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St. Veit auf dem Tartscher Bühel |
An der Dorfkirche in Tartsch treffen sich 12
Interessierte zur Führung auf den Tartscher Bühel, die eine einheimische
Lady leitet (nachfolgend 'Guide' genannt). Unser Guide ist nicht
unangenehm, wirkt aber spröde und verschlossen. Sie macht sich nicht mit
uns bekannt und gibt keinen Rahmen ihres Führungskonzeptes vor. Bei
einer einstündigen Führung entsteht kein Problem, weil gruppendynamische
Prozesse gar nicht erst aufkommen und die Teilnehmer nur an
Informationen interessiert sind. Die Informationen bleiben eher
oberflächlich. Solidität und Belastbarkeit der kommunizierten
Informationen sind nicht einschätzbar, weil keine Quellen genannt
werden. Wir hätten gerne ein Informationsblatt mitgenommen, das jedoch
nicht angeboten wird. Notizen sind auf dieser kleinen Exkursion nämlich
kaum möglich. Da die Informationen deutsch und italienisch vermittelt
werden und Wege zurückzulegen sind, bleibt die Informationausbeute unter
dem Strich klein. Wir erhalten immerhin die Gelegenheit, St. Veit von
innen zu besichtigen und nehmen einige Anregungen mit, die wir selbst
recherchieren können.
Link: Fotoserie
St. Veit auf dem Tartscher Bühel
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Schalenstein als Hexenfalle auf der Schwelle zu St. Veit |
Auf dem Weg zur Kirche St. Veit macht unser Guide auf
'Schalensteine' aufmerksam, ansonsten unbearbeitete Steine oder Felsen
mit muldenförmigen Vertiefungen, die spontan als Artefakte wahrgenommen
werden. Unser Guide erklärt sie gemäß der am weitesten verbreiteten
Deutung als 'Opferschalen'. Wir erkennen 'Weihwasserbecken', die in der
christlichen Symbolik umgedeutet und integriert wurden. Tatsächlich ist
die Sachlage weniger eindeutlig und wesentlich komplexer.
Link: Wikipedia-Artikel Schalensteine
Die Mauer um St. Veit erklärt unser Guide als 'Asylmauer', hinter der Verfolgte Schutz fanden.
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Innenraum St. Veith |
Aufgrund archäologischer Untersuchungen ist bekannt,
dass auf dem Tartscher Bühel ein prähistorischer Siedlungsplatz lag,
dessen Spuren bis in die Jungsteinzeit reichen (ca. 5.000 Jahre v.
Chr.). Die um 1100 erbaute Kirche hatte wahrscheinlich eine
karolingische Vorgängerkirche, die wiederum auf dem Opferplatz einer
vorchristlichen Kultstätte errichtet wurde. Warum die vorchristliche
Kultgemeinschaft ihren Siedlungspatz auf dem Tartscher Bühel verlassen
hat und vermutlich auf das 'Ganglegg' umgezogen ist, bleibt im Dunkel
der Frühgeschichte verborgen.
Link: Post vom 10.07.2012 über das Ganglegg
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Määnderfries und figürlichen Darstellung |
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Christusdarstellung in der Wölbung |
Aus heutiger Sicht sind nur die um 1200 entstandenen
und lediglich fragmentarisch erhaltenen romanischen Fresken der
Apsis von kunsthistorischer Bedeutung. Aufgrund des Malstils und der
Motive können die Fresken Meistern der Marienberger Abtei zugeordnet
werden. In der Wölbung ist Christus in
der Mandorla dargestellt. Auf der Höhe von ca. 1 m teilt ein
Mäanderfries mit Perlstabband die figürlichen Darstellungen. Oberhalb
des Mäanders befinden sich christliche Motive. Sie stellen die
Apostelreihe zwischen
Heiligen dar. Zwei am Rand zu erkennende Personen werden als unbekannte
Stifterfiguren gedeutet. Unterhalb des Mäanders zeigt das Fresko
weltliche Mortive, wie zwei miteinander kämpfende Seeungeheuer und
einen Krummhorn blasenden Musiker.
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Engadiner Altar vor romanischem Fresko der St. Veit Legende |
Während aus heutiger Sicht im Innenraum von St. Veit
die Reste karolingischer Fresken als bedeutend gelten, ist das
auffälligste Objekt in St. Veit ein gotischer Flügelaltar aus dem
Engadin. Josef Rampold, wichtigster Autor der Südtiroler Landeskunde,
wertet in seinem Standardwerk über den Vinschgau (Josef Rampold,
Vinschgau, Bozen 1971) den Engadiner Altar im gotischen Stil als
“kostbare(n) Schatz vom Tartscher Bühel“ (S. 253). Der Altar ist 1514 in
der Werkstatt des Schweizer Meisters
Ivo Strigel entstanden und kam um das Jahr 1580 nach St. Veit. Das
Hauptbild des Altars stellt den Heiligen Mauritius dar, der insbesondere
in der Schweiz verehrt wurde (daher 'St. Moritz'!) und dessen
Heiligenlegende ähnlich hanebüchen ausfällt wie die Legende des Heiligen
Veit. (Bei Interesse sei auf die 'Legenda Aurea' verwiesen:
Link: Lexikon der Heiligenlegenden)
Der gotische Flügelaltar ist inzwischen nicht mehr der Hauptaltar in St.
Veit, weil er die wertvollen Fresken verdecken würde. Er wurde zur Seite
gerückt und verdeckt nun teilweise den Bilderzyklus der Fresken an der
Seitenwand gegenüber dem Kircheneingang. Dieser Bilderzyklus stellt
Begebenheiten aus der Legende des Heiligen Veit (Sank Vitus) dar, der
unter Diokletian 304 in Lukanien, Süditalien, starb und als einer der
'Vierzehn Nothelfer' verehrt wird. St. Veit ist Schutzpatron der
Apotheker, Gastwirte, Bierbrauer, Winzer, Kupferschmiede, Tänzer und
Schauspieler, der Jugend, der Haustiere. Er wird angerufen, um Krämpfe,
Epilepsie, Tollwut, Veitstanz, Bettnässen und Schlangenbiss zu heilen.
Verehrt wird St. Veit vor allem von Gebieten mit slawischen Wurzeln, wo
er den slawischen Gott Svantevit verdrängte. Der Veitsdom auf der Prager
Burg, Krönungkirche böhmischer Könige, bezeugt diese Zusammenhänge.
Warum die Kirche auf dem Tartscher Bühel gerade St. Veit gewidmet wurde,
war nicht zu ermitteln.
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Nach dem Brand von 1499 ergänze Holzdecke |
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Originaldecke in St. Veit |
Dass
im Vinschgau ein Engadiner Alter aufgestellt wurde, muss zunächst
verwundern. Das Habsburgische Tirol und die Eidgenossen waren nämlich
Feinde, die sich über einen längeren Zeitraum bekriegten, weshalb
Maximilian I. u. a. die Stadtbefestigung von Glurns veranlasste, der
Glurns heute sein touristisches Interesse verdankt. Bei der Schlacht am
Calven (eine Talenge zwischen dem Vinschgau und dem Münstertal) errangen
die Bündner am 22.05.1499 einen entscheidenden Sieg gegen Maximilians
Truppen im 'Engadiner Krieg' (auch als 'Schwabenkrieg' bezeichnet). Die
Bündner verfolgten die Fliehenden weit in den Vinschgau
hinunter und töteten nicht nur 5.000 Soldaten, sonderten plünderten
das obere Vinschgau bis nach Schlanders. Sie brannten die Dörfer Mals,
Glurns und Laatsch nieder und brachten alle
männlichen Bewohner um, die älter als 12 Jahre waren. Auch St. Veit
brannte. Der Brand nach der 'Clavenschlacht' vernichtete im
Kircheninnenraum
einen Teil der historischen Holzdecke, der ersetzt werden musste. Alt
und neu sind nicht nur wegen ihrer unterschiedlichen Patina deutlich zu
erkennen. Die Rosetten der ursprünglichen Deckenhälfte haben sieben
Blätter und verweisen auf die göttliche Bedeutung der Zahl 7, die
bereits in der babylonischen Kultur nachzuweisen ist und sich im
Judentum und im Christentum fortsetzt. Die Deckenrekonstruktion nach dem
Brand von 1499 zeigt dagegen Rosetten mit acht Blättern, die auch noch
unsauber aufgereiht sind. Schlampige Arbeiten scheinen nicht nur ein
Problem unserer Zeit zu sein.
Für den Soziologen ist
ein anderes Phänomen deutlich interessanter. Erlebnisse von der Art der
'Calvenschlacht' haben traumatischen Charakter und bleiben gewöhnlich
über Jahrhunderte im kollektiven Bewusstsein erhalten. Dass trotzdem ein
Engadiner Altar in St. Veit aufgestellte wurde, mag darauf
zurückzuführen sein, dass während der Reformation im Engadin viele
Altäre zerstört, veräußert oder verschenkt wurden. Sie waren daher
günstig zu bekommen, Feindschaft hin oder her. In Köln würde man von
einem 'Schnäppschen' sprechen und ebenfalls nicht so genau hinschauen,
wie es zustande kommt.
Dass die Kirche St. Veit relativ
originalgetreu erhalten ist, mag auch Joseph II. zu verdanken sein. Er
ließ nämlich St. Veit und viele andere Kirchen seines
Herrschaftsgebietes zusperren. Um Geld zu sparen, öffentliche Haushalte
zu entlasten oder zu konsolidieren und die Produktivität zu erhöhen,
ordnete Joseph II. etliche Reformen an. Die hohe Kirchendichte
betrachtete Joseph II. als Überversorgung und Verschwendung, weshalb er
viele Kirchen schließen ließ. Volkswirtschaftlich unproduktive Orden hob
er auf und ließ 700 Klöster schließen. Viele Feiertage, Kirchenfeste,
Wallfahrten, Prozessionen etc. wurden abgeschafft.
Josephs
Motivation war durchaus ehrenwert und auf eine Zukunft ausgerichtet,
die seinen Bürgern nachhaltige Verbesserungen sichern sollte. Trotzdem
war Joseph II. unbeliebt und sogar verhasst, weil er sich um kleinste
Details persönlich kümmerte und seine detaillierten Regelungen daher als
schikanös empfunden wurden. Manche der Maßnahmen erwiesen sich als
wenig durchdacht, wie z. B. die 'Dachsteuer', über die wir in dem Post
unserer Wanderung im Stilfser Joch Nationalpark berichtet haben.
Link: Wanderung im Stilfser Joch Nationalpark
Über
den unpopulären Herrscher wurde und wird noch immer gerne Tratsch in
die Welt gesetzt. Roland Girtler, ein österreichischer Soziologe, weiß
zu berichten, dass Joseph II. häufig Bordelle am Wiener Spittelberg
aufgesuchte und bei einem Besuch vor die Tür gesetzt wurde. Eine
Inschrift im Haus
Spittelberggasse/Gutenberggasse 13 besagt: „Durch dieses Tor im Bogen
kam Kaiser Joseph II.
geflogen – 1778“. Legitimieren wollte Joseph II. Bordelle jedoch nicht.
Auf einen solchen Vorschlag soll er geantwortet haben: „Was, Bordelle?
Da brauche ich über ganz Wien nur ein großes Dach machen
zu lassen …“
Der Legende zufolge wurde der Sohn eines heidnischen Senators Hylas in Mazzara -
dem heutigen
Mazara
del Vallo auf Sizilien - von seiner Amme
Crescentia
und seinem Erzieher
Modestus bekehrt.
Schon als 7-jähriger wirkte er Wunder und wurde deshalb von seinem Vater geschlagen
und vor den Richter gebracht, weil er nicht von seinem Glauben lassen wollte. Auch
der Richter befahl, ihn zu schlagen, aber dem Richter und seinen Knechten verdorrten die
Arme, worauf Veit betete und sie heilte. Der Vater schloss ihn mit musizierenden und
tanzenden Mädchen ein, die ihn verführen sollten. Als er ihn dabei durchs Schlüsselloch
beobachtete, sah er seinen Sohn von sieben Engeln umgeben und wurde blind. Er
gelobte vergeblich, einen Stier mit goldenen Hörnern im Jupiter-Tempel zu opfern;
erst das Gebet des Sohnes heilte ihn. Trotzdem trachtete er ihm nun nach dem
Leben, aber ein Engel veranlasste Veit, mit seinem Lehrer Modestus und seiner
Amme Creszentia auf einem Schiff nach
Lukanien
zu fliehen, wo ihnen ein Adler Brot brachteDeckenrekonstruktion
Ausgrabungen auf dem Tartscher Bühel
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Blühende Myrten in einer Mulde |
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Ausgrabung eines rätischen Hauses am Tartscher Bühel |
Die Ausgrabung auf dem Tartscher Bühel sind uns aufgrund unseres Besuchs vom 10.07.2012 und eigener Recherchen bereits bekannt:
Link: Archäologische Wanderung im Obervinschgau
Interessant ist lediglich der Hinweis, dass die archäologisch
relevanten Objekte unter blühenden Mulden liegen, in denen wegen des
Mauerwerks mehr Wasser als in der Umgebung gespeichert ist. Das
Blütenmeer der Myrten weist den Weg. Insgesamt 80-90 weitere Gebäude
sind bisher noch nicht untersucht worden. Luftaufnahmen lassen einen
ehemaligen Ringwall erkennen, der die Siedlung ehemals umgeben hat.
'Scheibenschlogn'
Alte Kultplätze waren Schauplätze ritueller Handlungen und Bräuche. Ein Brauch, der im Vinschgau vom Schlanderser Raum bis Mals heute noch lebendig geblieben und unter großer Anteilnahme der Bevölkerung gepflegt wird, ist das 'Scheibenschlagen'
(Link: Wikipedia-Artikel Scheibenschlagen). Am "Scheibenschlagsunnta", wie der 1. Fastensonntag im Vinschgau genannt wird
(Link: Wikipedia-Artikel Vinschgau), werden am Abend in der Dunkelheit in einem Feuer
vorgeglühte runde oder auch viereckige Holzscheiben (Birkenscheiben),
die auf eine lange geschmeidige Weidengerte aufgesteckt werden, über ein
Führungsbrett von einer Anhöhe aus weit über einen Abhang
hinuntergeschleudert
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Scheiben vom Tartscher Bühel |
Kas in der Tasch,
Wein in der Flasch,
Korn in der Wann,
Schmolz in der Pfonn,
Pfluag unter d’Eard!
Schaug, wie mein Scheibele weit außigeaht!
Oh reim reim, wem weard eppar dia Scheib sein, dia Scheib und mei Kniascheib kearn dem Hanssmerl und der Seffa (Josepha)
zur a guate Nocht, daß die Bettstatt krocht (kracht)
. Geaht sie guat, hobn si's guat, schaug, wia mei Scheibele ausigeat.
Spuren des Scheibenschlages sind wir auf dem 'Tartscher Bühel'
nachgegangen und haben einige Scheiben eingesammelt.
Der
archaische Feuerbrauch des Scheibenschlagens war ehemals im gesamten
rätisch-alemannischen Alpenraum verbreitet. Der Brauch wird zum
Abschluss der Faschingszeit von der unverheirateten Dorfjugend
praktiziert und gilt als Fruchtbarkeitsbrauch. Heute lebt dieser Brauch
noch im schwäbisch-alemannischen Raum, in Vorarlberg und im
Vinschgau. Zum Brauch gehören eine Reihe von Ritualen und
Sprüchen, deren Magie bei der Vorbereitung und beim Schleudern einer
Scheibe
anzuwenden ist, damit die Scheibe möglichst weit fliegt. Im Vinschgau
sind die oben zitierten Sprüche überliefert, die jedoch auch variiert
werden und oft geheimen
Liebschaften im Dorf mit gelten, die mit den Sprüchen öffentlich gemacht
werden.
Bevor das Scheibenschlagen beginnt, wird in Mals die
'Hex'' angezündet, ein mit Stroh umwickeltes Holzkreuz. Wenn die 'Hex'
brennt', beginnt das Scheibenschlagen, bei dem von einer Erhöhung (in
Mals das 'Tartscher Bühel') glühende Holzscheiben an einem Stock
zunächst herumgewirbelt werden, um sie anschließend mit Schwung und
begleitet von Sprüchen ins Tal zu schleudern. Nach dem 'Scheibenschlogn'
besuchen die Burschen die Mädels in der Hoffnung, dass die
'Bettstatt krocht'.
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