet wurden, um auf den Plateaus Holzburgen zur Abwehr von Feinden zu errichten. Im Gebiet des heutigen Litauen sind insgesamt ca. 1000 künstlich angelegte eisenzeitliche hölzerne Wallburgen auf aufgeschütteten Hügeln belegt, die auch als Schüttburgen bezeichnet werden (Wikipedia: Liste der Wallburgen in Litauen). 
 
Unser Wanderung verläuft im Tal der Dūkšta (ein Nebenfluss der Neris) auf dem 6 km langen Dūkšta Trail als Rundkurs über mehrere dieser Burghügel, von denen nur noch die Hügel mit flachen Plateaus erhalten sind, u.a. die Burghügel von Karmizin, Buivydu, Bradeliškės. Die Hügelplateaus sind aktuell meistens bewaldet. Einige Hügel bieten attraktive Rundblicke auf die Landschaft. 6 km klingen nach Spaziergang, aber bei 30 Grad, hoher Luftfeuchtigkeit und ständigem Auf und Ab (teilweise über längere hölzerne Treppenanlagen) können 6 km anstrengend sein. In litauischen Highlands ist der Kreislauf nicht wanderwillig und produziert reichlich Schweiß. Trotzdem ist diese abwechslungsreiche 2,5-stündige Wanderung ein Highlight unserer Wanderaktivitäten, das mindestens 3* verdient.
 
 
Trakai - Fotoserie
Ca. 30 km westlich von Vilnius liegt in einem Seengebiet der Nationalpark Trakai. Der Nationalpark dient vor allem dem Erhalt des kulturellen Erbes, den die Stadt Trakai und die Wasserburg Trakai repräsentieren. Im 14. Jahrhundert war das Großfürstentum Litauen das größte politische Herrschaftsgebiet Europas, das sich von der Ostsee bis an das Schwarze Meer erstreckte. Unter dem Expansionsdruck des Deutschen Ordens verlegte Großfürst Gediminas (1275-1341) des Großfürstentums Litauens seine Residenz vorübergehend in das militärisch schwer zugängliche sumpfige Seengebiet und machte Trakai von 1316 bis 1323 zur Hauptstadt seines Reichs, ehe er 1323 die Residenz nach Vilnius (Wilna) verlegte. Als Wohnsitz und Bollwerk gegen den Deutsche Orden ließ Gediminas die Wasserburg Trakai errichten, die nie eingenommen wurde. Da die Burg mit der Verlegung der Residenz und endgültig nach der Schlacht bei Tannenberg (1410) an Bedeutung verlor, verfiel sie allmählich.
 
Die Burg ist nett anzuschauen, aber es handelt sich um eine Reproduktion auf Basis weniger Reste. Im Kontext nationalistischer Bewegungen wurde die Burganlage im 20. Jahrhundert wegen ihrer symbolischen Bedeutung teilweise rekonstruiert, u.a. mit Geldern der Sowjetunion. Die Mittel waren aber lediglich der Sicherung der Ruine zugedacht. Als der sowjetische Präsident Chruschtschow bei einem Besuch in den 1950er Jahren die rekonstruierte Anlage sah, bewies er Instinkt. Die Verwendung der Mittel für eine Teil-Restaurierung der Burg machte ihn wütend, weil sich Littauer gemäß seiner Ansicht zu stark auf ihre Vergangenheit als Großmacht besinnen und zu wenig mit der Sowjetunion identifizieren. 
 
In der Gegenwart ist die Inselburg Trakai ein touristischer Hotspot Litauens. Am heutigen Nationalfeiertag scheint halb Litauen hier zu flanieren. Die als Sehenswürdigkeit beworbene Legoland-Burgattrappe mag für Nationalisten und für Sensationssammler wichtig sein. Spannender ist für historisch und ethnologisch Interessierte die Ethnie karäischer Juden, auf die wir in Trakai treffen, die aber erst mit Hintergrundinformationen sichtbar werden. Bevor wir die Burg auf einem Weg umrunden, kehren wir für einen Imbiss im Restaurant Kybinlar am Seeufer ein. Inhaber des Restaurants verstehen sich als Nachfahren jener Karäer, die Großfürst Vytautas 1397 als Leibgarde und Wache seiner Wasserburg von der Krim nach Trakai holte (Alles über Litauen: Karäer in Trakai).(14)
 
Als Imbiss ist heiße Brühe mit frischen traditionellen karäischen Kibinai vorbestellt. Kibinai bestehen aus mit Fleisch und Gemüse gefüllten Hefeteigtaschen. In Imbissen am Seeufer sind sie allgegenwärtig (Alles über Litauen: Karäische Kibinai). Unsere Reiseleiterin hat keineswegs in einem beliebigen Restaurant reserviert. Kibinai des Restaurants Kybinlar gelten als authentisch und die besten der Region. Prüfen können wir die Aussagen nicht, aber servierte Kibinai schmecken uns. Brühe ist für uns verzichtbar. - Spiegelartikel zu Kibinai in Trakai: Lamm im Brotversteck
 
Während wir im Restaurant unseren Imbiss genießen, fallen wolkenbruchartige Regenfälle, die willkommene Abkühlung bewirken und rechtzeitig bis zu unserem Aufbruch abgeregnet sind. Nach dem Burgrundgang wandern wir bei hoher Luftfeuchtigkeit 1,5 Stunden entlang des Sees zu einem Parkplatz am Rand der Ortschaft Trakai, auf dem der Gruppenbus für die Rückfahrt nach Vilnius auf uns wartet.

 
Abschlussdinner im Restaurant Bernelių užeiga, Vilnius - Fotoserie
Unweit unseres Hotels Artis in der Altstadt von Vilnius befindet sich das Restaurant Bernelių užeiga in einem Gewölbekeller in der Schlossstraße. Ausstattung und Dekorationen sowie Küche und Service kann man mögen oder auch nicht, aber darum geht es heute nicht. Die temporäre Reisegruppe findet heute das letzte Mal zum Austausch bei einer gemeinsamen Mahlzeit zusammen. Die Gruppe ist sich einig, dass Reiseleiterin A. exzellente Arbeit geleistet hat, ihr Beitrag zu dieser Reise von unschätzbarem Wert ist und wir uns mit einem großzügigen Geldgeschenk bedanken wollen. Die Sammlung hat bereits gestern stattgefunden. Ein von der Gruppe ausgewählter Sprecher erklärt sich zur Übergabe bereit, die er mit einer launigen Ansprache verbindet. Mehrfacher langer Applaus der Gruppe verschlägt der wortgewandten und um keine Erklärung verlegenen Reiseleiterin fast die Sprache und bewirkt Befeuchtung ihrer Augen. Jetzt fehlt nur noch der Song We are the Champions.


05.07.2023: Altstadt von Vilnius

Blick vom Burgberg zur Universität und St. Johannes in der Altstadt von Vilnius
Blick vom Burgberg zur Altstadt von Vilnius mit Universität und Kirche St. Johannes im Vordergrund
 
Entstehung von Vilnius
Unter dem litauischen Großfürsten Gediminas (1275-1341) und der Dynastie der Gediminiden stieg Litauen zu einer osteuropäischen Großmacht auf. Gediminas verlegte 1323 Litauens Hauptstadt von Trakai (siehe 6.07.2023) nach Vilnius und ließ an der Mündung der Vilnia in die Neris auf einem Hügel eine Burg als Residenz errichten. Der Name Vilnius, Hauptstadt von Litauen, ist wahrscheinlich von der Bezeichnung des Flusses Vilnia abgeleitet. Die Vilnia mündet unterhalb des Burgbergs in die Neris, die bei Kaunas in die Memel mündet (siehe: 4.07.2023).
 
Die mythologische Gründungslegende berichtet, dass Gediminas bei der Jagd am Zusammenfluss von Neris und Vilnia gerastet habe und von einem eisernen Wolf träumte, an dem alle Pfeile abprallten. Die Traumdeutung eines Priesters besagte, dass der Wolf auf einem Hügel stehe, auf dem Gediminas eine eiserne Festung als Residenz errichten und eine Stadt gründen soll. Während der Gründungsmythos auf Erzählungen beruht, ist schriftlich dokumentiert, dass Gediminas eine erfolgreiche Strategie des Aufbaus der Stadt betrieb. 1323 sandte er in Latein verfasste Briefe an Kaiser, Papst, Ritterorden, reiche Handelsstädte und bat um qualifizierte Handwerker, Kaufleute, Wissenschaftler, denen er Kirchen, Religionsfreiheit und andere Privilegien zusagte. Das Datum dieser Dokumente gilt als Gründungsdatum der Stadt, die aber keineswegs auf grüner Wiese, sondern in einer schon lange besiedelten Region entstand. Archäologische Untersuchungen weisen Siedlungsspuren ab 500 v. Chr. nach. Im Stadtgebiet sind für den Zeitraum des Frühmittelalters Spuren baltischer und slawischer Kultur nachweisbar. Seit dem 11. Jahrhundert leben in Vilnius Juden.
 
Erwiesen ist, dass Gediminas Strategie aufging und eine für diese Zeit ungewöhnliche kulturelle Toleranz zahlreiche kluge Köpfe anzog, sodass die Stadt rasch aufblühte, was Vilnius aber auch immer wieder zum Ziel feindlicher Begehrlichkeit machte. Aus Eurasien immigrierte Juden trugen zur Blüte der Stadt maßgeblich bei. In der Hochblüte der Stadt galt Vilnius als Jerusalem des Nordens (BR: Vilnius - das Jerusalem des Nordens). Juden bildeten einen 3. Stand, der Christen gleichgestellt war und genossen zahlreiche Privilegien (Wikipedia: Geschichte der Juden in Litauen). Zeitweilig waren ca. 50 % von bis zu 500.000 Einwohnern Juden, die mehr als 100 Synagogen nutzten. Die im 2. Weltkrieg beschädigte Große Synagoge wurde in den 1950er Jahren abgerisssen und mit einer Schule überbaut. Einzige verbliebene Synagoge ist in Vilnius die Choral-Synagoge.
 
Ab Ende des 15. Jahrhunderts wurden die Verhältnisse für litauische Juden schwieriger, aber im Unterschied zu Polen und Russland waren Juden in Litauen bis nach dem 1. Weltkrieg weitgehend toleriert und integriert. Ab Mitte der 1920er Jahre setzte sich judenfeindliche Politik durch.(13)
 
Als weitere herausragende Persönlichkeit der Dynastie der Gediminiden gelten die Großfürsten Jogaila (1362-1432) und Vytautas (1350-1430). Diese beiden Persönlichkeiten verdeutlichen exemplarisch enge Verknüpfungen zwischen Religion, Politik und nationalistischer Ideologie.
  • Jogaila ehelichte 1386 Hedwig von Anjou, die seit 1384 König von Polen war. Zu diesem Zweck ließ sich Jogaila christlich taufen und regierte ab 1386 oder 1387 unter dem Namen Władysław II. Jagiełło gemeinsam mit seiner Gattin als König von Polen. Nach der Taufe Jogailas wurde das ewige Feuer auf dem Burgberg von Vilnius gelöscht und der Tempel zerstört. Jogaila gilt als Begründer der polnischen Königsdynastie der Jagiellonen, die bis 1572 die Könige von Polen sowie die Großfürsten von Litauen stellten und ihren Machtbereich bis an das Schwarze Meer ausdehnten. 
  • Als König von Polen musste Jogaila das Großfürstentum Litauen seinem Vetter Vytautas (1350-1430) überlassen, auf dessen Geschichte wir gestern in Kaunas trafen (siehe 4.07.2023). Jogaila und Vytautas waren verwandt, aber keine dicken Freunde, sondern machtpolitisch eher zerstritten. Allerdings dachten beide strategisch. Vytautas trat im gleichen Jahr wie Jogaila zum christlichen Glauben über. Dem Deutschen Orden entzogen sie damit die Legitimation zur 'militärischen Missionierung', der Litauen mit dem Segen des Papstes zum vermeintlichen Zweck der Missionierung zu unterwerfen versuchte und Religion als Instrument von Machtpolitik nutzte. Vytautas und Jogaila gründeten gegen den Deutschen Orden eine politische litauisch-polnische Allianz, die den Deutschen Orden nicht nur erfolgreich abwehren konnte, sondern in der Schlacht bei Tannenberg vernichtend besiegte und den Niedergang des Deutschen Ordens einleitete. 
  • Der Sieg der litauisch-polnischen Allianz gegen den Deutschen Orden gehört weder Polen noch Litauen, sondern beiden Ländern, Staaten, Nationen, Herrschern, Völkern? Bezeichnungen dieser Art beruhen auf politischen Konstrukten, die als vermeintliche Fakten ausgegeben werden, um Denken und Wertungen von Menschen im Interesse politischer Ziele zu manipulieren. Trotz enger kultureller Verbundenheit schüren in der Gegenwart nationalistische Bewegungen beider Länder gegenseitiges politisches bzw. kulturelles Misstrauen und reklamieren den Erfolg der Schlacht bei Tannenberg in konkurrierenden Rezeptionen als nationale Mythen jeweils für sich (Wikipedia: Schlacht bei Tannenberg (1410): Rezeption). In der polnischen Rezeption ist ihr König Władysław II. Jagiełło der Held der Schlacht. Die litauische Rezeption erklärt Großfürst Vytautas zur entscheidenden Figur.
  • Mit Polen und Ungarn verbindet auch Litauen Misstrauen gegenüber der EU bzw. gegenüber westlichen Staaten. Da jedoch Misstrauen gegenüber Russland noch deutlich größer ist, stellen sich die Länder unter den Schutz der NATO, betonen aber zugleich ihre nationale Identität bzw. Eigenständigkeit. Vorteile der EU-Mitgliedschaft nehmen nationalistisch denkende Teile der Bevölkerung gerne entgegen, wehren sich aber gegen EU-Regeln.(11) Damit sich nach mehrtausendjähriger praktizierter Feindschaft zwischen machtpolitischen Interessen Ideen einer befriedeten EU erfolgreich durchsetzen könnnen, muss sich einiges ändern. Die aktuelle politische Situation rechtfertigt keinen Optimismus.
Während die Stadt Vilnius ihre Bedeutung seit der politischen Wende 1990 erneut erheblich ausbauen kann, sind von der Gediminas-Burg nur Reste erhalten. Der sog. Gediminas-Turm war ehemals ein vierstöckiger Westturm der Burg, der aber lediglich dreistöckig rekonstruiert wurde und als Aussichtssturm und Museum genutzt wird. Die Geschichte der Burganlage ist deutlich komplexer als der Gründungsmythos. Ab dem 10.Jh. wird eine Holzburg vermutet. Gediminas hat 1323 wahrscheinlich ebenfalls eine Holzburg errichten lassen, die bald abbrannte. Erst Vytautas ließ 1419 eine Burg im gotische Stil aus Backsteinen errichten, die von einer mächtigen Mauer und Türmen umgeben war. Unterhalb des Burgbergs befand sich eine weitere Burg, von der lediglich der Stumpf eines Burgfrieds erhalten ist, auf dem der Glockenturm der benachbarten Kathedrale St. Stanislaus aufsetzt.

 
Rundgang in der Altstadt von Vilnius, Litauen - Fotoserie
In Vilnius regt sich zur Zeit viel Leben. Die Stadt bereitet sich auf eine große Feier anlässlich des 700jährigen Jubiläums der Stadtgründung vor, die im Jahr 1323 angesetzt wird. Gleichzeitig steht in der nächsten Woche ein NATO-Gipfel an. Zu diesem Anlass ist der Luftraum über Vilnius für 24 Stunden gesperrt. Wir sind nicht betroffen. 
 
Um 9:00 Uhr starten wir ab dem Hotel Artis zu einem ca. 5-stündigen Rundgang in der Altstadt von Vilnius. Die 1994 in die Welterbe-Liste der UNESCO aufgenommen Altstadt zählt mit einer Fläche von 380 ha zu den größten Altstädten Europas und gilt mit ihren seit dem 13. Jahrhundert gewachsenen Strukturen und 1500 historischen Gebäuden, darunter 48 Kirchen, als städtebauliches Denkmal ersten Ranges. "Wenn du an einer Straßenkreuzung stehst und keine Kirche siehst, bist du nicht in Vilnius", heißt ein beliebter Spruch.(7) Die Altstadt von Vilnius ist zu groß, um sie an einem Tag zu erkunden. Unser Rundgang konzentriert sich auf einige Highlights mit nur wenigen Kirchen.(8)
  • In der Nachbarschaft unseres Hotels befindet sich der Präsidentenpalast, an dem Vorbereitungen für Staatsempfänge laufen.
  • Kathedralenplatz der ehemaligen unteren Burg:
    • Auf dem Platz steht seit 1996 ein Gediminas-Denkmal, eine Bronzeskulptur, die den Großfürsten in Rüstung mit dem Schwert in der Hand neben seinem Pferd und auf dem Sockel einen Wolf in Rüstung darstellt. 
    • Die Bezeichnung Kathedralenplatz resultiert aus der auf dem Platz errichteten Kathedrale St. Stanislaus, die 1801 am Ort mehrerer Vorgängerkirchen im klassizistischen Stil fertiggestellt wurde. 
    • Der frei stehende Glockenturm der Kathedrale war ursprünglich ein im 14. Jahrhundert errichteter Verteidigungsturm der unteren Burg. Der Stumpf des Turms wurde wahrscheinlich bereits im 15. Jahrhundert zum Glockenturm ausgebaut. Unter Sowjetherrschaft kam das Geläut des Glockenturms abhanden. Das Erzbistum Köln schenkte der litauischen Erzdiözese 6 neue Glocken. Den Auftrag erhielt die Glocken- und Kunstguss-Manufaktur Petit & Gebr. Edelbrock im münsterländischen Gescher. Die Glocken weihte Kardinal Meisner persönlich am 26.05.2013.
    • Historisch älter und bedeutender ist die dem heiligen Kasimir gewidmete barocke Kasimir-Kapelle mit Gebeinen des Heiligen Kasimir (1458-1484) in einem Silbersarkophag (Wikibrief: Kapelle des Heiligen Kasimir). Religiöser Wahn motivierte den Sohn des polnischen Königs Kasimir IV. (1427-1492) aus der Dynastie der Jagiellonen zu einer asketisch-keuschen Lebensweise, die ihn gesundheitlich schwächte und vermutlich an seinem Tod im Alter von 25 Jahren beteiligt war. Der schon bald veranlasste kanonische Prozess der Heiligsprechung erfordert den Nachweis von Wundern, die selbstverständlich gefunden wurden, sodass die Heiligsprechung 1521 stattfinden konnte (Ökumenisches Heiligenlexikon: Kasimir von Polen).
  • Den recht steil aufragenden Burgberg 'erklimmen' wir mit einem Schrägaufzug. Vom Hügel und dem Dach des Gedeminas-Turms bietet sich ein attraktiver Rundblick auf Vilnius und die Umgebung der Stadt. Den Abstieg bewältigen wir zu Fuß.
  • Als nächstes Highlight besichtigen wir die von Jesuiten im Rahmen der Gegenreformation gegründete Universität Vilnius. Die sehenswürdige Bibliothek ist heute nicht zugänglich. Wir begnügen uns mit einer Besichtigung der Kirche St. Johannes der Täufer, die im 14. Jahrhundert gebaut, im 16. Jahrhundert von Jesuiten in die Universität integriert und im 18. Jahrhundert barockisiert wurde.
  • Die Fortsetzung unseres Rundgangs führt uns über einen Abschnitt der Flaniermeile Schlossstraße und durch enge Gassen zur gotischen Annenkirche, die wir lediglich von außen betrachten.
  • Nach einer Mittagspause mit Imbiss im Aussteiger-Viertel Užupis (s.u.) erwartet uns in der Franziskanerkirche eine von einer verantwortlichen Restauratorin geleiteten einstündige Führung in deutscher Sprache (s.u.).
  • Unser Besichtigungsprogramm endet im Glasviertel (s.u.).
 
Mittagspause im Aussteiger-Viertel Užupis
Am Rand der Altstadt liegt am Fluss Vilnia das bis zum 16. Jahrhundert von Juden bewohnte Stadtviertel Užupis (hinter dem Fluss). Nach dem 2. Weltkrieg wurden leerstehende Häuser von Obdachlosen, Kriminellen, Prostituierten besetzt und dort geduldet. Mit der Wende im Jahr 1990 änderte sich der bis dahin vernachlässigte Stadtteil zu einer Künstlerkolonie, deren Bewohner direkte Demokratie praktizieren und das Viertel zu einer Republik erklären (Verfassung der Republic of Užupis). Mittlerweile ist das Viertel ein kommerzialisierter touristischer Anziehungspunkt, den wir für unsere Mittagspause mit einer Einkehr in der Kneipe UŽUPIO KAVINĖ nutzen.
 
 
Restauratorführung in der Franziskanerkirche von Vilnius - Fotoserie
Die Franziskanerkirche in Vilnius wurde im 14./15. Jh. als Klosterkirche im gotischen Stil errichtet. Im 18. Jh. wurde die Kirche barockisiert. Unter sowjetischer Herrschaft verfielen die Kirche und das Kloster. Insbesondere litauische Franziskaner leisteten aktiven und passiven Widerstand gegen die Sowjetisierung Litauens. Der religiöse Widerstand wurde Teil des nationalen Widerstands und machte Franziskaner sowie ihren Orden in der Bevölkerung populär. - Deutschlandfunk: Franziskaner in Litauen: Revolution und Routine
 
Nach der Wende begann in den 1990er-Jahren die Restaurierung der Kirche und des Klosters. Ein Abschluss der Arbeiten ist nicht absehbar. Unsere Reisegruppe hat die Gelegenheit, mit einer verantwortlichen Restauratorin über die Arbeiten sowie deren Motivation und Finanzierung zu sprechen. Antworten auf die Frage nach den Restaurierungszielen machen deutlich, dass die Restaurierung nicht primär von kunsthistorischen Überlegungen bestimmt ist, sondern pragmatisch betrieben wird und sich an der Nutzung der Objekte, Zielen der Auftraggeber und Bedingungen der Finanzierung ausrichtet. Antworten sind zugleich auch ausweichend. Die Rekonstruktion eines barockisierten gotischen Kirchengebäudes wirft unausweichlich die Frage auf, in welchem Umfang gotische oder barocke Stilelemente zu berücksichtigen oder zu bevorzugen sind. Abgesehen von der Ausstattung, die in dieser Kirche verloren gegangen ist, waren historische Kirchengebäude bis zur Reformation vollständig farbig ausgemalt. Bemalungen zitierten religiöse Heilslehren im jeweiligen Stil ihrer Zeit: 
  • Gotische Ikonographien stellen Personen realistisch und oft ernst oder drastisch mit geschwungenen Haltungen und aufwendigen Faltungen von Bekleidung dar. Bildkompositionen wirken flächig (ohne räumliche Tiefe). Typisch für spätgotische Malerei und Skulpturen ist der weiche Stil.
  • Barocke Malerei wirkt oft illusionistisch und stellt Personen mit kräftigen Körpern in dynamischen Bewegungen dar. Bildkompositionen zeigen starke Kontraste und räumliche Tiefe. Typisch für barocke Malerei ist ein Horror vacui (Scheu vor der Leere). Leere Flächen werden vermieden und mindestens mit schwungvollen Ornamenten gefüllt.
In der Franziskanerkirche existieren nur noch wenige Reste historischer Bemalungen. Auf eine vollständige Wiederherstellung wird verzichtet, weil ursprüngliche Ikonografien nicht rekonstruierbar sind. Exemplarische Rekonstruktion verweisen auf barocken Stil.(9) Weshalb das gegenreformatorische barocke Programm wichtiger zu sein scheint als Gotik, wird nicht begründet. Schade!
 
 
Besichtigung des Glasviertels - Juden in Vilnius und Litauen
Nach der Gründung vor 700 Jahren war Vilnius eine der liberalsten Städte Europas und bot zahlreichen Juden aus ganz Europa Schutz. Vilnius entwickelte sich zum Zentrum jüdischer Kultur und Aufklärung. Der Anteil jüdischer Bevölkerung betrug um 1900 ca. 41 % (neben 30 % Polen und 20 % Russen). Nur ca. 2 % der Bevölkerung waren native Litauer (Quelle: Wikipedia Vilnius). Juden lebten vor allem im Glasviertel der Altstadt, das wegen seiner Glasmanufakturen und Juweliere so bezeichnet wurde.
 
Bestrebungen Litauens zur nationalen Unabhängigkeit verstärkten nationalistisches Denken in Freund-Feind-Kategorien, das einvernehmliches Leben von Menschen unterschiedlicher Kulturen vergiftet. Aus hoher ethnischer Diversität aller 3 baltischen Staaten resultieren Konfliktpotentiale. Die Bewältigung dieser Risiken stellt an die Integration von Minderheiten hohe Anforderungen. Als Besucher nur weniger Tage können wir nicht einschätzen, ob bzw. wie weit die Politik der Länder dieser Problematik gerecht wird. Ada-Charlotte Regelmann ist als Politikwissenschaftlerin besser informiert und äußert sich verhalten skeptisch.(10)
 
Wie in anderen europäischen Ländern wurden Juden als Feinde einer vermeintlich originären nationalen Kultur stigmatisiert. Sich ausbreitender Nationalismus ging auch in Litauen mit antisemitischen Haltungen und Aktionen einher, die schon vor 1941 zu Ermordungen und zur Flucht von Teilen der jüdischen Bevölkerung führten und nationalsozialistischer Massenvernichtung der jüdischen Bevölkerung Litauens in die Hände spielte.

Bis 1938 lebten in Litauen noch ca. 155.000 Juden, davon 55.000 in Vilnius (28 % der Bevölkerung). Beim Einmarsch deutscher Truppen am 22.06.1941 lebten in Vilnius noch ca. 43.000 Juden, von denen die meisten Opfer von Massenvernichtungen wurden. Wie groß der Anteil nativer Litauer an der Massenvernichtung einzuschätzen ist, lässt sich nicht exakt bewerten und wird kontrovers diskutiert. Der litauische Beitrag an der Judenvernichtung war ein nach dem 2. Weltkrieg in der litauischen Öffentlichkeit tabuisiertes Thema, dessen komplexe Aufarbeitung erst in der Gegenwart einzusetzen beginnt.(11) 
 
Auf unserem Rundgang erreichen wir Flächen des ehemaligen jüdischen Kleinen Ghettos, die bisher nicht wieder bebaut worden sind (Wikipedia: Ghetto Vilnius). Aktuell ist auf der ungepflegten Fläche der ehemaligen Ghetto-Gebäude ein liebloser Kinderspielplatz in der Umgebung einer verwahrlosten Wohngebäude-Bebauung eingerichtet. Zwischen Spielplatz und Gebäuden liegt viel Müll neben parkenden PKW's. Offensichtlich befinden wir uns in einem sozialen Problemviertel. Synagogen und Friedhöfe wurden bisher nicht rekonstruiert. In der Altstadt erinnern lediglich einige unauffällige Tafeln an Häuserwänden und in Gehwegen eingelassene Stolpersteine an den Genozid. Interesse an Aufarbeitung der Judenproblematik vermittelt dieses Bild nicht.(12)

 
Geburtstagsnachfeier im Restaurant Locys des Glasviertels in der Altstadt Vilnius - Fotoserie
Beim geführten Rundgang durch Vilnius haben wir im Glasviertel das Restaurant Lokys (Bär) entdeckt und entscheiden uns für dieses Restaurant für unser privates Geburtstags-Dinner. Die Wahl erweist sich in jeder Hinsicht als Treffer. Sogar die Weinkarte überzeugt mit einer Auswahl zu moderaten Preisen. Nach dem Essen ziehen wir ein Stück weiter und genießen in der Kneipe Būsi trečias („Du wirst Dritter sein“) einen Digestif. Der Kneipenname geht auf die Zeit zurück, in der eine Flasche Wodka drei Rubel kostete und Frauen ihren Ehemännern nur einen Rubel Taschengeld zustanden, damit ihre Männer keinen Wodka kaufen konnten. Um Wodka zu erstehen, mussten sich 3 Männer zusammentun.


04.07.2023: Reise von Klaipėda nach Vilnius

Wandergruppe im Freilichtmuseum Rumšiškės
Wandergruppe im Freilichtmuseum Rumšiškės

Besichtigung Kaunas, Litauen - Fotoserie
Da für Vilnius 3 Übernachtungen vorgesehen sind, schlägt unsere Reiseleiterin eine Programmänderung vor mit Besichtigung und Imbiss in Kaunas. Kaunas liegt an der Mündung der Neris in die Memel und beeindruckt aus Richtung Küste Anreisende mit der teil-rekonstruierten einst mächtigen Burg Kaunas. Mit ca. 315.000 Einwohnern ist Kaunas die zweitgrößte Stadt Litauens und ein wirtschaftliches sowie kulturelles Zentrum des Landes. -  Touristische Beschreibung von Kaunas und Umgebungen: Lernen Sie Kaunas kennen (PDF)
 
Die Gründung von Kaunas an der Mündung der Neris in die Memel geht auf eine litauische Burg zurück, die der Deutsche Orden in den Litauerkriegen 1361 eroberte und zerstörte, ohne Litauen dauerhaft dominieren zu können. Gegen den Orden schuf der litauische Großfürst Vytautas (1350-1430) eine litauisch-polnische Allianz, die in der Schlacht bei Tannenberg dem Deutschen Orden eine verheerende Niederlage zufügte und den Niedergang des Ordens einleitete (siehe 05.07.). Als gegen den Deutschen Orden errichtete Festung verlor Kaunas mit dem Sieg der litauisch-polnischen Union seine politische Bedeutung, gewann aber neue Bedeutung als Handelsplatz und Hansestadt und erreichte einen Wohlstand, den Institutionen und die Architektur der Stadt sichtbar machen. 2022 war Kaunas europäische Kulturhauptstadt.
 
 
Wanderung im Freilichtmuseum Rumšiškės - Fotoserien: Freilichtmuseum - Geburtstagsfeier im Freilichtmuseum
In der Nähe von  Kaunas besichtigen wir das litauische Freilichtmuseum Rumšiškės, das mit 195 ha Fläche und 183 Bauwerken zu den größten Freilichtmuseen Europas zählt. In Gruppen angeordnete Gebäude repräsentieren die wichtigsten ethnografischen Regionen Litauens: 
  • Kleinlitauen bzw. Memelland (Mažoji Lietuva), 
  • Dzūkija, Oberlitauen (Aukštaitija), das als Kernregion Litauens gilt,
  • Suvalkija, eine (Region im Süden Litauens, aus der Vorfahren der väterlichen Linie stammen,
  • Niederlitauen bzw. Samogitien (Žemaitėjė) im Norden des Landes. 
Im Zentrum des Museum ist eine historische litauische Stadt (Miestelis) rekonstruiert. Das Freilichtmuseum grenzt an das Kaunasser Meer, ein Stausee der Memel. Ein Aussichtsturm bietet Ausblicke auf den Stausee. Der Picknickplatz am Aussichtsturm ist ein geeigneter Ort für eine kleine Feier anlässlich Claudias heutigem Geburtstag.

 
Ankunft in Vilnius
Um 18:30 Uhr erreichen wir Vilnius, Hauptstadt Litauens mit ca. 570.000 Einwohnern. Unsere Unterkunft der 3 letzten Übernachtungen dieser Reise ist das Hotel Artis in der Altstadt von Vilnius. Das historische Gebäude des Hotels ist ziemlich verwinkelt, aber es bietet 4*-Komfort, wenn auch teilweise abgewohnt und punktet insbesondere mit zentraler Lage in einem ruhigen Teil der Altstadt. Für den Abend der Ankunft ist das Abendessen im Restaurant des Hotels organisiert. Ohne Gruppe unternehmen wir anschließend noch einen Spaziergang in der Altstadt.


03.07.2023: Wanderungen im Nationalpark Kurische Nehrung

Düne von Perwalka im Nationalpark Kurische Nehrung
Düne von Perwalka im Nationalpark Kurische Nehrung
 
Der Begriff kurisch ist vom baltischen Volksstamm der Kuren abgeleitet, die entlang der Ostseeküste in der historischen Landschaft Kurland von der Kurischen Nehrung im Süden bis zum heutigen Lettland im Norden halbnomadisch als Fischer siedelten. Die Kurische Nehrung dehnt sich über ca. 90 km aus und ist als Nationalpark Kurische Nehrung geschützt. 52 km des nördlichen Teils gehören zu Litauen, der Rest zu Russland
 
Der Begriff Nehrung bezeichnet einen schmalen sandigen Landstreifen, der eine als Haff oder Bodden bezeichnete Lagune vom offenen Meer abtrennt. Das Kurische Haff ist durchschnittlich 3,8 m tief und bis zu 45 km breit. Über verschiedene Aspekte des Kurischen Haffs informiert ein Eintrag des Portals Enzyklopädie des Ostens der Universität Klagenfurt: Kurisches Haff
 
Die von Dünen bedeckte, bewaldete Landzunge der Kurischen Nehrung ist zwischen 380 m und 3,8 km breit. Die Entstehung von Nehrungen erklärt ein Eintrag in Wikipedia: Nehrung: Entstehung. Legenden erklären die Entstehung der Kurischen Nehrung mit der freundlichen Riesin Neringa, die für einen sicheren Hafen kurischer Fischer sorgte (Legende). Kahlschlag im 17. Jahrhundert ließ unbewachsene hohe Wanderdünen entstehen, die seit dem 19. Jahrhundert durch Aufforstung überwiegend stabilisiert werden konnten und in diesem Zustand als tote Dünen bezeichnet werden. Leicht übertrieben werden Wanderdünen der Kurischen Nehrung als preußische Sahara bezeichnet (Genalogy.net: Kurische Nehrung). Allerdings sind Ostseedünen im Vergleich zur Dünenlandschaft der namibischen Atlantikküste eher Ponyhöfe für Kindergeburtstage. - Post 16.02.2016: Scenic Flight über die Namib
 
 
Wanderung auf der Perwalka-Düne der Kurischen Nehrung - Fotoserie
Von Klaipėda ist die Kurische Nehrung nur per Fähre über das Kurische Haff zu erreichen. Beim Start in Klaipėda regnet es leicht, aber der Regen zieht bald ab. Entgegen aller Wetterprognosen ist es über den Tag sonnig. Eine Straße verbindet mehrere Dörfer, die ehemals vom Fischfang lebten und im litauischen Teil inzwischen mehr oder weniger touristisch erschlossen sind. Unser erstes Ziel ist die Perwalka-Wanderdüne, auf die ein sandiger Bohlenweg führt. Auf- und Abstieg erschwert ein böiger Wind, fast schon ein Sandsturm, für den eine grandiose Aussicht entschädigt. 
 
Wanderdünen der Kurischen Nehrung 'wandern' bis zu 15 m/Jahr und haben in vergangenen Jahrhunderten insgesamt 14 Mal Fischerdörfer unter sich begraben und etliche Jahre später wieder freigegeben. Der Hauptort Nidden (Nida) war zweimal betroffen. Punktgenau rezitiert Reiseleiterin A. auf unserer Wanderung in dieser Landschaft Agnes Miegels Gedicht Die Frauen von Nidden


Thomas-Mann-Haus in Nidden (Nida) - Fotoserie
In Nidden (Nida) besichtigen wir das Thomas-Mann-Kulturzentrum. Mit dem Geld des Literaturnobelpreises ließ Thomas Mann 1929 in Nidden auf der Düne Schwiegermutterberg ein Ferienhaus bauen, in dem die Familie die Sommerferien von 1930 bis 1932 verbrachte und Thomas Mann am Josephsroman arbeitete, ehe die Familie 1933 emigrierte. 


Nidden (Nida) auf der Kurischen Nehrung - Fotoserie
Das ehemalige Fischerdorf Nidden (Nida) ist der Hauptort im litauischen Abschnitt der Kurischen Nehrung und inzwischen das touristische Zentrum der Region. Eine ausführliche Beschreibung des Ortes sowie seiner Geschichte und Kultur bietet im Portal genealogy.net der Artikel Nidden. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Nidden zu einer Künstlerkolonie (Wikipedia: Künstlerkolonie Nidden). Dieser Sachverhalt zog u.a. Thomas Mann an und motiverte ihn zum Bau des Ferienhauses. Die bekanntesten unter den zahlreichen Künstlern sind neben Thomas Mann die Expressionisten Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff.
 
Als historische regionaltypische Besonderheit von Kurenhäusern gelten gekreuzte Pferdeköpfe auf Dachfirsten und Dächer ohne Schornsteine. Historisch wurden Kurenhäuser
"stets in den Farben braun (Erde), blau (Wasser und Himmel) und weiß (Wolken und Schaumkronen) angestrichen, um so die Verbundenheit mit den entsprechenden Göttern auszudrücken. Der First wurde mit stilisierten gekreuzten Hengstköpfen, den „zirgs“ versehen, die auf den Donnergott Perkuon weisen, den Ehemann der Erdgöttin Zemes, die durch den braunen Anstrich des Hauses dargestellt wird. Oft wurden auch rautenförmige Muster in die Firstverzierung eingearbeitet, die Symbole für die oberste Göttin, die Sonnengöttin Saule und ihren Ehemann, den Mondgott Menis. Die Raute steht ebenfalls für die heilige Pflanze Rūtele, deren Ästchen ziemlich wirr wachsen und so das Zusammenspiel und die Wechselwirkungen aller Dinge auf dieser Welt symbolisieren." (Wikipedia: Kuren.Wohnkultur)
Anstriche an Kurenhäusern und Zäunen in den Farben Ochsenblut (dunkles Rot) und Niddener Blau (kräftiges Dunkelblau) wurden erst durch die Künstlerkolonie etabliert. Das Niddener Thomas-Mann-Haus ist in diesen Farben gestaltet. Inzwischen gilt Niddener Blau gilt als Markenzeichen des Ortes.
 
Eine weitere Besonderheit der Region sind Kurenwimpel, die ursprünglich an Kurenkähnen als eine Art von Ausweis angebracht waren und zugleich die Windrichtung anzeigten (genealogy.net: Kurenkahn und Kurenwimpel). In der Gegenwart sind Kurenwimpel an der Niddener Ostseepromenade als dekorative Folklore aufgestellt und werden als Souvenirs in verschiedenen Größen und Materialien verkauft. Den speziellen Charakter von Kuren beschreibt ein Kapitel des Artikels Kurische Nehrung im Portal genealogy.net: Charakter der Bewohner

In Nidden besuchen wir eine als Museum deklarierte Bernsteingalerie. Vor dem Haus erwarten uns von litauischen Künstlern geschaffene menschengroße Holzfiguren, die im Stil neolithischer und bronzezeitlicher Bernstein-Figurinen gestaltet sind, die auf der Kurischen Nehrung insbesondere bei Juodkrantė (Schwarzort) gefunden wurden. Nach Einschätzung von Experten stellten verschiedene Kulturen über lange Zeiträume diese Figurinen als Artefakte mit vermeintlich magischen Kräften her. Funde dieser Bernstein-Figurinen sind als Schatz von Schwarzort bekannt. In der Galerie ist ein 3820 g schwerer Bernsteinklumpen ausgestellt.
 
Die Inhaberin der Galerie geht nicht auf kulturelle Kontexte ein. Kulturelle Kontexte resultieren aus eigenen Recherchen. Die Galerie lebt vom Verkauf des ausgestellten Bernsteinschmucks. Unser Besuch ist eine Veranstaltung, die Sachinformationen mit Werbung für Produkte der Galerie vermengt. Die Inhaberin erklärt Herkunft und Entstehung von Bernstein, dessen verschiedene Arten, Farben und Einschlüsse sowie Methoden der Identifizierung von echtem Bernstein und ist als Verkäuferin erfolgreich. 4 Frauen unserer Gruppe beschenken sich mit Schmuckstücken.
 
 
Mittagspause und Bootstour an der Niddener Ostseeküste - Fotoserie
In der Mittagszeit nehmen wir bei einem Niddener Fischerwirt einen vorab von unserer Reiseleiterin reservierten Imbiss mit Räucherfisch ein. Die Mittagspause setzen wir mit einer einstündigen Bootsfahrt entlang der Küstenlinie bis kurz vor der russischen Grenze fort. Um missverständlichen Grenzkonflikte zu vermeiden, müssen Bootsführer vor der Küste kreuzende Bootsfahrten anmelden. In der Dünenlandschaft der Parnidis-Düne (auch Hohe Düne oder Parniddener Düne genannt) erkennen wir auf russischer Seite Wachtürme sowie auf beiden Seiten Grenzmarken, zwischen denen 300 m Niemandsland liegt.
 
 
Ethnografischer Friedhof Nidden - Fotoserie
Artefakte mit magischen Bedeutungen sind nicht nur an Dachgiebeln von Häusern angebracht, sondern auch auf dem ethnografischen Niddener Friedhof zu finden, den wir nach der Bootstour besuchen. Zahlreiche hölzerne Grabkreuze des Friedhofs zeigen sowohl christliche als auch vorchristliche Symbole und werden als Kurenkreuze bezeichnet. Auf Kurenkreuzen sind abstrakt stilisierte Umrisse von Menschen, Kröten, Vögeln und anderen Tieren dargestellt. Dass dominante Kulturen im kulturellen Gedächtnis verankerte Symbole und Narrative überlagerter älterer Kulturen mittels Umdeutung integrieren, ist keineswegs ungewöhnlich, sondern durchaus üblich. Eher selten geschieht das so offenkundig und so offensichtlich manipulativ, wie es hier zu sehen ist. Zu erwarten wäre, dass christliche Symbole dominieren. Auf Kurenkreuzen des Friedhofs tritt jedoch das christliche Kreuzsymbol deutlich hinter vorchristlichen kurischen Symbolen zurück. Reiseleiterin A. macht darauf aufmerksam, dass auf dem Friedhof aufgestellte Kurenkreuze keine historischen Artefakte darstellen, sondern vor einigen Jahrzehnten von Litauer Künstlern gefertigt wurden. Aber die Geschichte der Kurenkreuze ist komplizierter und erschließt sich keiner naiven Anschauung.

Bis zum Ende des 2. Weltkriegs gehörte Nidden zum deutschen Kulturraum Ostpreußens. Ältere Gräber des Friedhofs zeigen Grabplatten mit deutschen Inschriften.
 
Mehr als 700 Jahre deutscher Kulturgeschichte lassen sich nicht auslöschen. In der Sowjetzeit nach 1945 wurde die deutsche Historie politisch tabuisiert und die Geschichte der Region anhand einer älteren Vergangenheit litauischer Kuren neu geschrieben. Niddener Künstler wurden 1975 beauftragt, auf dem Friedhof angebrachte Kurenkreuze anzufertigen, die sowjetischen Touristen als kurisch-litauisches Kulturerbe präsentiert wurden. Auf diese Art wurden der ehemals deutsche Friedhof zum ethnografischen Friedhof umgewidmet und Spuren deutscher Kultur verwischt. Ein Artikel von Anja Peleikis, Mitarbeiterin des Max-Planck-Instituts für ethnologische Forschung, Halle (Saale), informiert (unsortiert und konfus) über diese Zusammenhänge: Recht und die Konstruktion von Kulturerbe: Das Fallbeispiel Kurische Nehrung (Litauen) 
 
 
Wanderung auf die Perniddener Düne (Parnidis-Düne) - Fotoserie
Nach der Bootstour wandern wir aus Richtung Haff auf die zuvor vom Wasser betrachtete und inzwischen nicht mehr 'wandernde' Parnidis-Düne. Nach der Dune du Pilat an der französischen Atlantikküste zählt die Parnidis-Düne zu den größten Dünen Europas (Top 10 Dünen in Europa). Auf der Aussichtsplattform der Düne bietet sich ein attraktiver Rundblick. Die russische Grenze befindet sich nur 1,5 km entfernt. Auf russischer Seite sind mehrere Wachtürme zu erkennen. Von der Düne steigen wir zur heute recht stürmischen Oststeeküste ab und gehen durch den angrenzenden Wald bis zur Straße, an der uns der Gruppenbus für die Rückfahrt nach Klaipėda erwartet.

 
Dinner in Klaipėda - Fotoserie
Das Restaurant für unser Dinner in Klaipėda wählen wir in Eigenregie. Unser Dumont-Reiseführer Baltikum empfiehlt u.a. das Restaurant Katpėdėlė in einem historischen Speicherhaus am Ufer der Dange. Die Ausgabe des Reiseführer ist aus dem Jahr 2019. Der redaktionelle Stand ist älter. Im Restaurant treffen wir mehrere Mitreisende, die offensichtlich ebenfalls mit dem Dumont-Reiseführer unterwegs sind. Vor einigen Jahren mag die Empfehlung gerechtfertigt gewesen sein. Heute erweist sie sich als Flop. Service und Gerichte grenzen an Katastrophen.
 
 
02.07.2023: Reise von Riga, Lettland, nach Klaipėda, Litauen
 
Berg der Kreuze, Litauen
Berg der Kreuze, Litauen
 
Berg der Kreuze in Litauen - Fotoserie
Nach Überquerung der Grenze zwischen Lettland und Litauen besichtigen wir beim Ort Šiauliai (Schaulen) im Regen ein weiteres Kuriosum, den Berg der Kreuze (Kryžių kalnas), ein Wallfahrtsort und touristisches Must do, dessen Geschichte der Wikipedia-Artikel Berg der Kreuze beschreibt. Historisch war der Berg der Kreuze wahrscheinlich seit dem 14. Jahrhundert eine Gebet- und Opferstätte. Anonym angebrachte Kreuze gedachten u.a. den Opfern stalinistischer Politik, weshalb Sowjetpolitik den Berg der Kreuze nach dem 2. Weltkrieg als Provokation betrachte. Sie ließ die Kreuze mehrmals abräumen und zerstören, worauf die Bevölkerung umgehend in nächtlichen Aktionen mit der Errichtung neuer Kreuze reagierte und der Berg der Kreuze zum Symbol nationalen Widerstands gegen die Sowjetunion mutierte.
 
Die Menge angebrachter, aufgestellter, aufgehängter, niedergelegter Kreuze, Rosenkränze und anderer katholisch-religiös konnotierter Objekte ist unüberschaubar. Schätzungen nehmen mehrere Hunderttausend Objekte an. Die Menge der Kreuze wächst kontinuierlich und damit auch die benötigte Fläche, aber vorhandener Platz dürfte noch etliche Jahre ausreichen. 1993 hat Papst Johannes Paul II. den Wallfahrtsort besucht und eine Messe mit 100.000 Besuchern gelesen. Zu diesem Anlass wurde ein Altarpavillon errichtet. Papst Johannes Paul II. veranlasste am Wallfahrtsort die Errichtung eines im Jahr 2000 eingeweihten Franziskanerklosters, dessen Brüder die Anlage betreuen und ein Gästehaus betreiben (Kloster der Minderen Brüder der litauischen Provinz St.Kasimirs am Berg der Kreuze). 
 
Weiträumige Parkplätze deuten an, dass der Andrang von Menschen zu anderen Zeiten deutlich größer ist als heute. Am Parkplatz befindet sich ein Informationszentrum mit Souvenirverkauf, Kaffeeautomaten und Toiletten sowie ein Devotionalienstand, an dem Kreuze in verschiedenen Größen, Ausführungen, Preislagen und auch Rosenkränze verkauft werden. Wer als Besucher ein Kreuz hinterlassen möchte, reist jedoch i.d.R. bereits mit Kreuz an. Bei der anschließenden Pause in einem Restaurant in Nähe des Bergs der Kreuze wird der Regen vorübergehend heftiger und zieht auf der Fahrt zum Etappenziel langsam ab. In Klaipėda zeigt sich zaghafter Sonnenschein.
 
 
Ankunft in Klaipėda, Litauen, am Kurischen Haff - Fotserien: Klaipėda - Dinner
Der deutsche Name von Klaipėda ist Memel. (Der Name Memel leitet sich aus einem kurischen Dialekt für langsam, schweigend, still ab. Klaipėda leitet sich aus kurischen Begriffen für flach, frei, offen ab.) Klaipėda liegt nicht am Fluss Memel, sondern an der Mündung des Flusses Dange in das Kurische Haff. Die Memel müdet ca. 50 km weiter südlich in einem dreiarmigen Delta in das Kurische Haff. 
 
Die Geschichte des Memellands ist kompliziert (BPB: Die Memel im Lauf der Geschichte):
  • Im 13. Jahrhundert konnte der Schwertbrüderorden das von einer hölzernen Burg der Kuren geschützte Gebiet um die Mündung des Flusses Dange in das Kurische Haff erobern. Der Orden errichtete am Ort der kurischen Vorgängerburg die bis Ende des 18. Jahrhunderts bestehende Memelburg
  • Neben der Burg wurde 1250 wurde die Stadt Memel (Klaipėda) gegründet. 
  • 1283 begann ein hundertjähriger Krieg des Deutschen Ordens gegen baltische Stämme im Gebiet des heutigen Litauen. Um den Deutschen Orden abzuwehren, nahm der litauische Großfürst Vytautas den katholischen Glauben an und ging eine Union mit dem polnischen Adel ein (siehe 5.07.2023: Entstehung von Vilnius). Im Ergebnis konnte der Deutsche Orden das litauische Kerngebiet nie unter seine Herrschaft bringen. 
  • 1328 gingen die Memelburg und Stadt Memel an den Deutschen Orden und wurden Teil des Deutschordenstaats
  • 1422 wurde die Grenze zu Litauen festgelegt. 
  • Über 500 Jahre war Memel (Klaipėda) am Kurischen Haff von Deutschen mit einer litauischen Minderheit bewohnt. Aus dem Hauptort des Deutschen Ordens,ging seit der Reformation Preußen hervor, das bis 1920 das protestantische Memelland bzw. Kleinlitauen oder Mažoji Lietuva beherrschte.
  • 1920 musste Deutschland das Memelland aufgrund des Versailler Vertrags an die alliierten Mächte unter französischer Verwaltung abtreten.
  • Nachdem Litauen in Folge des 1. Weltkriegs seine Unabhängigkeit erlangt hatte, annektierte es 1923 das Memelland. Der Völkerbund erkannte die Annektierung an.
  • Im März 1939 hielt Hitler vom Balkon des Rathauses am Theaterplatz Klaipėdas eine Rede, in der er die Eingliederung des Memellands forderte. Unter dem Druck Deutschlands schloss die litauische Regierung eine Woche später einen Übergabevertrag ab (Wikipedia: Deutsches Ultimatum an Litauen). Ein geheimes Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Paktes teilte die baltischen Länder gemäß deutschen und russischen Interessensphären auf. Kurz nach der deutschen Übernahme des Memellandes marschierte Stalins Armee in das Baltikum ein und begann sogleich mit Säuberungen in Form von Hinrichtungen und Massendeportationen, an die der Berg der Kreuze u.a. erinnert. 
  • 1945 wurde das Memelland Teil der Litauischen Sozialistischen Sowjetrepublik und die Stadt Memel in Klaipėda umbenannt.
  • 1990 wurde Litauen unabhängig und machte Klaipėda bis 2010 zu einer freien Wirtschaftszone, mit der die Stadt wirtschaftlich aufblühte. 
In Klaipėda wohnen wir mit 2 Übernachtungen im komfortablen Hotel Victoria (4*+) am Übergang zwischen Altstadt und Neustadt. Klaipėda blieb im 2. Weltkrieg von Zerstörung weitgehend verschont, weil Hitler die Räumung der Stadt vor der Eroberung durch die Rote Armee anordnete. Als Folge des 2. Weltkriegs wurde in der Potsdamer Dreimächtekonferenz der Alliierten auf Druck Stalins die Westverschiebung Polens entschieden, die der Sowjetunion Teile Ostpreußens und des Memellands überließ. Anfang der 1990er Jahre konnten die baltischen Länder ihre Unabhängigkeit erreichen, die aber von der Sowjetunion bisher nicht bestätigt wurde. Die Angst vor der Sowjetunion nimmt unter Putin wieder zu.
 
Am Abend der Ankunft unternehmen wir bei inzwischen wieder sonnigem Wetter einen Rundgang in der überschaubaren Altstadt, bei dem wir u.a. das Denkmal der Ännchen von Tharau besichtigen. Reiseleiterin A. ist bestens vorbereitet und spielt von einer Konserve das berühmte Gedicht in einer von Fritz Wunderlich gesungenen Version. Das Dinner nehmen wir als Gruppe in dem Altstadt-Restaurant Etno Dvaras ein.  
 
 
Memel (Klaipėda) Parkstraße 3 (Donelaičio gatvė) - Eigene Fotos vor Ort - Fotos aus Recherchen
Vom Restaurant kehren wir nicht auf direktem Weg zum Hotel zurück, sondern gehen ohne Gruppe einen kurzen Umweg, um in der ehemaligen Parkstraße 3 (Donelaičio gatvė) das Geburtshaus von Giselas Vater von außen zu betrachten und zu fotografieren. Das Haus Parkstraße 3 liegt in Klaipėda 550 m entfernt vom Hotel Viktoria. 
 
Über die Lage, das Aussehen und die Umgebung des Hauses haben wir uns vor der Reise informiert. Aus öffentlich verfügbaren Dokumenten ist ersichtlich, dass die Familie des Vaters maximal 3 Jahre in Klaipėda wohnte. Beide Elternteile waren Postschaffner (Bezeichnung des unteren Rangs von Postbeamten) und zählten damit zu Kleinbürgern. Wir wissen nicht, was die katholische Familie innerhalb von Ostpreußen temporär aus der erzkatholischen Provinz Ermland in die erzprotestantische Stadt Memel (litauisch Klaipėda) der umstrittenenen Provinz Memelland verschlagen hat.(6) Wohnhäuser der Parkstraße waren Beamtenhäuser. Das 1866 gebaute Haus der Parlstraße 3 gehörte der jüdischen Kaufmannfamilie Hurwitz. Das Haus wurde in Kriegen nicht zerstört und steht unter Denkmalschutz. In der Gegenwart nutzt das Haus eine Zweigstelle des Litauischen Samariterbunds. Unklar bleibt, ob das Haus auch privat bewohnt ist. Am Haus ist nur eine Klingel angebracht, was gegen private Bewohnung spricht.

Die Parkstraße ist eine Verlängerung der Bahnhofstraße in der Neustadt (Genealogy.net: Parkstraße in Memel). Gegenüber des Hauses befindet sich eine vermutlich namensgebende kleine Parkanlage. In einem historischen Stadtplan von 1913 ist diese Parkanlage als öffentlicher Turnplatz ausgewiesen. Im 17. Jahrhundert befand sich auf dem im 19. Jahrhundert eingerichteten Platz vermutlich ein Friedhof. 1939 wurde auf dem Turnplatz ein Denkmal für Kaiser Wilhelhelm I. aufgestellt (historische Postkarte), das ursprünglich an andere Stelle stand und 1923 gestürzt wurde. Nach dem 2. Weltkrieg wurde der Platz in Donelaičio Platz umbenannt. Umbenennungen des Platzes und der Parkstraße in Donelaičio gatvė verweisen auf den litauischen Schriftsteller und pietistischen Theologen Kristijonas Donelaičio (1714-1780), dem 1974 eine Skulptur in der Anlage des ehemaligen Turnplatzes gewidmet wurde.

Etwas versetzt liegt gegenüber der Parkstraße 3 auf der Parkstraße 4 ein größeres, 1910/11 errichtetes Gebäude des ehemaligen Auguste-Viktoria-Lyzeums, das aktuell als Fakultätsgebäude der litauischen Akademie für Kunst und Musik genutzt wird. An die Parkstraße grenzte bis zum 2. Weltkrieg der zentrale Stadtfriedhof. Seit 1977 befindet sich auf der Fläche des ehemaligen Friedhofs ein Skulpturenpark, dessen Besuch aufgrund des eng getakteten Programms nicht gelang.
 
 
Lettland

02.07.2023: Abschied von Lettland
 
02.07.2023 Schloss Rundāle
Schloss Rundāle
 
Schloss Rundāle in der Region der Semgallen, Lettland - Fotoserie
Auf der Reise von Lettland nach Litauen besichtigen wir auf dem platten Land inmitten von Nirgendwo eine herausragende Sehenswürdigkeit Lettlands in der Region Semgallen. Das im Stil des Barock und des Rokoko errichtete Schloss Rundāle wird als baltisches Versailles bezeichnet. Schloss Rundāle war die Sommerresidenz des kurländischen Herzogs Ernst Johann von Biron (1690-1772). Das Schloss ist weitgehend im Originalzustand erhalten. Es gliedert sich auf 7000 qm Fläche in 138 Räume, von denen aber nur ein Teil der Räume restauriert ist und erneut im Stil der Zeit ausgestattet wurde. Das Schloss besichtigen wir im Rahmen einer angemeldeten Führung. Anschließend besteht Gelegenheit zu einem Rundgang im Schlossgarten. - Wikipedia: Schloss Rundāle (Ruhenthal) - Webeseite des Museums: Schlossgeschichte
 
Die Geschichte der Entstehung des Schlosses ist reich an Dekadenz, Skurrilität, Arroganz, menschlicher Hybris: 
  • Biron gehörte zum niederen Adel und war Favorit der Herzogin Anna Iwanowna von Kurland (1693-1740), Halbnichte des Zars Peter der Große (1623-1725). Mit dem Bau des Schlosses beauftragte die russische Zarin Anna Iwanowna (1693-1740) den russisch-italienischen Architekten und Baumeister Bartolomeo Francesco Rastrelli, der am Bau der Eremitage in St. Petersburg beteiligt war.
  • Anna, eine großbrüstige Matrone, wurde 1710 mit dem Herzog Friedrich von Kurland verheiratet, ein Halbbruder des Zars Peter der Große. Die Hochzeit wurde in St. Petersburg gefeiert. Nach der Heirat verstarb der Herzog auf der Rückfahrt per Postkutsche von St. Peterseburg nach Kurland unter ungeklärten Umständen. Mit Wohlwollen des Zaren wurde Anna 1711 Regentin von Kurland. Ihr Oberhofmeister war zugleich über längere Zeit ihr Liebhaber. 
  • Ernst Johann von Biron war zunächst Annas Sekräter. Als Annas erster Günstling stieg er zum Oberhofmeister auf und machte sich unentbehrlich. Biron wird als prunksüchtig und grausam beschrieben.
  • Der Hofrat hält Anna für unbedarft und beruft sie 1730 als Zarin Russlands mit der Absicht, eigene Interessen durchsetzen zu können. Ihren Favoriten Biron nahme sie mit nach St. Petersburg. Anna ging ihrem Vergnügen nach und überließ Regierungsgeschäfte Biron, den sie trotz der Protesten des russischen Adels zum mächtigsten Mann im Reich machte. Sie überhäufte Biron mit Geschenken, Orden, höfischen Würden und veranlasste den Bau des Schlosses Rundāle als Birons Sommerpalast samt einem Garten im französischen Stil. 1735 begann der Bau. 
  • Ab 1738 nutzte Biron das Schloss. In Zarin Annas Herrschaftsjahrzehnt regierte Biron uneingeschränkt und übt eine Schreckensherrschaft aus. Auf seine Anweisung sollen 12.000 vermeintliche Verschwörer hingerichtet und weitere 20.000 nach Sibirien verbannt worden sein. Annas Regierungszeit als Zarin gilt als "dunkle Epoche".
  • Als die Zarin 1740 verstarb, wurde Biron vor Gericht gestellt und nach Sibirien verbannt.
  • Zarin Katharina II. (1729-1769) setzte Biron 1762/3 erneut als Herzog von Kurland ein, der die Fertigstellung des Schlosses veranlasste.(5) 
  • Nach Birons Tod überließ die Zarin das Schloss ihrem Günstling Platon Alexandrowitsch Subow, Leutnant der Reitergarde und ähnlich ehrgeizig und skrupellos wie Biron. Durch Förderung der Zarin stieg Subow in privilegierte Stellungen auf. 
Nach einem Rundgang im Schlosspark und dem Besuch eines Cafés im Schlosspark setzen wir die Busreise nach Litauen fort.


01.07.2023: Besichtigungen in Riga, Lettland

Blick aus der Nationalbibliothek zur Altstadt von Riga
Blick aus der Nationalbibliothek zur Altstadt von Riga

In den vergangenen Tagen erschwerte eine Hitzewelle alle Außenaktivitäten. Statistisch sind um 20 Grad zu erwarten. Erreicht wurden bis zu 30 Grad. Am Morgen des heutigen Tages fällt endlich Regen, der Abkühlung bringt. Das Wetter der nächsten Etappe (Klaipėda und Kurische Nehrung) ist als wechselhaft und kühler angekündigt. Wenn die Prognose zutrifft, dürfen wir für die Schlussetappe nach Vilnius, Hauptstadt Litauens, wieder sonniges Wetter erwarten. Um 9:00 Uhr startet ab dem Hotel Avalon Hotel am Rand der Altstadt ein geführter Rundgang durch die Bezirke Vecrīga (Alt-Riga) und Centrs (Neustadt) von Riga, Hauptstadt Lettlands
 
 
Albert von Buxthoeven
Um die Stadt Riga in ihrer historischen Entwicklung zu verstehen, muss man mehr als 800 Jahre früher bei Albert von Buxthoeven (1169-1229) aufsetzen, auf den die historische Stadtgründung Rigas im Jahr 1201 zurückgeht. Albert stammt aus einer Familie Bremer Ministerialbeamter und hat nicht nur in Riga, sondern auch in anderen baltischen Staaten nachhaltig wirksame Spuren hinterlassen. 1199 weihte ihn sein Onkel, Hartwig II., Erzbischof von Hamburg-Bremen und Reichsfürst von Bremen, zum Bischof von Livland, einer historischen Landschaft, die von baltischen Stämmen bewohnt war und das heutige Estland sowie Teile des heutigen Lettlands umfasste. 
 
Albert verstand sich als Kreuzritter, der im Sinne mittelalterlicher Kreuzzüge im Nahen Osten heidnische Religion des Livlands umfassend mit Gewalt zu missionieren beabsichtigte, d.h. mit Segen der Kirche imperial-kolonial erobern wollte. Dass religiöse Motivation mit strategisch-wirtschaftlichen Kalkülen untrennbar verwoben ist und mit Mitteln von Machtpolitik gewaltsam durchgesetzt wurde und noch immer wird, entspricht Denkweisen monotheistischer Religionen, deren Institutionalisierung sich im Interesse der Legitimierung von Machteliten ausbreitete.
 
Mit einer von Papst Innozenz III. ausgestellten Kreuzzugsbulle (Kreuzzugsaufruf Innozenz' III. nach Livland) erreichte Albert 1200 aus Richtung Lübeck mit 23 Schiffen in Begleitung von 500 Kaufleuten und Kreuzfahrern über die Ostsee die Region des lettischen Meerbusens an der Mündung der Düna. Die Eroberung Livlands sicherte Albert mit weitreichenden strategischen Entscheidungen:
  • 1201 gründet Albert die Stadt Riga, die er nach dem Vorbild von Bremen ausbauen und mit deutschen Kaufleuten und Handwerkern besiedeln ließ. Gemäß einer auf 1211 datierten umstrittenen Urkunde ließ Albert den Dom zu Riga als Kathedrale des Bistums Riga errichten. Das bis heute größte Kirchengebäude der baltischen Staaten macht deutlich, in welchen Dimensionen Albert plante.
  • 1204 verlegte Albert seinen Bischofssitz nach Riga. 
  • 1205 stiftete Albert an der Mündung der Düna das Zisterzienser-Kloster Daugavgrīva.
  • 1207 weihte Albert bereits den Vorgänger des Doms, ein 1215 abgebranntes Holzgebäude und das Land der Jungfrau Maria und sicherte damit einen kontinuierlichen Pilgerstrom.
  • 1207 unterstellte sich Albert dem staufischen König Phillipp von Schwaben und erreichte seine Aufnahme in den Reichsfürstenstand. 
  • Politisch etablierte Albert einen Vasallenstaat und belehnte verdiente Kreuzfahrer mit Land und deren Bewohnern.
  • Zur Kontrolle der Kreuzritter veranlasste Albert 1202 die Gründung des geistlichen Ritterordens der Schwertbrüder nach dem Vorbild des Templerordens. (1237 ging der Schwertbrüderorden in den Deutschen Orden auf.)
  • 1225 wird erstmals ein Rigaer Stadtrat erwähnt, der vermutlich schon früher bestand.
  • Durch päpstlich abgesicherte Privilegien erhielten Kaufleute von Riga Monopolrechte.
Bis zur Reformation wurde Albert als Heiliger verehrt. Noch bevor Wolter von Plettenberg, Landesmeister des Deutschen Ordens in Livland, 1525 den Übergang zum lutherischen Bekenntnis verkündete, schloss sich Riga 1522 der Reformation an und beendete so die Macht seiner Bischöfe. 
 
Durch Albert vor mehr als 800 Jahren initiierte Einflüsse deutscher Kultur beschränkten sich zwar auf Städte sowie auf die adlige Oberschicht und deren Großgrundbesitz, aber diese Einflüsse zeigen Auswirkungen bis in die Gegenwart. Städte und ihre Architekturen wurden nach deutschen Vorbildern errichtet und waren nach deutschen Vorbildern organisiert. Aus der nach Livland eingewanderten deutschen Oberschicht entwickelten sich Teile des deutsch-baltischen Adels und des baltischen Großbürgertums. Die deutsch-baltische Minderheit behauptete unter wechselnden Herrschaften ihre Führungsrolle bis im 19. Jahrhundert und übte großen politischen, wirtschaftlichen, kulturellen Einfluss aus. 
 
Der Hitler-Stalin-Pakt von August 1939 sah eine Neuaufteilung der Interessensphären zwischen Deutschland und Russland vor. Nationalsozialistische Ideologie betrachtete Deutsch-Balten als 'rassisch wertvoll'. Daher veranlasste nationalsozialistische Politik in einer groß angelegten Aktion 1939 eine Umsiedlung von Deutsch-Balten (Wikipedia: Umsiedlung der Deutsch-Balten). Nachdem baltische Staaten ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion erreichten, lassen sich seit 1991 etliche ehemalige Deutsch-Balten aufgrund von Entschädigungen für Enteignungen bzw. von Restitutionen des ehemaligen Besitzes erneut in den baltischen Staaten nieder. Teilweise wurden sie auch von baltischen Politikern zurückgerufen, um Bindungen an Westeuropa zu stärken. Prominente Beispiele dieser Rückführung haben wir in Estland am 27.06.2023 auf dem Gutshofs Palmse sowie im Vihula Herrenhaus aus unmittelbarer Nähe erlebt.
 
 
Rundgang in der Altstadt Riga - Fotoserie
Riga entwickelte sich rasch zu einem bedeutenden Handelsplatz und trat als Drehscheibe des Russlandhandels bereits im 13. Jahrhundert der Hanse bei. Zahlreiche Patrizierhäuser und repräsentative Gildehäuser dokumentieren in der Altstadt ecrīga (Alt-Riga) die Bedeutung und den Wohlstand des mittelalterlichen Riga. Als bedeutende Metropole und Hafenstadt war Riga immer wieder umkämpft, von unterschiedlichen politischen Mächten beherrscht und wurde oft zerstört. Im 2. Weltkrieg zerstörte Gildehäuser wurden nach 1990 rekonstruiert.
 
Das prächtigste der Rigaer Gildehäuser ist das im Stil der Renaissance errichtete Haus der Schwarzhäupter am Rathausplatz. Schwarzhäupter waren Bruderschaften unverheirateter Kaufleute der Patriziergesellschaft. Bruderschaften der Schwarzhäupter bestehen in Riga und Tallinn bis heute. Rigas  Schwarzhäupterhaus war immer auch ein Kulturzentrum der Stadt. Richard Wagner veranstaltete in seiner turbulenten Zeit als Kapellmeister des Rigaer Stadttheaters im Zeitraum 1837-1839 mehrere Konzerte im Schwarzhäupterhaus. Aktuell läuft eine Sanierung des Rigaer Wagnerhauses. - Wagnerhaus in Riga: Wagner in Riga - FAZ: Baltische Inspiration für Bayreuth
 
Unter zahlreichen Partnerstädten Rigas sind Bremen und Rostock als deutsche Partnerstädte historisch nachvollziehbar. Nördlich der Petrikirche ist eine Figurengruppe der Bremer Stadtmusikanten (Riga) aufgestellt, die Bremen 1990 Riga schenkte. Eine Stadtrechte dokumentierende Rolandstatue des Rathausplatzes (Kopie einer Figur aus dem Jahr 1898) ist nach Bremener Vorbild gestaltet. Ein hölzerner Rigaer Roland war bereits im 14. Jahrhundert aufgestellt.
 
Während unseres Rundgangs setzt ein Regenschauer ein, den wir mit einer Pause in einem Café der Altstadt überbrücken. Den Rundgang setzen wir mit einer Besichtigung des Doms zu Riga fort. Von der ursprünglich romanischen und gotischen Architektur sind Teile erhalten. Der Kreuzgang des ehemals zum Dom gehörenden Klosters stammt noch aus der Zeit Alberts. Im Kreuzganghof ist eine neuzeitliche Skulptur Alberts aufgestellt. Die Gestaltung der Figur entspringt der Phantasie. Von Albert sind keine Abbildungen erhalten oder bekannt.
 
Als seit 1522 protestantisch umgewidmete Kirche ist der Dom trotz Barockisierung relativ schmucklos ausgestattet. Die ursprüngliche Ausstattung zerstörten 1524 reformatorische Bilderstürmer. Die farbige Ausmalung des Innenraums wurde weiß überstrichen. 1547 richtete ein Großbrand erhebliche Schäden an. Ein Kirchenfenster des 19. Jahrhunderts erinnert an diesen Übergang. 1621 wurde Riga dem schwedischen Reich angegliedert und blieb bis Anfang des 18. Jahrhunderts schwedisch. Ein weiteres Kirchenfenster des Doms zeigt die Übergabe Rigas an den Schwedenkönig Gustav II. Adolf im Jahr 1622 während des Dreißigjährigen Kriegs.
 
Die aktuelle Domorgel hinter einem frühbarocken Prospekt der Vorgängerorgel baute die in Ludwigsburg ansässige Orgelwerkstatt Walcker. Die 1884 eingeweihte Orgel war zu dieser Zeit die weltweit größte Orgel. Um 12:00 Uhr nehmen wir an einem sehr gut besuchten, kostenpflichtigen halbstündigen Orgelkonzert teil. Das Konzert auf der kürzlich restaurierten Orgel übertragen im Kirchenraum angebrachte Monitore.
 
 
Rundgang in der Neustadt Rigia - Fotoserie
Im ehemaligen Graben der Stadtbefestigung befindet sich der Kronvalds Park, durch den wir zur Neustadt (Centrs) von Riga gehen, in der wir uns bei inzwischen wieder sonnigem Wetter die bedeutendsten Gebäude der Jugenstilarchitektur Rigas anschauen. Epizentren des Rigaer Jugendstils bilden die nach Bischof Albert von Buxthoeven benannte Albertstraße sowie die Elisabethstraße.(4)

Einer der bedeutendsten Architekten des Jugendstils in Riga war Michail Ossipowitsch Eisenstein (1867-1920), Vater des russischen Regisseurs Sergei Michailowitsch Eisenstein (1898-1848), der den damals noch jungen Kinofilm revolutionierte. Seine Filme gelten als absolute Klassiker der Filmgeschichte und haben Generationen von Regisseuren inspiriert. Die Familie hatte deutsch-schwedische Vorfahren und war vom Judentum zum russisch-orthodoxen Glauben konvertiert.
 
Michail Eisenstein war Stadtarchitekt von Riga. Mit seinen architektonischen Ideen wendete sich Eisenstein gegen die neoklassizistische Bauweise in St. Petersburg. Seine Gebäude in der Elisabethstraße der Neustadt von Riga gelten als Juwelen des Jugenstils, aber auch angrenzende Gebäude und das gesamte Viertel sind außergewöhnlich sehenswert. Aufgrund der weltweit einzigartigen Qualität und Quantität von Architektur im Jugendstil bei relativ intakt gebliebenem historischen Stadtgefüge sowie wegen der Holzarchitektur des 19. Jahrhundert wurde die Innenstadt Riga 1997 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Stadtpläne des Jugenstilviertels zeigt die Webseite des Jugenstilmuseums Riga in lettischer und englischer Sprache: Rigas Jugenstil à Centrs
 
 
Besuch der Markthallen von Riga - Fotoserie
Die Gruppenführung endet um 13:45 Uhr. Wir setzen den Rundgang self guided mit einem Besuch der Markthallen von Riga fort. Die Markthallen liegen auf der Höhe unseres Hotels auf der gegenüberliegenden Seite der Düna, die wir auf einer stark befahrenen Straßenbrücke überqueren. In der Nachbarschaft der Markthallen befinden sich der Hauptbahnhof und der zentrale Busbahnhof von Riga. Die Umgebung der Markthallen ist nicht gerade attraktiv. Um zu den Makthallen zu gelangen, müssen wir uns durch geschäftigen Fußgängerverkehr wühlen. In den Markthallen treffen wir auf eine andere Welt, die an orientalische Basare erinnert, die wir 2018 im Rahmen einer Usbekistan-Reise besucht haben.
 
Der Zentralmarkt von Riga gilt als Bauch von Riga. Fünf große Hallen wurden ursprünglich als Hangars für Luftschiffe errichtet und werden daher auch als Zeppelinhallen bezeichnet. Nach Umwidmung und Eröffnung im Jahr 1930 war der Zentralmarkt der vermeintlich größte, modernste, beste Markt Europas und ist noch immer eine Top-Sehenswürdigkeit (Riga Live: Rigaer Zentralmarkt - Lativa travel: Rigaer Zentralmarkt). Die Nutzung der Hallen verteilt sich auf Produktgruppen. Ein Besuch der Fleischhalle stellt zarte Gemüter vor Herausforderungen und Vegetarier oder Veganer vor Mutproben. Die Fischhalle präsentiert neben einem sensationellen Angebot an frischem Fisch und Räucherfisch frische oder verarbeitete Meeresfrüchte aller Art. Preise der Produkte liegen in uns bekannten Größenordnungen. Für bescheidene Einkünfte dürften diese Produkte kaum erschwinglich sein. Ob das der Grund für den eher schwachen  Besuch der Fischhalle ist, lässt sich nur vermuten. In einer der Hallen bieten verschiedenste gastronomische Einrichtungen ihre Produkte an, deren Verzehr auch vor Ort möglich ist. Außerhalb der Markthallen befindet sich ein Bauernmarkt für frisches Obst, Gemüse und Blumen.
 
 
Dinner in Riga - Fotoserie
Das Abendessen nehmen wir heute in Eigenregie ein. Wir entscheiden uns für das Restaurant Province mit lettischer Küche, das wir ab Hotel mit nur 5 Minuten Gehweg in der Altstadt von Riga erreichen. Über folkloristische Dekorationen der Räume kann man unterschiedlicher Ansicht sein. Mit angebotenen rustikalen Gerichten können wir uns anfreunden. Regionales Faßbier zum Preis von 4 € für 0,5 l ist exzellent. Nach dem Dinner gönnen wir uns in der Lobby-Bar des Hotels eine Flasche moderat bepreisten neuseeländischen Sauvignon Blanc, der erstaunlich gut schmeckt.
 

30.06.2023: Fahrt von Cēsis nach Riga
 
Blick von der Hängebrücke auf die Gauja
Gauja im Gauja-Nationalpark (Aufnahme von der Hängebrücke)
 
Wanderung im Gauja-Nationalpark bei Sigulda, Lettland - Fotoserie
Cēsis liegt am Gauja Nationalpark. Nach einer kurzen Busfahrt erreichen wir unsere heutige Wanderroute entlang des Flusses Gauja, der naturbelassen durch den gleichnamigen Nationalpark mäandert (Homepage des Nationalparks). Der 452 km lange Gauja durchquert Lettland in Ost-West-Richtung und mündet bei Riga in die Ostsee.
 
Im Nationalpark gehen die meisten Besucher nur bis zur Gutmannshöhle, die der Fluss Gauja im Buntsandstein geformt hat. Die Höhle gilt als größte bekannte Höhle der baltischen Staaten. Berühmt ist die Höhle wegen der tragischen Legende der Rose von Turaida, die viele Liebespaare anzieht. Die Legende der Rose von Turaida inspirierte lettische Brautpaare zu dem Brauch, nach der Hochzeitsfeier zur Gauja zu reisen und als Treueschwur den Brautstrauß in den Fluss zu werfen. Der Brauch ist ähnlich originell wie Liebesschlösser an Brückengeländern. Die Anziehungskraft der Höhle beruht vor allem auf Wasser einer in der Höhle entspringenden Quelle. Wasser der Quelle gilt als heilkräftig und garantiert gemäß Überlieferung ewige Liebe und vor allem Treue. Ob das Wasser die vermuteten Kräfte entfaltet, kann jeder selbst prüfen. Rückmeldungen von Ergebnissen sind willkommen. Mädchen, die sich das Gesicht mit Wasser der Quelle befeuchten, bleiben angeblich ewig jung und schön. Auf zur Gauja! Ob diese Aussicht empirischen Prüfungen standhält, widerspricht unseren Erfahrungen und ist eher fraglich. Nach Besichtigung der Höhle setzen wir die 3-stündige Wanderung entlang der Gauja auf einem landschaftlich attraktiven Rundweg fort.


Besichtigung Burg Turaida bei Sigulda, Lettland - Fotoserie
Nach kurzer Weiterfahrt besichtigen wir in Sigulda die auf Anordnung von Albert von Buxthoeven (1169-1229), Bischof von Livland und des Erzbistums Riga, errichtete Burg Turaida (Treyden). Bischof Albert organisierte mit Segen des Papstes Innocent III. einen Kreuzzug zur Missionierung von Livland und entwickelte in der Region seine eigene Machtposition, zu deren Absicherung Albert mehrere Burgen bauen ließ. Christianisierung bedeutete Unterwerfung. Livländische Stämme waren an Missionierung nicht interessiert. Wer sich nicht unterwarf, wurde umgebracht. 1201 gründete Bischof Albert Riga (siehe 1.07.2023).
 
In unmittelbarer Nähe der Burg befindet sich die Grabstätte der legendären livländischen Frauenfigur Maija, die den livländischen Willen zur Freiheit narrativ thematisiert. Die Legende der Rose von Turaida berichtet, dass Maija verliebt war und freiwillig den Tod wählte, weil sie sich einem polnischen Soldaten nicht hingeben wollte. Die Legende verpackt Muster nationalistischer Ressentiments gegenüber Polen bzw. zwischen Polen und baltischen Ländern, auf die wir auch an anderen Orten aufmerksam werden. Ursachen oder Berechtigungen dieser Ressentiments können wir nicht prüfen. Vermutlich resultieren solche Ressentiments aus einer Mischung biologisch und kulturell verankerter universeller Mechanismen.
 
 
Ankunft in Riga, Hauptstadt von Lettland, und Besichtigung der lettischen Nationalbibliothek - Fotoserie
Um 16:00 Uhr treffen wir in Riga ein. Wir hätten vorgezogen, gleich im Avalon Hotel am Rand der Altstadt für 2 Nächte einzuchecken, um uns nach hoher Temperatur der Tageswanderungen zu erfrischen und auszuruhen. Das Hotel erreichen wir erst um 18:15 Uhr, weil Reiseleiterin A. andere Pläne hat und außerplanmäßig eine 1,5-stündige geführte Besichtigung der lettischen Nationalbibliothek organisiert (Internetpräsenz der Bibliothek auf lettisch und englisch: National Library of Latvia). 
 
Der monumentale Komplex vermittelt als moderne Landmarke der Hauptstadt das Gegenteil von Demut und Bescheidenheit. Baukörper, Lage und ein weiträumiger Vorplatz erinnern an prähistorische Pyramiden ägyptischer Pharaonen und an historische Kathedralen religiöser Zentren. Die Symbolarchitektur der Nationalbibliothek erfüllt vermutlich ähnliche Aufgaben. Deutende und wertende Aussagen über die politische Symbolarchitektur der Nationalbibliothek beruhen selbstverständlich auf persönlichen Ansichten.  
 
Die im Zeitraum 2008-2014 errichtete Bibliothek ist 68 m hoch, hat 13 Stockwerke mit 1000 Leseplätzen und beschäftigt laut Wikipedia 480 Mitarbeiter. Bestände umfassen mehr als 5 Millionen Objekte. Der Besucherstrom ist im Zeitraum unserer Besichtigung ausgesprochen übersichtlich. Allerdings ist dieser Sachverhalt zwischen 16:00 und 18:00 Uhr an einem Freitag in der Ferienzeit nicht aussagekräftig.
 
Eine Bibliothek dieser Dimensionen wirft im inzwischen angebrochenen digitalen Zeitalter mit entsprechenden, den öffentlichen Haushalt belastenden Kosten eine Reihe von Fragen auf, die sich glaubwürdig nicht mit pragmatischen Überlegungen beantworten lassen, sondern in Richtung kulturpolitische Aspekte weisen. Die Baukosten sollen immerhin 193 Millionen Euro betragen haben und wurden teilweise über eine von 140 Prominenten gegründete Stiftung finanziert. Weitere Spender können ihren Namen ab einem Spendenbetrag in Höhe von mindestens 150 € im Atrium gravieren lassen. Über laufende Betriebskosten des Schloss des Lichts (Gaismas pils), wie der Komplex in Riga genannt wird, sind keine belastbaren öffentlichen Angaben zu finden, aber in Riga werden gerne Witze über die Betriebskosten erzählt, was bei aktuell ca. 7 % Arbeitslosigkeit, durchschnittlich niedrigem Lohnniveau und hohen Inflationsraten (ca. 17 % im Jahr 2022) nicht überrascht, aber auch nicht für transparenten Stil von Regierungspolitik spricht.
 
Vermutlich bedient die Bibliothek kulturpolitische Ziele. Mit der Bibliothek ist beabsichtigt, Lettland und lettische Literatur als einen historisch gewachsenen Kulturraum mit eigener Identität sichtbar zu machen. Das Bauwerk wurde im Januar 2014 bezogen. Den Umzug von mehr als 4 Millionen Büchern aus mehreren in der Stadt verteilten Standorten bewerkstelligten ca. 25.000 Menschen, indem sie die Bücher bei klirrendem Frost per Menschenkette von Hand zu Hand weiterreichten. Die offizielle Eröffnung fand im August 2014 statt. 
 
Seit der Eröffnung vor 9 Jahren ist jeder Lette aufgefordert, ein für ihn persönlich wichtiges Buch mit Widmung einzureichen. Eingereichte Bücher sollen nicht nur mit einer über mehrere Etagen reichenden Schauwand das Atrium der Bibliothek dekorieren, sondern Letten symbolisch als Kulturvolk ausstellen. Die Bevölkerung reagiert zögerlich. Nach 9 Jahren ist die Schauwand nur in den unteren Etagen gefüllt. In oberen Etagen ist noch viel Luft. In Anbetracht tendenziell abnehmender Lesefreudigkeit und Schreibfähigkeit sowie zunehmender Digitalisierung von Texten ist fraglich, wieviel dieser Luft zukünftige Generationen mit Büchern verdrängen werden. Ob sich die multikulturell zusammensetzende Bevölkerung Lettlands als Kulturvolk versteht, darf bezweifelt werden. Behauptungen oder Visionen eines lettischen Kulturvolks scheinen eher auf nationalistisch gefärbten politischen Vorstellungen zu beruhen. 
 
Den Komplex der Nationalbibliothek hat Gunnar Birkerts entworfen, US-amerikanische Architekt mit lettischen Wurzeln. Birkerts ließ sich von Legenden und Symbolen lettischer Kultur inspirieren. Die Fassade soll an Birkenwälder und das Dach an traditionelle Dachformen von Gehöften erinnern. Die Architektur-Idee des Schloss des Lichts beruft sich auf 2 lettische Legenden:

"In der einen Erzählung erklimmt ein Bauer einen Glasberg, um eine dort schlafende Prinzessin zu erlösen. In der anderen versinkt ein Lichtschloss in einem dunklen Gewässer und wird erst wieder auftauchen, wenn Lettland eine freie Nation sein wird. Das Lied „Gaismas pils“ gehört zum Repertoire jedes lettischen Chores und ist obligatorisch für die alle fünf Jahre stattfindenden Liederfeste." - Martin Ebner: Lettlands neue Nationalbibliothek: Bücher im Lichtschloss.
 
Dass Symbolik Leiden nicht nur zeigt, sondern Leiden empathisch nachvollziehbar werden lässt und sogar individuelles Schmerzempfinden verursachen kann, belegen zahllose Darstellungen von Kreuzigungsszenen und der Pietà. Die lettische Nationalbibliothek verklärt einen symbolischen Berg nationaler Leiden zu einer befestigten Burg. Eigene Leiden spürt jeder selbst. Die Bedeutung der Symbolik dieser Burg mag sich Letten erschließen. Aber welche Kultur hat keine Leichen im Keller versteckt oder türmt keinen symbolischen Leidensberg auf? Für Dritte sind Leiden und Schmerzen der lettischen Bevölkerung schwer zu diagnostizieren. Letten sind nämlich bekannt dafür, möglichst wenig zu sprechen und still zu leiden. Emotionen lassen sie eher in Liedern und Legenden frei. Spekulieren lässt sich darüber, ob das kollektive Gedächtnis baltischer Stammeskultur möglicherweise in andere Richtungen weist, die lettischen Männern nur wenig Motivation für nationale Symbolik vermittelt, aber sie sehr viel mehr für Fischfang interessiert und lettische Frauen für Folklore ohne nationalpolitischen Ballast begeistert (SZ: Vor dem Schloss des Lichts). Zu analysieren wären solche Spekulationen an anderer Stelle.
 
Aufgrund regelmäßig in der Nationalbibliothek stattfindender Veranstaltungen sowie parallel organisierter permanenter und temporärer Ausstellungen besetzt die Einrichtung die Rolle eines Kulturzentrums. Größter Schatz der Bibliothek ist der Daina-Schrank, eine von Krišjānis Barons (1835-1923) angelegte handschriftliche Sammlung lettischer Volkslieder (Dainas), die 218.000 Dainas auf 350.000 Zetteln umfasst. Im Rahmen der Bibliotheksführung bleibt dieser Schatz selbstverständlich nicht unbeachtet. Außerdem streifen wir 2 temporäre Ausstellungen:
  • Wearing Latvia (lettische Volkstrachten)
    Die Ausstellung zeigt 40 lettische Volkstrachten, die im Ausland in Flüchtlingslagern, Auswandererzentren und Exilgemeinden oft aus recyceltem Material hergestellt wurden und verweist auf die allgemeine symbolische und emotionale Bedeutung von Volkstrachten.
  • Awakening. The Story of the Herrnhutians (Erwachen. Geschichte der Herrnhuter)
    Die religiöse Herrnhuter Bewegung übte im 18. und 19. Jahrhundert erheblichen Einfluss auf soziokulturelle Entwicklungen in Lettland aus. Die Ausstellung zeigt Herrnhuter Manuskripte aus dem Archiv der Nationalbibliothek und visualisiert Bedingungen, unter denen die Manuskripte entstanden. Besucher können Herrnhuter Biographien und Hymnen von Tonarchiven hören. Im Rahmen der Führung bleiben für den Besuch der Ausstellung nur wenige Minuten Zeit.
Die monumentale Bibliothek ist hoch interessant, insbesondere für Soziologen und Ethnologen. Familiäre Wurzeln in der pietistischen Bewegung wecken spezielles Interesse des Autors dieses Posts an der Ausstellung zur Geschichte der Herrnhuter. Da Zeitpunkt und Umstände der Führung ungünstig liegen, können Recherchen erst zu Hause stattfinden. Einen Überblick zur Bedeutung der Herrnhuter Bewegung beschreibt Anmerkung 3 dieses Posts.(3)  
 

29.06.2023: Reise von Estland nach Cēsis in Lettland - Fotoserie

29.06.2023 Hotel Cesis in Cesis
Hotel Cesis am Schlosspark Cesis

Die Weiterreise führt uns von Estland in südliche Richtung nach Cēsis in Lettland. Während in Estland nur ca. 1,3 Millionen Einwohner auf einer Fläche von 45.339 qkm leben, hat Lettland 1,9 Millionen Einwohner auf 64.594 qkm. Die Einwohnerdichte pro qkm ist mit jeweils 31 Einwohnern pro qkm fast identisch. Der Vergleich zu Deutschland (236 Einwohner pro qkm) und NRW (532 Einwohner pro qkm) zeigt, dass baltische Staaten für europäische Verhältnisse dünn besiedelt sind und daher große Anteile der Länder als Naturfläche unter Schutz gestellt werden können. Naturschutzbewegungen, die sich gegen rücksichtslose Nutzung natürlicher Ressourcen richteten, gelten als Keimzellen von Unabhängigkeitsbewegungen der Sowjetzeit.

Unter Herrschaft des russischen Zarenreichs entwickelte sich im 19. Jahrhundert ähnlich wie in Estland auch in Lettland eine Nationalbewegung mit dem Ziel der Etablierung einer lettischen Nation (Wikipedia: Geschichte Estlands - Geschichte Lettlands). Die lettische Nationalbewegung war zunächst in zwei konkurrierende und unversöhnlich zerstrittene Lager segmentiert, die beide von einer schmalen Schicht der Bevölkerung getragen wurden: ein bürgerlich-konservatives und ein demokratisch-sozialistisches Lager. Bürgerliche Nationalisten erlangten Deutungsmonopol. Die nationale Mobilisierung der Bevölkerung gelang vermutlich mit sinnstiftenden Aktionen wie Sängerfesten und anderen Menschenmassen bewegenden symbolischen Aktionen, die sich bis zur Gegenwart durchziehen und deren kritische Thematisierung in der lettischen historischen Forschung weitgehend tabuisiert ist.(2)
 

Hotel Cesis in Cēsis, Lettland
Vom Naturpark erreichen wir in ca. 1,5 Stunden Fahrzeit kurz vor 18:00 Uhr das angenehme Hotel Cesis in der Kleinstadt Cēsis. Das Hotel liegt attraktiv am Schlosspark unterhalb der Ruine der Ordensburg Wenden. Der Ort Cēsis ist im 13. Jahrhundert mit der Ordensburg des Schwertbrüderordens entstanden. Orden und Burg wurden schon bald vom Deutschen Orden übernommen. 
 
Nach einem schmackhaften rustikalen Abendessen im Hotel unternehmen wir einen Spaziergang durch den Schlosspark zur Ruine der Ordensburg, ehe wir auf der Schlosspark-Terrasse des Hotels den Flüssigkeitsverlust des Tages mit gutem lokalen Bier ausgleichen.


Estland

29.06.2023: Kreutzwald-Museum in Võru, Wanderung um den Heiligensee im Naturpark Otepää
 
F. R. Kreuzwald-Museum in  Võru, Estland
F. R. Kreuzwald-Museum in Võru, Estland

Besuch des Kreutzwald-Museum in Võru - Fotoserie
Benannt ist das Museum nach dem Schriftsteller und Arzt Friedrich Reinhold Kreutzwald (1803-1882). Kreutzwalds Eltern waren Leibeigene deutsch-baltischer Großgrundbesitzer, von denen sie deutsche Namen erhielten. Nach Aufhebung der Leibeigenschaft konnte Kreutzwald ab 1816 die Schule besuchen. Da Deutsch die Kultursprache war, schickten ihne seine Eltern auf eine deutsche Schule, damit er Deutsch lernte. Estnisch war lediglich eine mündlich gesprochene Sprache, die mit dem Finnischen verwandt ist. Um ein Medizinstudium finanzieren zu können, arbeitete Kreuzwald als Hauslehrer. In seiner Freizeit sammelte er Volksmärchen und  Legenden, die er aufschrieb. Während des Studiums schloss sich Kreuzwald einem Kreis von Studenten an, der die Pflege der estnischen Sprache zum Ziel hatte. Aus diesem Kreis entstand die Gelehrte Estnische Gesellschaft, die Forschungen zur estnischen Sprache und Kultur betreibt. 
 
Nach dem Medizinstudium arbeitete Kreutzwald im südlichen Estland als Hausarzt in der Kreisstadt Võru in dem Haus, in dem sich das Kreutzwald-Museum befindet. Privat blieb Kreutzwald weiter der Gelehrten Estnischen Gesellschaft und ihren Zielen verbunden und entwickelte das aus ca. 19.000 Versen in 20 Gesängen bestehende estländisches Nationalepos Kalevipoeg (Sohn des Kalev), bei dem es sich um eine fiktionale Pseudo-Mythologie handelt, die mündlich überlieferte vorchristliche Mythen, Sagen, Volkslieder einbezieht (Wikipedia: Estnische Mythologie). Das Epos beruht zu ca. 1/8 auf originaler Volksdichtung. Den Hauptanteil hat Kreutzwald in Anlehnung an das finnische Nationalepos Kalevala ergänzt. Der von Kreutzwald geschaffene Mythos erlangte große Bedeutung in der im 19. Jahrhundert einsetzenden estnischen Nationalbewegung, deren Narrative nicht nur politisch, sondern auch wissenschaftlich bis in die Gegenwart kontrovers und hoch emotional diskutiert werden.(1)
 
Hauptfigur des Epos ist der riesenhaften Held Kalevipoeg im Kampf des Guten gegen das Böse, deren beiden Seiten er selbst verkörpert. Eine besondere Bedeutung erlangt das Epos als ein Werk, das die Schriftform der estländischen Sprache antrieb und daher für die Entwicklung estländischer Kultur von grundlegender Bedeutung ist, die wahrscheinlich über die Bedeutung der Brüder Jakob und Wilhelm Grimm für die deutsche Sprache und Kultur hinausreicht und eher mit Martin Luthers Übersetzung der Bibel in deutscher Sprache vergleichbar ist. Das uns vor dem Museumsbesuch nicht bekannte Epos wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt, verfilmt, für die Bühne bearbeitet und bildlich dargestellt.

Das Museum im Charakter eines provinziellen Heimatmuseums hat eigentlich heute geschlossen und öffnet heute exklusiv für uns. Wir werden erwartet. Eine schon ältere estnische Dame führt uns durch das Museum. In englischer Sprache bringt sie uns das Leben und die Bedeutung Kreutzwalds und dessen Epos nahe. Reiseleiterin A. ergänzt die Ausführungen mit Anmerkungen. Die Teilnehmer der Studiosus-Gruppe wissen das Museum als kulturelles Juwel zu würdigen und sind von der Führung angetan und bewegt.
 

Wanderung um den Heiligensee (Pühajärv) im Naturpark Otepää - Fotoserie
Der Naturpark Otepää liegt in einer hügeligen Landschaft mit Höhen bis über 300 m und ist vor allem als Wintersportgebiet beliebt. In der Landschaft liegen mehrere glaziale Seen, u.a. der Heiligensee (Pühajärv), um den ein profilierter und überwiegend schattiger 12 km langer Wanderweg führt. Auf die letzten 4 km entlang einer Straße verzichten wir und besteigen nach 2,5 Stunden Wanderung den Bus. Per Bus fahren wir zu einem Bistro einer touristischen Einrichtung am See, in der wir eine Mittagspause einlegen.
  

28.06.2023: Wanderung im Nationalpark Alam-Pedja auf der Fahrt nach Tartu - Fotoserie

Bohlenweg Alam Pedja Nationalpark, Estland
Bohlenweg im Alam Pedja Nationalpark, Estland

Auf der Reise vom Lahemaa Nationalpark nach Tartu im südlichen Estland unternehmen wir eine weitere Moorwanderung im Alam Pedja Nationalpark. Der jüngste Nationalpark war in der Sowjetzeit militärisches Sperrgebiet eines Truppenübungsplatzes, weshalb sich die Natur hier weitgehend ungestört als Reservat für bedrohte Tier- und Pflanzenarten entwickeln konnte. Unsere Wanderung begleiten Pille, eine äußerst sympathische, wissenschaftlich arbeitende, promovierte estländische Biologin und ihr jugendlicher Sohn. Pille spricht deutsch, weil sie teilweise in Deutschland an ihrer Promotion gearbeitet hat und dort auch ihren Ehepartner kennenlernte. Pilles Sohn hat in der Schule russisch zugunsten von deutsch als Fremdsprache abgewählt und beteiligt sich, um seine Kenntnisse deutscher Sprache und Kultur zu verbessern. Während Pille souverän agiert, wirkt ihr Sohn anfangs schüchtern.
 
Die Wanderung führt auf einem Bohlenweg in einem Halbkreis durch ein Moorgebiet. Während der Wanderung macht uns Pille auf Besonderheiten und Bedingungen dieses Naturschutzgebietes und auf besondere Pflanzen aufmerksam. Am Ziel der Wanderung findet ein Picknick statt, dessen Zutaten wir am Vormittag gemeinsam in einem Supermarkt an der Strecke eingekauft haben. Beim Picknick taut Pilles sympathischer Sohn auf. Wir verabschieden uns von Pille und ihrem Sohn wie von vertrauten Freunden.
 
Um 17:00 Uhr erreichen wir die Stadt Tartu, in der wir im zentral gelegenen Hotel Hotel Dorpat übernachten. Tartu ist mit ca. 100.000 die zweitgrößte Stadt Estlands und gilt als älteste Stadt mit der ältesten und renommiertesten Universität des Landes. Tartu ist neben weiteren Städten als europäische Kulturhauptstadt 2024 ausgewählt (Wikipedia: Liste der Europäischen Kulturhauptstädte). Reiseleiterin A. bietet außerhalb des offiziellen Programms einen geführten Stadtrundgang mit anschließendem Besuch des Restaurants Pulverkeller an. Das Restaurant befindet sich am Hang des Dombergs in einem Gebäude, in dem bis 1809 in einem Gewölbekeller Schießpulver gelagert wurde. Wir nehmen eine Abkürzung und gehen sofort zum rustikalen Restaurant (Homepage Pulverkeller).
 

27.06.2023: Lahemaa Nationalpark 
 
Vihula Manor im Lahemaa NP, Estland
Vihula Manor im Lahemaa NP, Estland

Auf der Anreise von Tallinn zum Lahemaa Nationalpark stoppt unser Bus am Rand der Stadt an der Sängerwiese, an der das traditionelle estnische Liederfest stattfindet. Gesangstradition gehört zum weit in vorchristliche Zeit zurückreichendem estnischen Kulturgut. So erklärt sich die Verbindung zur singenden Revolution der nationalen Unabhängigkeitsbewegung, die diese Tradition politisch instrumentalisierte. Während der Sowjetzeit war Singen eine Form des Widerstands. Am 23. August 1989 bildeten 2 Millionen Menschen eine Kette über 600 km von Tallinn bis Vilnius und brachten ihren Willen zur Unabhängigkeit zum Ausdruck, indem sie verbotene Lieder sangen, in denen die Heimat verherrlicht wird. - Deutschlandfunk: Sängerfest in Tallinn: "Ein religiöses Ritual" 

Hauptaktivitäten des Tages sind 2 Wanderungen im Lahemaa Nationalpark. Der Nationalpark wurde 1971 eingerichtet und war der erste Nationalpark der Sowjetunion. Genutzt wurde der Nationalpark als Jagdrevier der politischen Elite und wurde daher als Sperrgebiet deklariert. Zutritt wurde nur mit Sondergenehmigung gestattet. Nach Einbruch der Dunkelheit durften in der Region lebende Bewohner den Küstenstreifen nicht betreten, weil Fluchtgefahr in das nur ca. 80 km entfernte Finnland befürchtet wurde. Militärpatrouillen überwachten das Verbot. Bis zur politischen Wende war wandern als Aktivtät unbekannt. Die Sprache sieht nicht einmal einen Begriff für diese Aktivität vor. Mit einsetzendem Tourismus wächst auch in Estland eine Wanderinfrastruktur. Pfade der Patrouillen sind inzwischen als Wanderwege markiert. - Fotoserie
 
Im Nationalpark leben neben Elchen, Bären, Wölfen, Luchsen zahlreiche andere scheue und bedrohte Tierarten, die wir im Unterschied zu Störchen und Kranichen nie sehen. Bekannt ist der Nationalpark für zahlreicher Findlinge, die nicht nur an der Küste, sondern auch im Wald zu finden sind, weil der Wasserstand der Ostsee nach dem Abschmelzen eiszeitlicher Gletscher mehrere Meter höher war.
 
Am Vormittag wandern wir 1,5 Stunden auf einem Bohlenweg durch ein Moor. Mücken gab es auf diesem Weg durchaus, aber sie blieben bei ca. 25 Grad und nur geringer Feuchtigkeit relativ zahm. Anschließend besichtigen wir das Museum des historischen Gutshofs Palmse, dessen Ursprünge im 13. Jahrhundert liegen. Im 17. Jahrhundert übernahm das bis heute existierende deutsch-baltische Adelsgeschlecht von der Pahlen das Landgut und errichtete ein Herrenhaus im barocken Stil mit französischem Garten. Vorfahren kamen im 13. Jahrhundert als Kreuzritter des Deutschordens in das Stammgebiet Livland und erwarben Bedeutung im militärischen Dienst für das schwedische und russische Königshaus. - Fotoserie
 
Über Mittag machen wir im historischen Fischerdorf Altja Bekanntschaft mit dem abgehängten zweiten Estland. Nach der Mittagspause mit rustikaler Mahlzeit (Graupen, Kartoffelstampf, Pilzsauce) im noch rustikaleren Restaurant Altja Kõrts (Fotos) unternehmen wir eine ca. 3,5-stündige Küstenwanderung durch eine Landschaft, deren Schönheit und Einsamkeit niemand unbeeindruckt lässt. Eigene Fotos beider Wanderungen sind in abendlicher Hektik zwischen Wanderung und Dinner aufgrund von Kopierfehlern verloren gegangen. Verlinkte Fotos verdanken wir Claudia. Immerhin gibt ein Artikel der Tageszeitung WELT authentische Eindrücke von der Landschaft des Nationalparks wider: Lahemaa - Das ist die volle Dosis Estland

Die Übernachtung und das Abendessen sind innerhalb des Nationalparks im Vihula Herrenhaus organisiert, das auf eine lange Geschichte dänischen und deutsch-baltischen Adels zurückgeht, aber erst in den beiden letzten Jahrzehnten zu einem attraktiven touristischen Komplex ausgebaut wurde (Wikipedia: Vihula). Erholsamer Schlaf ist nicht möglich, weil das Zimmer mit Dachschräge viel zu warm und nicht klimatisiert ist. Ein schmales Dachfenster lassen wir wegen Mückengefahr geschlossen. - Fotoserie Vihula


26.06.2023: Besichtigungen in Tallinn - Fotoserie
 
Aussicht vom Domberg Tallinn mit Stadtmauer und Olaikirche
Aussicht von der Patkulsche-Terrasse auf dem Domberg zur Stadtmauer und Olaikirche in der Unterstadt

Historischer Überblick zu Tallinn/Reval
Ursprünge der heutigen Stadt Tallinn gehen auf das 11. Jahrhundert mit einer hölzernen Burg auf dem heutigen Domberg (Oberstadt) und Anlage eines Hafens zurück. Im Auftrag von Papst Innozenz III. 'missionierte' Dänenkönig Waldemar II. Nord-Estland im imperialen-kolonialen Stil. 
  • 1219 eroberte Waldemar mit einem Kreuzfahrerheer in der Schlacht von Lyndanisse die estnische Burg, gründete das Bistum Reval und veranlasste den Ausbau der Oberstadt. Das Jahr 1219 gilt als das Gründungsjahr der Stadt, die bis zum 24.02.1918 amtlich Reval hieß und mit Erreichen der 1. Unabhängigkeit Estlands in Tallinn umbenannt wurde. Reval war der estnische Name der Burg. Der estnische Name Tallinn wird aus ‚tani linna‘ für ‚dänische Burg‘ hergeleitet.
  • 1227 löste mit päpstlicher Zustimmung der Schwertbrüderorden die dänische Herrschaft ab. Aus ehemaligen Kreuzfahrern entwickelte sich im frühen Mittelalter eine beherrschende Oberschicht des deutsch-baltischen Adels, dessen Einflüsse bis zur Gegenwart wirksam sind, der aber seine Macht vor allem außerhalb der Stadt auf Landgütern ausübte. In der Stadt setzte sich mit den Kreuzfahrern eine deutsche Oberschicht von Kaufleuten mit Kontakten zur Hanse fest. Seit dem 13. Jahrhundert gehörte Tallinn zur Hanse, unter deren Einfluss in Gilden geordnete Berufsgruppen das politische und soziale Leben innerhalb der Stadt bestimmten. Das Hotel von Stackelberg, in dem wir im Zeitraum 25.-27.06.2023 in Tallinn wohnen, verweist auf das zum deutsch-baltischen Uradel zählende Geschlecht Stackelberg. Weitere Spuren des deutsch-baltischen Adels lernen wir auf dem Gutshofs Palmse sowie im Vihula Herrenhaus kennen (siehe 27.07.2023).
  • Nach vernichtender Niederlage in der Schlacht von Schaulen im Jahr 1236 gegen einheimische Verbündete, ging der Schwertbrüderorden 1237 in den Deutschen Orden auf. 
  • 1238 übernahmen Dänen erneut Tallinn und bauten die Stadt aus.
  • 1346 verkaufte der dänische König seine Rechte an Estland an den Deutschen Orden. Reval wurde zur Drehscheibe des Russlandhandels. 
  • Nach dem Anschluß des Deutschordensstaats an die Reformation im Jahr 1533 entschied sich die Stadt 1524 für den Protestantismus. Mit dem Niedergang des Ordensstaates drängte Russland in die Region. Tallinn wandte sich an Schweden als Schutzmacht. 1561 wurde die Stadt schwedisch.
  • 1710 fiel die Stadt unter Zar Peter I. an Russland.
  • Mitte des 19. Jahrhunderts setzte die Entwicklung einer estnischen Nationalbewegung ein. Narrative kollektiver estnischer Identität werden bis in die Gegenwart kontrovers und hoch emotional diskutiert (siehe 29.06.2023).
  • Als Folge des 1. Weltkriegs erreichte Estland am 24.02.1918 seine Unabhängigkeit. In diesem Kontext wurde Reval in Tallinn umbenannt.
  • Ein geheimes Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Pakts von 1939 rechnete u.a. Estland zur sowjetischen Interessensphäre. 1939 besetzte die Sowjetunion Estland und rief die Estnische Sozialistische Sowjtrepublik aus. In Terrorwellen wurden ca. 200.000 Esten der politischen und kulturellen Elite getötet oder deportiert. 
  • Vermeintlich 'undankbare' und 'sperrige' Esten leisteten entscheidende Beiträge zum Zerfall der Sowjetunion. Am 15.10.1991 erklärte Estland seine Unabhängigkeit. Mit der Unabhängigkeit hat Estland wirtschaftliche Modernisierung konsequent vorangetrieben und ist in Europa hinsichtlich der digitalen Transformation ein Spitzenreiter, der traditionelle Industrieländer beschämt. Die Netzabdeckung mit schnellem Internet und die Digitalisierung von Service-Prozessen sind im gesamten Land vorbildlich umgesetzt. Der abrupte soziale Wandel hat jedoch einen Preis. Die Kluft zwischen Stadt und Land wurde deutlich größer und ist so groß, dass von 2 Estlands gesprochen wird und soziale Folgen dieses Bruchs befürchtet werden. - FAZ: Erstes Estland, zweites Estland
  • 2004 traten die baltischen Staaten der EU und der NATO bei.
 
Stadtrundgang in Tallinn
Am Vormittag unternehmen wir von 9:00 Uhr bis 14:00 Uhr zu Fuß einen geführten Rundgang in der Altstadt (Vanalinn) von Tallinn. Den Studiosus-Ruf als ABC-Reisen (Another Bloddy Church) wird dieser Rundgang nur bedingt recht, weil wir lediglich die Domkirche und die Heilig-Geist-Kirche von innen besichtigen. 
 
Unser Rundgang beginnt südlich des Dombergs in der Parkanlage des Lindabergs, in dem eine Linda-Skulptur auf das estnische Nationalepos verweist (siehe 29.06.2023). Auf dem Domberg blicken wir von den Aussichtsterrassen Patkulsche und Kohtuotsa auf die von einer weitgehend erhaltenen Stadtmauer umgebene Altstadt.
 
Der Gruppenrundgang führt vom Domberg durch Gassen entlang der historischen Stadtmauer zum Stadttor Große Strandpforte der mittelalterlichen Stadtbefestigung zwischen Altstadt und ehemaligem Hafen. Vor dem Stadttor befindet sich der mittelalterliche Wehrturm Dicke Margarethe mit ungewöhnlichen Proportionen. Der ca. Der 20 m hohe Turm hat einen Durchmesser von 24 m. Mit 5 m dicke Mauern schützte der Turm die Altstadt vor Angriffen von der Ostsee, deren Wasserstand im Mittelalter mehrere Meter höher war und bis unmittelbar vor die Stadtbefestigung reichte. In der Gegenwart ist der Landstreifen zwischen Ostsee und nördlicher Stadtbefestigung ca. 500 m breit. 
 
Auf dem Landstreifen zwischen Hafen und Stadttor befindet sich seit 1996 eine Estonia-Gedenkstätte, die an den Untergang der Ostseefähre Estonia am 28.09.1994 erinnert. Die Fähre sank bei schwerem Sturm auf dem Weg von Tallinn nach Stockholm mit 989 Menschen an Bord, von denen lediglich 137 Menschen überlebten. Das Schiff transportierte u.a. militärische Ausrüstung, die auf Ladelisten verheimlicht wurde, was Spekulationen über die Ursache des Unglücks anheizte. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Konstruktion der Ladetore zu schwach war und dem schweren Sturm nicht standhielt. Daher konnten in kurzer Zeit große Mengen Seewasser eindringen, durch die das Schiff in wenigen Minuten kenterte.

Von der Große Strandpforte folgen wir der repräsentativen Langstraße (Pikk tänav) in Richtung Zentrum. In der Langstraße der Altstadt reihen sich bis heute die ehemaligen Gildehäuser auf. Besonders einflussreiche Kaufleute des Fernhandels waren in der Großen Gilde zusammengeschlossen, deren 1410 im gotischen Stil errichtetes Haus der Großen Gilde in der Gegenwart ein historisches Museum nutzt. Das historische Museum ist am heutigen Montag offiziell geschlossen, aber wir sind angemeldet und werden eingelassen. Nach 45 Minuten Aufenthalt im und am Haus der Großen Gilde setzen wir unseren Rundgang mit der Besichtigung der Heilig-Geist-Kirche und des Rathausplatzes fort.
 
Der Gruppenrundgang endet um 14:00 Uhr. Zusammen mit Claudia ergänzen wir den Rundgang außerhalb der Altstadt bis 16:00 Uhr in zwei Stadtvierteln:
  • Eine über Jahrzehnte brach liegende Industriewüste mit Gebäuden des 19. Jahrhunderts wurde ab 2007 mit mutigen architektonischen Ideen ambitioniert zum eleganten Rotermann-Viertel umgebaut, das ein Konzept gemischter Nutzung zu einem angesagten Lifestyle-Viertel umwandelte.
  • Zur Sowjetzeit war Kalamaja ein mit morschen Holzhäusern bebautes heruntergekommenes Viertel mit sozialen Problemen. Nach der Wende zog das Viertel wegen günstiger Mieten und ursprünglich attraktiver Bausubstanz auf großzügig dimensionierten Grundstücken ein Kreativ-Klientel an, das dem Stadtteil neues Leben einhauchte und in ein attraktives Hipster-Viertel verwandelte.
 
Dinner - Fotoserie
Das Abendessen nehmen wir mit der Gruppe im Gewölbekeller des Restaurants Maikrahv am Rathausplatz im Zentrum der Altstadt ein. Serviert werden Salatvorspeise, als Hauptgericht Schweinebraten mit Sauerkraut und Bratkartoffeln in einer übersichtlichen Portion sowie als Dessert ein Stück Fruchtkuchen. An den Gerichten ist nichts falsch, aber weder das Essen noch Ambiente und Atmosphäre des Restaurants hinterlassen erinnerungswürdige Eindrücke. 
 
 
 
25.06.2023: Reise nach Tallinn, Estland - Fotoserie
 
Rathausplatz Tallinn
Rathausplatz Tallinn

Der ausgebuchte Flug von Frankfurt nach Tallinn verläuft ähnlich entspannt wie eine Busreise. Bei der Lufthansa liegt Bordservice in der Economy-Klasse selbst bei Europaflügen inzwischen auf dem Niveau von Billigfliegern, obwohl die Flugpreise nicht als Schnäppchen bezeichnet werden können. Da wir bei einem 2-stündigen Flug keinen Bordservice benötigen und von der Landschaft wegen Wolken kaum etwas zu sehen ist, holen wir nach einer kurzen Nacht ein wenig Schlaf nach.
 
Um 13.00 Uhr treffen wir zusammen mit 10 von insgesamt 14 Teilnehmern und unserer Reiseleiterin A. in Tallinn ein, Hauptstadt von Estland, dem nördlichsten Land der baltischen Staaten. Um 14 Uhr können wir am Rand der Altstadt unterhalb des Dombergs im angenehmen Hotel von Stackelberg einchecken. Bei sonnigem Wetter und angenehmer Temperatur unternehmen wir sogleich auf eigene Faust einen Rundgang über den Domberg und durch überwiegend von einer mittelalterlichen Stadtmauer umgebenen Altstadt. Erwartungsgemäß ist die sehenswerte Altstadt touristisch aufgepimpt, aber längst nicht so überlaufen, wie wir das erwartet haben und von Mittel- und Südeuropa kennen. Allerdings steht die touristische Hauptsaison noch bevor und wenn auch noch Kreuzfahrtschiffe im Hafen liegen, kann der Auftrieb unerfreulich werden.

Das Abendessen nehmen wir im Hotel in der Gruppe ein. Soweit sich die Teilnehmer nicht bereits vorher miteinander bekannt gemacht haben, bietet der erste gemeinsame Programmpunkt dazu Gelegenheit. Bei einer kurzen Vorstellungsrunde stellt sich heraus, dass 4 Teilnehmer und die Reiseleiterin in Köln und 2 weitere Teilnehmer in der näheren Umgebung von Köln wohnen. Der Begrüßungstrunk ist ein ziemlich süßer, 40-prozentiger Kräuterschnaps, der in einem Cognacschwenker gereicht wird. Jeder der baltischen Staaten schwört auf seinen eigenen Kräuterschnaps, der von Norden nach Süden herber wird. Bezüglich des Biers behauptet jeder der Staaten, das beste Bier zu brauen. Wir werden uns einen Überblick verschaffen. Wein ist im Baltikum verzichtbar.
 
Unsere ersten Eindrücke von der Gruppe und der Reiseleiterin sind positiv. Die Gruppe setzt sich aus 5 Paaren und 4 allein reisenden Frauen zusammen. Das Alter der Teilnehmer reicht nach unserer Einschätzung von Anfang 50 bis zweite Hälfte 70. Die meisten von ihnen sind überzeugte Studiosus-Reisende und schon mehrmals mit dem Veranstalter gereist. Auf Abfrage der Reiseleiterin melden sich keine Vegetarier oder Veganer. Alle Teilnehmer scheinen Nichtraucher zu sein. Alkoholgenuss verweigert niemand. 
 
Unter 600 Reiseleitern von Studiosus ist unsere Reiseleiterin eine von 50 fest angestellten Reiseleitern. A. leitet oder begleitet seit 1989 Reisen in das Baltikum und kennt daher die Entwicklung von Sowjetzeiten über die Wende bis zur Gegenwart. A. ist als Kind in Russland aufgewachsen, ehe die Familie ausgesiedelt ist. A. hat Slawistik und Geschichte Osteuropas studiert. Neben Deutsch spricht A. Englisch und Russisch. Im europäischen Winter leitet A. Reisen im gesamten Raum Australiens.
 
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Anmerkungen
  1. Forum: Nation: D. Feest: Nationale Narrative und ihre Alternativen in der estnischen Geschichtsschreibung seit 2000. In: H-Soz-Kult, 15.09.2021, <www.hsozkult.de/debate/id/fddebate-132448>.
  2. Felix Heinert: Rezension zu: Wohlfart, Kristine: Der Rigaer Letten Verein und die lettische Nationalbewegung von 1868 bis 1905. . Marburg 2006, ISBN 3-87969-330-7,, In: H-Soz-Kult, 28.04.2008, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-10870>.  
  3. Überblick zur religiösen Bewegung der Herrnhuter Brüdergemeine
    Die Herrnhuter Brüdergemeine ist ein Zweig des im 17. Jahrhundert aufkommenden Pietismus, der sich in zunächst in protestantischen deutschsprachigen Ländern ausbreitete.
    • Ursprünglich verstand sich Pietismus als eine aufklärerische spirituelle Frömmigkeitsbewegung, die sich gegen ritualisierte Formen religiösen Glaubens wendete und eine religiöse Erweckung im Sinne eines eigenverantwortlichen lebendigen Christentums bewirken wollte. Laienpriestertum, tägliches Bibelstudium und Andachten kleiner Gruppen in profanen Räumen bildeten zentrale Elemente der Bewegung. Die Bewegung war insbesondere in bildungsfernen Schichten der Bevölkerung verbreitet und entwickelte sich in Richtung eines sozial konservativen, wissenschaftsfeindlichen Fundamentalismus des Pietismus der Gegenwart. Besonders erfolgreich war die pietistische Bewegung im 18. und 19. Jahrhundert in Regionen des ehemaligen Deutschen Ordens: Ostpreußen, Lettland, Estland.
    • Die spezielle Ausprägung der Herrnhuter Brüdergemeine geht auf den sächsischen Adligen Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700-1760) zurück, der Gedankengut der böhmischen Reformation aufgriff und erfolgreich für sein Verständnis religiöser Spiritualität warb. Mit um sich versammelten Anhängern gründete Zinzendorf in der Oberlausitz die Siedlung Herrnhut als Lebens- und Arbeitsgemeinschaft Gleichgesinnter. Die Bezeichnung dieser ersten von vielen weiteren Siedlungen identifiziert die weltweit verbreitete Bewegung insgesamt. Die Missionstätigkeit der Bewegung erstreckte sich über Kontinentaleuropa hinaus insbesondere auf Afrika, Lateinamerika und das heutige Indonesien.Die Herrenhuter Brüdergemeine hatte 2016 insgesamt 1.197.140 Mitglieder in 16 oder 24 Provinzen (Angaben schwanken), davon 907.830 in Afrika, 204.980 in Karibik & Lateinamerika, 39.150 in Nordamerika, 20.180 in Europa. In Deutschland leben ca. 6.000 Mitglieder in 16 Gemeinden. - Wikipedia: Herrenhuter Brüdergemeine.Organisation - Europäisch-Festländische Provinz der Brüderunität
    • Aus der Glaubensgemeinschaft geht der weitaus bekanntere Herrnhuter Stern hervor, der oft als Advents- und Weihnachtsstern zu sehen ist und von einer GmbH der Brüdergemeine hergetellt und vermarktet wird. 
    • Ein dunkles Kapitel der verschiedenen pietistischen Bewegungen resultiert aus der Zeit des Nationalsozialismus. Obwohl freikirchliche Gemeinden aufgrund von Differenzen in Auffassungen zu Glaubensfragen sich in zahlreiche Richtungen aufspalteten, war die Haltung der Mitglieder gegenüber nationalsozialistischer Politik und der Judenproblematik ähnlich. Bekannt ist, dass etliche Gemeinden oder deren Vertreter den Machtwechsel euphorisch begrüßten. Aufgrund ihrer konservativen Einstellung versprachen sich Mitglieder freikirchlicher Gemeinden oftmals vom Nationalsozialismus einen Einhalt des vermeintlichen 'Sittenverfalls' und eine patriotische Aufwertung des Deutschtums. Haltungen waren jedoch nicht durchgängig und schwankten zu Einzelaspekten zwischen Zustimmung und Ablehnung. Um einem Verbot zu entgehen, überwog unter den Nationalsozialismus ablehnenden Mitgliedern Opportunismus. Hinsichtlich der Judenproblematik gaben sich die Gemeinden ahnungslos oder fatalistisch.  - Wikipedia: Freikirchen in der Zeit des Nationalsozialismus
    • Holger Lahayne, aus Eschede, Kreis Celle, stammender Deutscher ist mit Rima Lahayne verheiratet, in der Nähe von Kaunas aufgewachsene Litauerin. Die Familie Lahayne lebt mit mehreren Kindern in Vilnius, Litauen. Als Mitglieder der pietistisch-evangelikalen Erweckungsmission Neues Leben betreiben sie ein umfangreiches privates Portal, das primär der Missionierung ihrer religiösen Botschaft in Litauen dient, aber auch zahlreiche Sachinformationen zur Kultur im Baltikum und insbesondere in Litauen dokumentiert: Holger und Rima Lahayne und ihre missionarischen Dienste
  4. Jugendstil
    Als Jugenstil wird eine Architektur des Übergangs vom 19. zum 20. Jahrhundert bezeichnet, die sich als Gegenbewegung zum Historismus entwickelte, der als rückwärtsgewandt verstanden wurde, sich aber auch gegen eine rein funktionale Auffassung von Moderne richtete, die Industriebauten zitierte und als seelenlos empfunden wurde. Jugenstil verwendete phantasievoll geschwungene dekorative ornamentale Elemente sowie Köpfe oder Gestalten von Menschen, Tieren, Fabelwesen, strukturierte Flächen mit Reliefs, Erkern, Balkonen, setzte oft farbige Glasflächen ein. Anfangs wurden die Begriffe Jugendstil oder alternative Bezeichnungen verwandter Stile wie Sessions, Art nouveau, Modern Style etc. als kritische Anmerkungen für vermeintliche modische Spielereien von Architektur verwendet, aber die Begriffe setzten sich als Bezeichnungen von Architekturstilen der Belle Époque bzw. des Fin de Siècle durch. 
  5. Ernst Johann von Biron (1690-1772)
    Den politischen Aufstieg des Adelsgeschlechts Biron beschreibt der Wikipedia-Artikel Biron von Curland. Zustände am Zarenhof zur Zeit Ernst Johann von Birons (1690-1772) beschreibt Teil II des Buchs Russische Hofgeschichten des schwedischen Adligen und Schriftstellers Magnus Jacob Crusenstolpe (1795-1865) im Projekt Gutenberg: Russische Hofgeschichten II. Allerdings gestattete sich Crusenstolpe schriftstellerische Freiheiten, die den historischen Wert seiner Beschreibungen einschränken.
  6. Geschichte des Memellands im Kurz-Überblick
    Im Unterschied zum litauischen Kerngebiet konnte der Schwertbrüderorden das Memelland um 1200 erobern und sich dort festsetzen. Im 13. Jahrhundert wurde der Schwertbrüderorden in den Deutschen Orden eingegliedert, der im 15. Jahrhundert zur Reformation übertrat und aus dem nach der Säkularisierung das Herzogtum Preußen hervorging, das im 17. Jahrhundert an den Kurfürsten von Brandenburg fiel. Bis zum 1. Weltkrieg gehörte das Memellland zum überwiegend protestantischen Preußen. Es blieb aber zwischen Preußen, Polen, Russland und dem nach Unabhängigkeit strebenden Litauen ein politisch strittiges Gebiet, dessen Bevölkerung zu jeweils ca. 50 % deutsch oder litauisch sprach. Da Polen und Litauen zum katholischen Kulturraum gehörten, fühlte sich auch die litauisch sprechende protestantische Bevölkerung eher Preußen zugehörig.  

    Nach dem 1. Weltkrieg bestimmte der Vertrag von Versailles die politische Unbhängigkeit Litauens und mit der Festlegung deutscher Grenzen, dass das Memelland abzutreten sei. Aufgrund von kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Litauen, Polen, Russland wurde das Memelgebiet jedoch unter französische Verwaltung gestellt. Im Januar 1923 besetzten litauische Kräfte unter bis heute strittigen Umständen in einer als Klaipėda-Revolte bezeichneten Aktion das Memelgebiet und erreichten, dass der Völkerbund die Annexion 1924 anerkannte. Eine Woche nach  dem Einmarsch in Polen annektierte Deutschland unter Hilter 1939 das Gebiet und gliederte es in Ostpreußen ein. Seitdem die Rote Armee das Memelland 1945 eroberte und der Litauischen Sozialistischen Sowjetrepublik eingliederte, ist das Memelland ein Teil Litauens. - Wikipedia: Geschichte Litauens - Portal GenWiki: Memelland
  7. Anmerkung zur Kirchendichte in Vilnius
    Die Kirchendichte ist nicht zufällig, sondern als Ausprägung kultureller Prozesse entstanden: 
    • Litauen gilt als letzte 'heidnische Region' Europas, die erst ab dem 14./15. Jahrhundert christianisiert wurde. Elemente von Kulten, Symbolen und Mythen aus vorchristlicher Zeit sind im kollektiven Gedächtnis Litauens nach wie vor lebendig. Ein Essay der Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann thematisiert unterschiedliche Arten von Gedächtniskonstrukten: BPB, Erinnerungen und Gedächtnis: Kollektives Gedächtnis
      Ethnografisch zeigt sich dieses Denken u.a. an Grabsymbolen auf Friedhöfen, an Haussymbolen in Dörfern, an Trachten, in Gesängen und Erzählungen sowie in neuzeitlichen religiösen Bewegungen.
      - Deutschlandfunk: Heidnische Bräuche der Remuva-Religion in Litauen
      - Wikipedia: Baltische Mythologie
    • Litauens Widerstand gegen Missionierung durch den Deutschen Orden im 14./15. Jahrhundert bewirkte den Zusammenschluss mit Polen und damit die Hinwendung zum Katholizismus. - Wikipedia: Geschichte Litauens
    • Die katholische Religion kann sich in Litauen durchsetzen, weil sie mit vorchristlichen kollektiven Denkmustern pragmatisch umgeht und Symbole sowie Narrative dieser Denkmuster mittels Umdeutung integriert. Neben Polen und Kroatien zählt Litauen zu den katholischsten Ländern Europas.
    • Der historisch aus Richtung Deutschland/Preußen ausgeübte Einfluss von Reformation und Protestantismus verstärkt litauischen Widerstand, Nationalismus und gegenreformatorischen Katholizismus. Der Jesuitenorden erhielt in Vilnius maßgeblichen Einfluss und konnte barocke Architektur omnipräsent ausprägen. Die katholische Kirche nutzte diesen Prozess aktiv und konnte Bindungen der Bevölkerung an den Katholizismus ausbauen. Litauischer Nationalismus verstärkt seit dem 19. Jahrhundert diesen Trend. - Goethe-Institut: Religionen in Litauen
    • Der von despotischen Autokratien inspirierte Einfluss sowjetischer Herrschaft wird als illegitime Unterdrückung wahrgenommen. Druck zur Zwangssäkularisierung bewirkt in Litauen das Gegenteil: Verstärkung des Bekenntnis zum Katholizismus als Widerstand gegen sowjetische Politik.
  8. Wikipedia-Liste sehenswerter Bauwerke in der Altstadt Vilnius
  9. Barocke und gotische Malerei
    Barocke Darstellungen mit bukolischen Landschaften, gütig lächelnden Heiligen, musizierenden Engeln und neckischen Putten erwecken in der Gegenwart bei naiver Betrachtung Eindrücke von Party im Himmel. Tatsächlich ist barocke Ikonografie pure Propaganda, ein Vorläufer von Werbung, wie wir sie im Alltag ständig erleben. Propaganda, Werbung, seriöse Sachinformationen sind nicht immer leicht zu trennen und stellen Fallen, die das Denken von Menschen oft undurchsichtig zu Gunsten Dritter manipulieren. Im Barock war das nicht anders. 

    Manipulationsstrategien des Denkens nutzten unter historisch anderen Bedingungen andere Muster als wir sie heute kennen, die aber nicht weniger erfolgreich waren. Die meisten Menschen waren Analphabeten und lebten in existenzieller Angst vor Verdammnis im ewigen Höllenfeuer. Kirchliche Botschaften befreiten Menschen nicht von ihrer Angst, sondern sie verstärkten Angst, um Menschen zu einem vermeintlichen gottgefälligen Leben zu bewegen und davon zu überzeugen, dass der Preis von Demut und Gefügigkeit im irdischen Leben eine temporäre Durchgangsphase sei, die der Seele nach dem Tod des irdischen Körpers ein paradiesisches Leben ermöglicht. Selbst Martin Luther blieb verborgen, dass dieser Köder der Rechtfertigung sozialer Ordnungen und der Legitimierung ausbeuterischer Machtverhältnisse diente.
     
    Kurz gefasst war barocker Stil in seiner ursprünglichen Intention sakraler Architektur kein Programm schmückender Ausgestaltung, sondern ein religiös-politisches gegenreformatorisches Programm zur Abwehr des Protestantismus und zur Legitimierung feudaler Macht. Für die strategische Gestaltung dieses Programms war vor allem der Orden der Jesuiten verantwortlich. Allerdings wurden und werden noch immer Katholizismus und auch Protestantimus sowie andere religiöse Ausrichtungen machtpolitisch missbraucht bzw. lassen sich deren Institutionen zum Nutzen einer kleinen Elite und zum Nachteil einer Majorität für machtpolitische Zwecke instrumentalisieren. 
     
    Im christlichen Kulturraum bilden Kreuzzüge und der Dreißigjährige Krieg als Religionskriege lediglich prominente Konnotationen für zahllose Zusammenhänge dieser Art. Belastbare genaue Opferzahlen sind nicht bekannt. Seriöse Schätzungen nehmen an, dass der Dreißigjährige Krieg zusammen mit Seuchen 1/3 bis 2/3 der Gesamtbevölkerung Europas auslöschte. Aus der Verwüstung Europas und der Vernichtung einer endlosen Zahl von Menschen wuchs mit den Religionskriegen eine neue temporäre politische Ordnung, die bis heute instabil ist (Deutsche Welle: Ein Grauen, das Deutschland prägte). Verteilungen von Macht erzeugen mit und ohne Religion Dauerprobleme. Trotz aller Defizite ermöglichen demokratische politische Programme die vergleichsweise human erträglichsten sozialen Ordnungen.
  10. Minderheitenpolitik der baltischen Staaten
    BpB, Aus Politik und Zeitgeschehen: Ada-Charlotte Regelmann: Minderheitenintegration in den baltischen Staaten. Eine Frage der Sprache?
  11. Nationalismus und Rechtsextremismus in Litauen
    • Ein in SSOAR veröffentlichter Forschungsbericht des litauischen Journalisten Vitautas Paulauskas setzt sich kritisch mit politisch rechten Bewegungen in Litauen auseinander. Allerdings wurde dieser Bericht 1996 veröffentlicht, weshalb unsicher ist, wie weit er die aktuelle Situation repräsentiert:
      Paulauskas, V. (1996). Erscheinungen des Rechtsextremismus und Nationalismus in Litauen. (Berichte / BIOst, 21-1996). Köln: Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-42432
    • Andreas Kuck befasst sich in seinem privaten Litauen-Portal ebenfalls mit Beobachtungen zum rechten Nationalismus in Litauen: Litauen, Nationalismus und die EU
    • Positiver betrachtet ein Artikel  des Deutschlandfunks die Entwicklung der baltischen Staaten: Ein weiter Weg 
  12. Online-Information über das jüdische Leben und den Völkermord in Litauen
  13. Messmer, M., Antisemitismus in Rußland, der Ukraine und Litauen: eine vergleichende Studie. Köln: Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-43378
  14. Karäische Juden
    Die jüdische Minderheit der Karäer hat sich vermutlich in vorchristlicher Zeit aufgrund von innerreligiösen Konflikten als eine oppositionelle fundamentalistische jüdische Religionsbewegung abgespalten. Im 7./8. Jahrhundert n. Chr. übernahmen sie Anschauungen des Islam gegen das Rabbinertum. Gemäß typischen Sektendenkens verstehen sich Karäer als die wirklichen Juden und alle anderen Zweige des Judentums als Abweichler. Ihre Auffassung begründen sie mit einer strikten Buchreligion, die lediglich Gebote der schriftlichen hebräischen Bibel (Tanach) als göttliche Offenbarung akzeptiert. Von Rabbinern mündlich interpretierte und in der mündlichen Tora (Mischna) schriftlich fixierte Gebote lehnen sie ebenso wie den Talmud als menschliche Irrlehren ab.

    Die Bewegung der Karäer verbreitete sich im gesamten Mittelmeerraum sowie im Orient und in Zentralasien. Im 14. Jahrhundert setzten sie sich in der Ukraine und vor allem auf der Krim fest, wo sie das bedeutendste karäische Zentrum bildeten (Wikipedia: Krimtschaken). Bedeutende karäische Siedlungen bestehen auch in anderen Regionen der Ukraine: Karaimer in der Ukraine. Das Turkolk der Thora  - Die Karäer in Wolhynien (PDF) In der Ukraine haben sie die hebräische Schrift beibehalten, aber die karaimische Sprache übernommen, eine tatarische Sprache aus dem Zweig der kiptschakischen Sprachen, die wahrscheinlich Mongolen verbreiteten.

    Dem Holocaust konnten Karäer entkommen, weil sie nicht als Juden galten. Weltweit hat die Religionsgemeinschaft ca. 50.000 Angehörige und gilt als vom Aussterben bedroht (Deutschlandfunk: Karäer in Litauen: Eine jüdische Minderheit, vom Aussterben bedroht). Aktuell lebt die größte karäische Gemeinschaft in Trakai. Lt. Wikipedia (Karäer) wurden 2007 in Trakai 65 sowie in Litauen insgesamt 257 Karäer gezählt (Karäer in Trakai: Karäer-Straße  - "Die kleine Stadt"). Die Karäer-Straße in Trakai gilt als Sehenswürdigkeit, die uns aber entgangen ist. Karäische Häuser sind mit dem Giebel zur Straße ausgerichtet und haben auf der Giebelseite traditionell 3 Fenster: eines für Gott, eines für den Großfürsten Vytautas, eines für die Bewohner (Wikipedia: Trakai).  - Visit Trakai: Die Karäer (Karaimų) Straße 

    Großfürst Vytautas ist 1453 verstorben. Wenn sich Traditionen etabliert haben, sind sie langlebig und werden zu Selbstverständlichkeiten, über die sich Ethnien definieren, ohne dass die ursprüngliche Bedeutung von Traditionen individuell bewusst sein muss.  
  15. Warum sind Reisen bildungsrelevant?
    • Reisen fördern die Sensibilität für Pluralität und Diversität kultureller Wertverständnisse und verbessern eigenes Verständnis für strukturelle Muster der Lebensrealität. Auslandsreisen und insbesondere Fernreisen verstärken Erfahrungen dieser Art. Selbst innerhalb von Deutschland treffen Reisende zwischen nördlichen und südlichen oder westlichen und östlichen Regionen sowie zwischen Stadt und Land und sogar innerhalb von Städten und Gemeinden auf kulturell diverse Wert- und Verhaltensmuster, die ein wechselseitiges Verständnis zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturräumen behindern oder verhindern können und vom eigenen Blick auf die Welt abweichen.
    • Reisen machen bewusst, dass regional gefärbte Kulturmuster keine originären Verhaltensmuster herausbilden, sondern sich weitgehend kontingent als kulturelle Varianten aus universellen Verhaltensmustern ableiten und individuell variierend ausprägen. 
    • Reisende erleben, dass kulturelle Varianten jeweils eigene weltanschauliche und politische Deutungen der Realität produzieren und über Ein- und Abgrenzungen spezifischer Realitätsdeutungen ein kollektives kulturelles Selbstverständnis entwickeln, das sich dem eigenen Bewusstsein verbirgt und Einflüsse unbewusst entfaltet.  
    • Reisen bilden nicht nur, sie provozieren auch Fragen großer Reichweite, deren Beantwortung nicht absehbar ist, obwohl praktikable Antworten die Zukunft der Menschheit entscheiden. Wenn jedoch regional entstandene kulturelle Varianten nachhaltig gemeinnützige, friedliche Kooperationen von Menschen unterschiedlicher Kulturen sowie Wertschätzungen von Gemeingütern prinzipiell ausschließen, sieht die Zukunft düster aus.
  16. Quellen zu genannten Begriffen und Konnotationen
    Wikipedia: Nation - Staat
    Portal Aufbruch in die Moderne des LWL: Nation
    Portal der Bundeszentrale für politische Bildung:- Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland- Das Politiklexiko- Das junge Politiklexikon
  17. Kollektives Unbewusstes
    Kollektiv Unbewusstes ist als Erklärungskonzept der Psychologie zur Erklärung von Persönlichkeitsstrukten entstanden. In der Soziologie ist das Konzept mit verändertem Fokus als Kollektivbewusstsein von Bedeutung. Gegegenstand soziologischer Erklärungen sind nicht Persönlichkeitsstrukturen, sondern durch soziale Kontexte entstehende Einflüsse auf Denken, Wertvorstellungen und Verhalten von Individuen sowie Transformation individuellen Verhaltens auf kollektive Ebenenen wie Gruppen, Verwandschaftbeziehungen, Clans etc. oder auf Ebenen kollektiver Akteure wie Organisationen, Verbände, politische und kulturelle Institutionen etc..

    Soziologische Erklärungen gehen der Frage nach, wie sich Verteilungen von Merkmalen in Populationen sowie Zugehörigkeit zu Kollektiven inkl. derer Werte, Normen, Traditionen im Verhalten individueller und kollektiver Akteure ausprägen. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat für dieses Erklärungsmodell als zentrale Mechanismen Konzepte von Habitas und Doxa entwickelt.
  18. Redaktionelle Hinweise
    • Editierung
    Während der Reise besteht wenig Zeit für die Dokumentierung von Erlebnissen, die sich daher auf Stichworte beschränkt. Vollständigere Texte und Fotodokumente zu Erlebnissen und Beobachtungen dieser Reise können erst nach der Reise zusammen mit mehr als 800 Fotos bearbeitet  werden.  
    • Sortierungen von Einträgen
      Etappen und Erlebnisse sind pro Tag chronologisch absteigend und Aktivitäten eines Tages chronologisch aufsteigend sortiert.
    • Wahrnehmung und Bewertung
      Zeichenmuster werden erst durch Kontexte zu Bildern, die Verknüpfungen zu mentalen Inhalten assoziieren. Naive Anschauungen von Bildern erzeugen i.d.R. scheinbar stimmige Assoziationen zu mentalen Inhalten. Aus wissenschaftlicher Sicht erzeugen Information bzw. Bilder jedoch kulturell geprägte und in inidvidueller Sozialisation verfestigte Stereotype. Stereotypisierung ist ein unbewusster Prozess, der Wahrnehmungen mental repräsentiert.
      Automatisiert stattfindenden Wahrnehmungsprozessen kann sich niemand entziehen. Dank Wissen über diese Mechanismen ist aber mindestens teilweise individuelle Kontrolle von Stereotypen durch selbstkritische Distanz gegenüber der eigenen Wahrnehmung möglich. Mit dieser Intention beschränken sich Texte dieses Reiseberichts nicht auf Sachverhalte naiver Wahrnehmung, sondern beziehen politische, soziale, kulturelle Hintergrundinformationen ein, die für ein kritisches Verständnis von Wahrnehmungen relevant sind, ohne Objektivität fälschlich zu suggerieren oder zu behaupten. Subjektive Einfärbungen von Bewertungsprozessen sind unvermeidbar.
 
Quellen mit allgemeinen Informationen zum Baltikum

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