Montag, 18. Oktober 2010

New England 2010: Friedhofskultur - soziologisch betrachtet

Vine Hill Cemetery, Plymouth, Massachusetts
In fremden Kulturräumen besuchen wir gerne Friedhöfe, weil wir dort einiges über die Lebenden und ihren Umgang mit ihren Toten erfahren können. Die Friedhöfe von Plymouth an der Küste sowie von Provincetown auf Cape Cod dürften zu den ältesten Friedhöhen der USA zählen. Sie gehen zurück auf die Bestattungen der ersten Siedler zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Die alten Grabsteine sind noch erhalten, aber wegen ihrer Verwitterung ohne konservatorische Maßnahmen nicht lesbar. Eine klare Ordnung oder Ausrichtung, wie sie bei uns üblich ist und auf Soldatenfriedhöfen besonders prägnant ausfällt, ist bestenfalls zu ahnen. Zu erkennen sind jedoch Gruppen von Einzelgrabsteinen, deren Anordnung eine Zusammengehörigkeit andeutet.





Typischerweise sind im Nordosten der USA Rasenfriedhöfe anzutreffen, auf denen schlichte Steine ohne Grabeinfassungen aufgestellt sind. Blumenschmuck haben wir nur selten gesehen. Die Flagge der Vereingten Staaten von Amerika, das 'Star-Spengled Banner', steckt dagegen als kleines Exemplar häufig neben Grabsteinen (siehe Zentrum des 1. Fotos auf 9 Uhr). Ob es sich um ein Symbol des in den USA sehr ausgeprägten Patriotismus handelt oder die Flagge eine andere Bedeutung symbolisiert, wir nicht zu klären.

Provincetown Giffort Cemetery
Vine Hill Cemetery, Plymouth
Provincetown Giffort Cemetery

Friedhöfe der nördlichen Ostküste sind geprägt vom calvinistischen Glauben früher europäischer Einwanderer dieser Regionen. Gemäß religiöser Ausrichtung waren Friedhöfe keine heiligen Orte. In der Regel gab es keine symbolische Bepflanzung, Grabsteine waren bescheiden und schlicht. Während in der Vergangenheit  Begräbnisse auf Kirchhöfen überwogen, wirkten Mobilität und Säkularismus dieser traditionellen Praxis entgegen. In der Gegenwart sind die Friedhöfe des Nordens als ausgedehnte Grasflächen mit einzelnen Gräbern angelegt. Ca. 35% aller Bestattungen sind Feuerbestattung. Bei 70% der Erdbestattung und 30% der Feuerbestattung wird eine thanatopraktische Behandlung vorgenommen.

Lutherische und katholische Friedhöfe gelten auch in den Vereinigten Staaten für die meisten immigrierten Deutschen als heiliger Ort, der in der Regel durch ein großes Kreuz, oft nahe der Friedhofsmitte, als solcher gekennzeichnet ist. Nicht selten sind deutsche Friedhöfe nahe bei oder direkt neben Kirchen gelegen. Traditionell zogen Deutsche Einzelgräber oder Gräber für Ehepaare den im Süden üblichen Familiengrabstätten vor.

Gräber und Grabsteine bleiben über Jahrhunderte erhalten. Solange der Platz ausreicht, wachsen Friedhöfe unter dieser Voraussetzung über die Zeit zu sehr großen Anlagen. Pragmatisch denkende US-Amerikaner legen durch große Friedhöfe asphaltierte Straßen, die es ihnen erlauben, mit dem Auto möglichst bis an ein Grab zu fahren. Eine derartige Verkehrsinfrastruktur ist in den USA auf großen Friedhöfen üblich. Wir, kennen sie nur vom Wiener Zentralfriedhof, auf dem eine eigene Buslinie verkehrt und der gegen eine Gebühr auch mit dem eigenen Auto befahren werden darf. 

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