Nach 2017, 2018, 2019 unternehmen wir in diesem Jahr unsere 4. Reise in die Provence (Übersicht aller Provence-Posts). Bei allen Reisen wohnen wir im gleichen Ferienhaus einer Gruppe von 4 Ferienhäusern, den Villas Dolce Vita, 1,5 km außerhalb von Roussillon im Département Vaucluse. 2020 und 2021 wollten wir ebenfalls diese Reise antreten, haben aber wegen der Covid-19-Pandemie abgesagt. Die Pandemie ist nicht vorbei, aber mit 4 Impfungen und vorsichtigem Verhalten sind wir relativ geschützt. Die aktuelle Reise ist von der Lavendelblüte motiviert, die uns im Reisezeitraum oft in Begeisterung versetzt, für die wir aber auch einen Preis in Form von Hitze zahlen (Fotoserie Lavendelfelder der Provence). Zu jeder Jahreszeit begeistert uns in dieser Region die Ockerlandschaft, auf die ein Kapitel dieses Posts eingeht.
Roussillon - Fotos: Spaziergang in Roussillon - Friedhof in Roussillon
Roussillon ist als eines der 164 Les Plus beaux villages de France (schönste Dörfer Frankreichs) klassifiziert. Attraktive Orte ziehen viele Touristen an. Massentourismus mögen nicht, obwohl wir selbst zu ihm beitragen. Im Ferienhaus sind wir ungestört. Da Roussillon überwiegend von Tagesbesuchern geflutet wird, können wir ausweichen, indem wir uns auf Morgenstunden konzentrieren, die wir wegen kühlerer Temperatur ohnehin bevorzugen.
Ausgesprochen ruhig ist es auf dem Friedhof von Roussillon, wenn nicht gerade eine Bestattung stattfindet, an der traditionell viele Bewohner des Dorfs teilnehmen. Über Friedhofsruhe wundern wir uns immer wieder. Als Besucher eines anderen Kulturkreises lernt man auf Friedhöfen mehr über die Kultur einer Region, als wenn man lebhaft besuchte Shops scannt. Scheinbar befassen sich die meisten Menschen weniger intensiv mit dem eigenen Leben als mit Shopping oder sie identifizieren vielleicht Lebensqualität mit Shopping bzw. Konsum. Gräber zeigen oft, welche Art von Persönlichkeit bestattet ist, welche Leidenschaften sie pflegten, wie sie lebten und wie Lebende ihrer Verstorbenen gedenken. Heute lernen wir auf dem Friedhof von Roussillon: Une partie de boules, une partie de cartes, c'est une partie de nortre cœur.
Samuel Beckett in Roussillon - Fotos: Becketts Wohnhaus in Roussillon
Ockermuseum Ôkhra |
Vor 5 Jahren haben wir das Grab des Schriftstellers Albert Camus (Literaturnobelpreisträger 1959) auf dem Friedhof von Lourmarin besucht (Fotos Lourmarin). Beim diesjährigen Aufenthalt macht uns ein Plakat darauf aufmerksam, dass vis-à-vis unseres Ferienhauses seit 22 Jahren im Ockermuseum Ôkhra ein Beckett-Festival stattfindet. Unklar bleibt, warum ausgerechnet Roussillon ein Beckett-Festival organisiert. Im Dorf finden wir keine Hinweise und begeben uns auf Spurensuche. Spuren legte Martin Oehlen, ehemaliger Kultur-Ressortchef des Kölner Stadt-Anzeigers, mit gebloggten Reisenotizen aus Südfrankreich im Blog Bücheratlas,
den Martin Oehlen und Petra Pluwatsch gemeinsam betreiben. Dummerweise fehlt in
dem Blog-Eintrag das Foto mit dem Lageplan des Hauses. Ein älterer Blog-Eintrag eines uns unbekannten Autors
aus 2013 zeigt jedoch zwei Fotos des Hauses. Mit diesen
Informationen gehen wir in Roussillon auf
die Suche.
Das Wohnhaus können wir problemlos am Anfang der Avenue de la Burlière
auf einem kleinen Hügel hinter dem Kreisverkehr identifizieren,
an dem die Straße nach Goult abzweigt. Das Haus ist nicht ungepflegt und
das Dach scheint relativ neu zu sein, aber es macht auf uns einen
unbewohnten Eindruck. Im Internet wird es zum Verkauf angeboten. Der
Zugang zum Grundstück ist mit einer Kette versperrt. Während bei uns
jeder Ort damit wirbt, wenn Goethe ihn auch nur für wenige Stunden
besucht hat, macht hier kein Hinweis auf Samuel Becketts zeitweiligen
Wohnsitz aufmerksam. Um dem Haus ein wenig näher zu kommen, nehmen wir
von einem Nachbargrundstück Fotos auf, obwohl auch hier der
Zugang ausdrücklich untersagt ist.
Mit weiteren Recherchen ergibt sich ein Bild. Von 1942 bis 1944 oder 1945 (im Netz kursieren unterschiedliche Aussagen) lebte der irische Schriftsteller Samuel Beckett (Literaturnobelpreisträger 1969) mit seiner damaligen Lebensgefährtin und ab 1961 Ehefrau, der Pianistin Suzanne Deschevaux-Dumesnil (1900–1989), in Roussillon. Als Mitglied der französischen Widerstandsbewegung musste Beckett aus Paris fliehen, nachdem die deutsche Wehrmacht Paris besetzt hatte. In Roussillon arbeitete Beckett an dem Roman Watt und schrieb dort das Theaterstück Warten auf Godot. Der Originaltext von Warten auf Godet enthält eindeutige Hinweise auf das Dorf Roussillon, das Vaucluse-Gebirge sowie auf den Weinbauern Bonnelly der Domaine du Coulet Rouge, auf der Beckett den Lebensunterhalt als Tagelöhner verdiente. In der deutschen Übersetzung des Stückes fehlen diese Hinweise, weil Elmar Tophoven in seiner Übersetzung den Schauplatz in den Breisgau verlegt hat. Becketts Grab befindet sich auf dem Cimitière du Montparnasse in Paris.
Als Beckett 1969 den Literaturnobelpreis erhielt, waren wir als illusionslose Oberprimaner einer geschädigten Nachkriegsgeneration bereits mit der Absurdität des Lebens vertraut (aber nicht einverstanden!) und konnten dieser Entscheidung absolut zustimmen, im Unterschied zu Entscheidungen des Komitees der letzten Jahre.
Ockerwanderungen
Einen Schwerpunkt unseres Aufenthaltes bilden kürzere Wanderungen in der Ockerlandschaft zwischen Roussillon und Rustrel. Ocker ist ein Mineralgemisch aus Tonerde und Eisenoxidhydrat bzw. aus Verwitterungsprodukten von Eisenoxiden, Eisenhydroxiden, Eisensulfaten und Feldspat mit oder ohne Kalk, die sich vor mehr als 100 Millionen Jahren auf dem Meeresboden als Sedimente abgesetzt und zersetzt haben. Farbpigmente von Ocker werden seit mehr als 35.000 Jahren u.a. in der Höhlenmalerei oder als Schminke verwendet und in der Gegenwart noch immer als Färbe- und Bindemittel genutzt. Die Ockersteinbrüche von Roussillon sind die bekanntesten in Europa (Le Sentier des Ocres). Hier bauten bereits Römer Ocker ab. Von ehemals zahlreichen Ockersteinbrüchen sind nur noch wenige in Betrieb. Aufgegebene Ockersteinbrüche und Ockerminen sind teilweise touristisch für Besucher aufbereitet und kassieren dann auch Geld in kleinen Beträgen. Einige Ockerregionen sind aber auch auf Wanderwegen frei zugänglich. Auf weitere Details verzichten wir hier und lassen verlinkte Fotoserien sprechen:
Wochenmarkt in Apt - Fotoserie
Die Kleinstadt Apt ist keine besonders attraktive, aber eine sehr alte Stadt, deren reiche Geschichte weit in die Vergangenheit zurückreicht. Seit dem Mittelalter findet in Apt ein Wochenmarkt statt, der zu den attraktivsten und ältesten in Südfrankreich zählt und viel Publikum anzieht. Marktstände sind nicht auf einem größeren Platz versammelt, sondern auf mehrere kleinen Plätzen sowie auf Gassen des historischen Zentrums verteilt. Daher ist ein Marktbesuch zugleich ein Rundgang durch die Altstadt von Apt. Um 8:00 Uhr morgens sind noch nicht alle Stände eingerichtet. Der Andrang bleibt überschaubar. Auf unserer Einkaufsliste stehen frischer Fisch sowie frische Artischocken, die ganzjährig in der Bretagne angebaut werden. Artischocken werden heute nicht angeboten und ein kleines Fischangebot ist derart hochpreisig, dass wir auf Fisch verzichten. Um nicht völlig erfolglos umzukehren, erstehen wir Seifen als Souvenirs sowie ein Baguette.
Ausflüge und Wanderungen in Bildern
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