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Neustadt in Sterzing mit Zwölferturm und Nepomukfigur |
Nach der langen Wanderung durch den Rosengarten am Vortag
(Post vom 30.07.2013) melden die Kniegelenke Ruhebedarf. Untätig wollen wir nicht bleiben und nutzen darum den Pausentag für Besichtigungen in der Umgebung von Völs am Schlern. Wir fahren im Eisacktal über die alte Bischofsstadt Brixen hinaus nach Norden. Nördlich des nach Osten abzweigenden Pustertals folgen wir weiter der Eisack, aber das Tal heißt nun über die Grenze nach Nordtirol hinaus Wipptal. Kurz vor dem Brennerpass erreichen wir unser erstes Tagesziel, das Städtchen Sterzing (ital. Vipiteno). Für die Rückfahrt wählen wir eine für uns noch unbekannte Route über das Penser Joch (2.221 m) in den Sarntaler Alpen, eine Berggruppe, die sich von Sterzing nach Süden bis Bozen erstreckt und vom Passeiertal im Westen sowie vom Eisacktal im Osten eingegrenzt ist. Zuletzt unternehmen wir einen Abstecher nach Kastelruth.
Diashow der Fortoserie
Sterzing
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Durchgang im Zwölferturm |
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Laubenpassage in der Neustadt |
Bereits zur Römerzeit dürfte Sterzing mit seiner Lage am Brennerpass ein bedeutender Ort gewesen sein. Mir seiner Höhe von lediglich 1.374 m erlaubte der Brenner auch im Winter eine halbwegs gefahrlose Überquerung und war daher der wichtigste Alpenübergang zu den Nordprovinzen des römischen Imperiums. Aus dieser Epoche sind jedoch nur noch wenige Fundstücke erhalten, von denen wir später im Sterzinger Rathaus einige antreffen werden.
Die Blütezeit seiner Entwicklung erreichte Sterzing im Mittelalter unter dem Einfluss der Augsburger Handelsfamilie Fugger. Die Fugger galten als wichtigster Handelspartner Venedigs nördlich der Alpen. Der unermessliche Reichtum der Fugger, zu deren Schuldnern Könige und Kaiser zählten, basierte unter anderem auf Silbererzen, die im Raum Sterzing abgebaut wurden und nicht nur den Fuggern, sondern auch der Stadt Sterzing zu Wohlstand verhalfen, der noch heute sichtbar ist. Mit den aus der neuen Welt geraubten Edelmetallen verlor nicht nur das Sterzinger Silber an Wert, sondern die Fugger wurden ebenso wie Sterzing ihre ehemalige Bedeutung verlustig. Diesem Bedeutungsverlust ist zu verdanken, dass Sterzing sein mittelalterliches Stadtbild im Ortskern weitgehend bewahrt hat und in der Gegenwart neue Geldquellen mit Tourismus erschließen kann. Dem großen Stadtbrand im Jahr 1443 fielen weite Teile des Ortskerns zum Opfer. Die Altstadt wurde nicht nur neu aufgebaut, sondern auch gleich um eine Neustadt erweitert, die selbstverständlich, wie bei den reichen Nachbarstädten, eine Laubenpassage erhielt. Der 1468-1472 am Stadtplatz errichte Zwölferturm trennt die Altstadt von der Neustadt. Mit ‚Altstadt’ und ‚Neustadt’ ist auch die verkehrsberuhigte attraktive Straßenachse benannt, die der 46 m hohe Zwölferturm in zwei Abschnitte teilt.
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Stadtplatz mit Heilig-Geist-Spitalkirche |
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Stadtplatz mit Zwölferturm |
Unsere Besichtungsrunde beginnen wir in der ‚Altstadt’ am Stadtplatz unter dem Zwölferturm. Bei dem Gedanken an Köln, überfällt uns auf dem Stadtplatz eine verschämte Wehmut. Wir fragen uns, warum es in Köln nicht gelingt, attraktive Plätze zu gestalten, die jeder gerne aufsucht und seinen Gästen ohne Peinlichkeiten präsentieren kann. Gegenüber Besuchern fühlen wir uns in Köln regelmäßig zu Entschuldigungen gedrängt und verweisen auf Bausünden des raschen Wiederaufbaus nach der Zerstörung der Stadt während des letzten Weltkrieges. In Wirklichkeit liegen die Gründe eher in der traditionellen Inkompetenz der Planungsverantwortlichen, die weltweite Beispiele zahlloser gelungener Platzarchitekturen beharrlich ignorieren und stattdessen Plätze gestalten, die als Provokation empfunden werden. In Sterzing treffen wir auf einen Stadtplatz, der nicht beeindrucken will, sondern mit seiner Ausstrahlung eines zugleich intimen wie auch öffentlichen Zentrums der Begegnung und Kommunikation Menschen zum Verweilen einlädt.
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Hauptschiff Heilig-Geist-Spitalkirche |
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Gotische Fresken mit Szenen des Jüngsten Gerichts |
Am Stadtplatz der ‚Altstadt’ liegt die von außen unscheinbare, im gotischen Stil ab 1399 erbaute zweischiffige Heilig-Geist-Spitalkirche. Der Kirchenraum ist ohne Restriktionen frei zugänglich. Im Inneren der Kirche treffen wir im Hauptschiff auf kunstvoll wie auch beeindruckend gestaltete gotische Fresken des Meisters Hans von Bruneck aus dem Jahr 1402.
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Römischer Meilenstein und Platte mit Mithraskultmotiven |
Highlight der ‚Neustadt’ ist das spätgotisches Rathaus. Die Stadt kaufte den Gebäudekern im Jahr 1486 und baute das Gebäude entsprechend seiner Zweckbestimmung zu einem repräsentativen Gebäude aus. In der Gegenwart erfüllt das Gebäude zwei Funktionen. Es wird noch immer als Rathaus von Sterzing genutzt und zieht interessierte Besucher mit Ausstellungen in seine weit geöffneten Räumlichkeiten. Verblüfft stellen wir fest, dass weder Eintrittsgeld zu entrichten ist, noch Kontrollen oder Aufsichten stattfinden. Wir bewegen uns frei durch die Räume und werden von Mitarbeitern des Rathauses nicht angeblafft, sondern freundlich gegrüßt. Das Gebäude umschließt einen offen Lichthof in klosterähnlicher Architektur, in dem zwei bemerkenswerte Objekte ausgestellt sind. Ein römischer Meilenstein wurde im Jahr 201 aus Marmor gearbeitet und war ursprünglich eine Marke an der Brennerstraße. Naben dem Meilenstein ist die Replik einer römischen Marmorplatte ausgestellt, die in der Nähe von Sterzing gefunden wurde. Darstellungen der Platte verweisen auf den aus Vorderasien importierten Mithraskult, der insbesondere bei Legionären des römischen Reiches populär war.
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Lichthof im Sterzinger Rathaus |
Innerhalb des dreigeschossigen Gebäudes befindet sich ein überdachter Lichthof, dessen Galerien als Ausstellungsfläche für mittelalterliche, sakrale Objekte genutzt werden. Als besonders interessant empfinden wir ein Epitaph aus dem Jahr 1597 der Familie Geizkofler, deren Oberhaupt als Tiroler General-Steuereinnehmer fungierte. Die Macht dieses Amtes dürfte auch dem Vermögen der Inhaber genutzt haben. Auf dem Epitaph posiert die Stifterfamilie neben dem Kruzifix. Die Mittelszene zeigt die Aufnahme des gerechten Stifters in das Paradies am Tag des jüngsten Gerichtes. Der Wahrheitsgehalt dieser selbstgerechten Darstellung bleibt uns leider verborgen.
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Lüsterweibchen, Kachelofen und Schrank im Ratssaal |
Auf der ersten Etage betreten wir den historischen Ratssaal, der noch immer genutzt wird. Der repräsentative Raum reicht in der Höhe über zwei Gebäudetagen. Dem dunklen Raum spendet ein Erker mit bleiverglasten Butzenscheiben zusätzliches Licht. Der mit grün lasierten Fliesen verkleideter Kachelofen (um 1600) bildete ehemals die einzige Heizquelle des Raumes. Ein Sterzinger Kastenschrank neben dem Ofen ist auf das Jahr 1510 datiert. Kurios ist der Deckenleuchter. Ein unbekannter Augsburger Meister stellt als Lüsterweibchen die tugendhafte Lucretia dar, wie sie nach ihrer Schändung ein Schwert zur Brust führt, um sich zu töten. Albrecht Dürer soll diese Darstellung als Vorlage für eigene Gemälde genutzt haben.
Sarntaler Alpen, Penser Joch, Sarntal
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Blick vom Penser Joch auf den Alpenhauptkamm |
Die Route durch die Sarntaler Alpen über das Penser Joch ist verkehrstechnisch von geringer Bedeutung. Wer es eilig hat, nutzt die Hauptverbindungen im Wipptal und Eisacktal. Den Umweg belohnt eine beeindruckende, nur dünn besiedelte und von Menschen wenig beeinflusste Landschaft. Insbesondere Motorradfahrer und Radfahrer schätzen diese Verbindung. Wohl kaum ein Tourist wird den Stopp am 2.221 m hohen Penser Joch versäumen, um in das Penser Tal und auf die Gipfel der Sarntaler Alpen zu schauen. Wir genießen heute eine gute Fernsicht und blicken auf eine Kette vergletscherter Riesen der Ötztaler und Stubaier Alpen am Alpenhauptkamm. Auf der Weiterfahrt nach Bozen mutiert das Pensertal zum Sarntal. Ab dem Ort Sarntheim ist das Tal wirtschaftlich stärker genutzt und dichter besiedelt, was offensichtlich schon lange so ist. Etliche Burgen, Burgruinen und Ansitze verweisen auf eine auch historisch kulturelle Bedeutung dieser Region, deren Spuren wir jedoch heute nicht weiter nachgehen.
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Schloss Runkelstein über dem Sarntal |
Kurz vor Bozen erkennen wir auf einem Felsplateau über dem Bach der Talfer das restaurierte Schloss Runkelstein (bei dem es sich eher um eine Burg handelt). Die ursprünglich 1237 erbaute und mehrfach zerstörte und neu errichtete imposante Anlage wird aktuell für Ausstellungen, Konzerte und Theateraufführungen genutzt. Die aktuelle Ausstellung mit dem Titel ‚Tatort Tirol’ beleuchtet einen bis heute noch weitgehend ungeklärten politischen Akt. Am 26. Januar 1386 übergab Margarete von Tirol (‚Margarete Maultasch’) unter dubiosen Umständen die Grafschaft Tirol an den für seine Skrupellosigkeit berüchtigten Habsburger Herzog Rudolf IV. Tirol wurde damit für die nächsten Jahrhunderte österreichisch. Die als ‚Margarete Maultasch’ geschmähte Gräfin Margarete von Tirol war keine Schönheit, sie soll aber bei weitem nicht so hässlich gewesen sein, wie sie ihre politischen Feinde darstellen ließen. In Anbetracht der schon fortgeschrittenen Zeit verzichten wir auf den Besuch dieser in Medien positiv bewerteten Ausstellung (03.05.2013 – 31.10.2013).
Kastelruth
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Kastelruth und Schlern |
Der Schlern beherrscht das Dolomitenpanorama der hübschen Orte Völs, Seis und Kastelruth. Kastelruth war 1990 Start- und Zielort unserer Hüttentour ‚Rund um die Seiser Alm’. Erinnerungen an Kastelruth sind zwar längst verblasst, aber der Ort scheint gewachsen zu sein und wirkt städtischer, als das Bild unsere Erinnerung. Wie auch in Völs und Seis ist der gepflegte Ortskern verkehrsberuhigt und lädt zum Verweilen ein. Den besten Blick auf Kastelruth bietet ein kurzer Spaziergang auf den Kofel, ein ortsnaher Hügel mit Kapelle und historischem Baukitsch in einer parkähnlichen Anlage.
Wonderful history. Great slideshow.
AntwortenLöschenIch freue mich sehr darüber, dass der Ort von diesem Beitrag erwähnt wurde. Nach einigen Urlauben in einem Hotel in Sterzing wissen meine Frau und ich die ländliche Idylle dort sehr zu schätzen... Eine klare Empfehlung!
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