Mittwoch, 28. Dezember 2011

Berliner Streifzüge durch Gedenkstätten von Irrtümern und Terror im Dezember 2011

Brandenburger Tor am Pariser Platz
Den Rückweg von der Insel Rügen unterbrechen wir für 3 Tage in Berlin. Auf der Fahrt nach Berlin besagt eine Nachricht im Rundfunk, dass die Besucherzahlen in den 200 Museen Berlins weiter ansteigen und im abgelaufenen Jahr mehr 12 Millionen Besucher zu verzeichnen sind, wobei die Museen der Museumsinsel mit weitem Abstand führen. In diesen Zahlen verstecken sich auch unsere Besuche vom Sommer und zuletzt noch im Herbst mit Angie und Richard.
Bei unserem aktuellen Aufenthalt wollen wir bewusst Einrichtungen jenseits der Museeumsinsel kennenlernen und erkunden. Aufgrund interessanter Artikel in der FAZ sind die 'Neue Nationalgalerie' sowie der 'Tränenpalast' als Programmpunkte gesetzt. Fontanes Grab wollen wir nach unseren Wanderungen durch die Mark Brandenburg ebenfalls besuchen. Weitere Programmpunkte halten wir uns offen.






































Auf dem Weg zur 'Neuen Nationalgalerie' im Kulturforum treffen wir in der Leipziger Straße auf ein geschichtsträchtiges Gebäude, das uns bisher entgangen ist. Errichtet während des Nationalsozialismus für das 'Reichsluftfahrtministerium', ist hier nach dem 2.Weltkrieg zunächst die Verwaltung der sowjetischen Besatzungszone untergebracht. 1949 konstituiert sich in dem Gebäude die 'Volkskammer' der DDR. Nach deren Auszug dient der Komplex als 'Haus der Ministerien' und wird nach der politischen Wende zum Sitz des Finanzministeriums umgewidmet.
Auf dem Vorplatz fällt uns zunächst ein großes dokumentarisches Foto auf, das der Künstler Wolfgang Rüppel als Denkmal des Aufstandes vom 17. Juni 1953 bearbeitet hat. Das Foto korrespondiert mit einem propagandistischen Wandgemälde in der Säulenhalle, das im Stil des sozialistischen Realismus ab 1950 ein ehemals nationalsozialistisches Wandrelief ersetzt. Der Titel des Wandgemäldes verkündet die Programmatik einer neuen Zeit: 'Die Bedeutung des Friedens für die kulturelle Entwicklung der Menschheit und die Notwendigkeit des kämpferischen Einsatzes für ihn'.
Die arbeitende Bevölkerung nimmt das Programm ernst. Das Fass einer schwelenden Unzufriedenheit mit der Entwicklung der DDR bringt eine Normerhöhung von 10 % zum Überlaufen. Zehntausende protestieren im Juni 1953 vor diesem Gebäude und innerhalb des Landes nicht nur gegen eine Normerhöhung ohne Einkommensäquivalent, sondern auch gegen politische und soziale Missstände in der DDR. Nachdem die Regierung eine Rücknahme der Normerhöhung ablehnt, breitet sich ein massiver Vertrauenslust gegenüber der politischen Führung aus. Die Aufständischen verkünden den Generalstreik. Laut einem Artikel in Wikipedia besetzten die Aufständischen 11 Kreisratsgebäude, 14 Bürgermeistereien, 7 Kreis- und eine Bezirksleitung der SED. Sie stürmen 9 Gefängnisse und 2 Dienstgebäude des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) sowie 8 Polizeireviere, 4 Volkspolizei-Kreisämter (VPKA) und eine Dienststelle der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei (BDVP). Mehr als doppelt so viele Einrichtungen werden bedrängt, können jedoch nicht besetzt werden.
Die politische Ikonographie des Gemädes bietet keinen Schutz. Mit Hilfe der Sowjetunion und unter Einsatz militärische Mittel werden die Proteste brutal niedergeschlagen. Insgesamt kommen 16 sowjetische Divisionen mit etwa 20.000 Soldaten zum Einsatz sowie rund 8.000 Angehörige der Kasernierten Volkspolizei (KVP). Panzer fahren gegen die Demonstranten auf. Im Westen wächst eine akute Angst vor einer Fortsetzung des 2. Weltkrieges, dessen Front mitten durch Deutschland verlaufen würde.
Politischer Nebel verbirgt Zahlen über Täter und Opfer, weshalb kein belastbares Zahlenmaterial zu finden ist. Das Regime im Osten macht für die Ereignisse eine Minderheit verantwortlich, während im Westen die Zahlen aufgeblasen werden. Tatsächlich dürfte sich, wie üblich, die Mehrheit opportunistisch verhalten haben und im Schutz der Deckung geblieben sein. Insgesamt soll es ca. 9.100 Verhaftungen und 1.240 Verurteilungen gegeben haben. Vermutlich 50 Tote sind zu beklagen, darunter zwei juristisch fragwürdige Hinrichtungen vermeintlicher 'Rädelsführer'. Ob befehlsverweigende Soldaten hingerichtet wurden, ist unsicher. Belegt sind jedoch 'Parteisäuberungen' innerhalb der SED. Im Nachhinein bewirken die Proteste schließlich doch noch einige Veränderungen im Sinne der Aufständischen. In der Rückwärtsbetrachtung zeichnet sich mit diesen Ereignissen der Untergang des Regimes ab, der aber erst mehr als drei Jahrzehnte später vollzogen wird.
Der in der DDR lebende Dichterfürst Bertolt Brecht verarbeitete die Ereignisse des 17. Juni in seinem Gedicht 'Die Lösung' mit dem berühmten Schlusssatz: 'Wäre es da / Nicht doch einfacher, die Regierung / Löste das Volk auf und / Wählte ein anderes?' 1953 entstand auch sein Gedicht 'Das Brot des Volkes': 'Die Gerechtigkeit ist das Brot des Volkes ….'

Kulturforum
Matthäuskirche

















Das neue Geschäftsviertel am Potsdamer Platz mögen wir nicht und lassen es auf dem Weg zum Kulturforum schnell hinter uns. Die Gestaltung des Forums als Platz gefällt uns deutlich besser, obwohl wir auch hier Eindrücke von 'Geschlossenheit' und 'Intimität' vermissen, über die z.B. der Gendarmenmarkt verfügt und die erst eine emotionale Identifikation ermöglichen. Unser Ziel ist die Austellung 'Der geteilte Himmel' in der 'Neue(n) Nationalgalerie' am Rand des Kulturforums. Über die Ausstellung berichtet ein eigener Post. Link zum Post über die Ausstellung 'Der geteilte Himmel'


Nach dem Besuch der Ausstellung sind wir thematisch eingestimmt auf den Besuch des Holocaust Mahnmals, das auch räumlich in der Nachbarschaft liegt. Die 2.711 Betonquader liegen wie sorgfältig sortierte Sarkophage in der Landschaft. Ihre zugleich pedantische wie anonyme Ordnung verstehen wir als Anklage der Monströsität einer entmenschlichten politischen Macht und als Aufforderung zu Wachsamkeit und dem Mut zum Widerstand. Das Informationszentrum unter dem Mahnmal bietet trotz zahlreicher Besucher eine sehr beeindruckende Ausstellung. Über ihren informatorischen Auftrag hinaus verleiht sie dem Leiden mehrerer Millionen Menschen eine Würde, die uns mit Scham und Demut erfüllt. In den fast absolut stillen Räumen schreit die Anklage ohne Akustik umso lauter. Primo Levi, ein überlebender des Holocaust, der als italienischer Jude in Auschwitz inhaftiert war, erinnert uns daran, dass nicht eine überwundene Zeitpolitik diese menschliche Katastrophe ermöglicht, sondern dass in Menschen diese Option der Monströsität angelegt ist und darum die Katastrophe wiederholbar bleibt. 


















Wir wollen nicht nur Opfer beklagen, sondern uns auch über Täter informieren. Das Dokumentationszentrum 'Topographie des Terrors' liegt in dem Viertel, in dem sich während des 'Dritten Reichs' die Zentralen der Geheimen Staatspolizei, der SS und des Reichssicherheitshauptamts befanden. Eine Dauerausstellung macht auf mehreren Stationen die wichtigsten Einrichtungen des nationalsozialistischen Verfolgungs- und Terrorapparats sowie die Dimension der NS-Schreckensherrschaft sichtbar. In einer Sonderaustellung mit dem Titel 'Vor aller Augen' dokumentieren 42 Original-Fotographien 'Die Deportation der Juden und die Versteigerung ihres Eigentums' unter den Augen der Öffentlichkeit als Zeitzeugen. Eine Täterschaft wollen wir unseren Altvorderen nicht unterstellen, aber ihre Glaubwürdigkeit als vermeintlich Unwissende, die uns schon lange fragwürdig erscheint, nimmt weiter ab.

















































Fotos von Hinrichtungen in Köln-Ehrenfeld und ein Zitat unseres ersten Kanzlers, Konrad Adenauer, verdeutlichen uns, wie nahe die Ereignisse einer vermeintlichen Vergangenheit an unseren eigenen Lebensraum grenzen. Adenauers Statement zeigt in entlarvender und zeitloser Deutlichkeit (man denke nur an die aktuellen politischen Sumpfbiotope) wie weit eine Politik, die sich selbst als pragmatisch versteht, bereit ist, sozial-ethische Prinzipien unserer Kultur zu verraten. Spätestens jetzt wird verständlich, warum Primo Levis Statement zeitlos ist.









In kurzer Distanz zum Dokumentationszentrum 'Topographie des Terrors' liegt ein STASI-Museum, das wir selbstverständlich auch besuchen und das wie die zuvor beschriebenen Einrichtungen kostenlos zu besichtigen ist. Die Dokumentation bleibt sachlich und ist darum eher unspektakulär, aber sehr informativ aufbereitet. Bei aller Sympathie für linkes Gedankengut empfinden wir Ekel gegenüber einer Politik, die unter dem Fähnlein linker Parolen weiter die Methoden des Nationalsozialismus verwendet und nur die Überschriften austauscht.

 















Eine Abrundung erfahren unsere Eindrücke mit dem 'Mauerweg' zwischen dem ehemaligen Checkpoint Charlie und dem Gelände der 'Topographie des Terrors'.


















Die als 'Tränenpalast' bezeichnete ehemalige Abfertigungshalle des innerstädtischen Grenzverkehrs am Bahnhof Friedrichstraße macht mit einer eindrucksvollen Ausstellung die Ereignisse der 'Wende' und die Entwicklungen der Vorwendezeit in unserer Erinnerung lebendig, ohne hierfür Eintrittsgeühren zu verlangen. Die multimediale Ausstellung ist mit vielen Zeitdokumenten ausgestattet und entlarvt mit einem Abstand von wenig mehr als 20 Jahren Geschichte als eine absurde Groteske.    









(Fortgesetzt werden die 'Berliner Streifzüge' mit einem Post über unsere Friedhofsbesuche:
Link zum Post unserer Berliner Streifzüge über Friedhöfe)








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