Mittwoch, 21. Dezember 2011

Wo die Reichen und die Schönen in Potsdam wohnen - Neuer Garten und Berliner Vorstadt

Schloss Cecilienhof im Neuen Garten, Potsdam
Bevor das Parkgelände des 'Neuen Gartens' entstand, lagen in dieser Landschaft Obst- und Weingärten. Friedrich Wilhelm II. kaufte ab 1787 das Gelände nach und nach auf, weil er für seine neue Sommerresidenz am 'Heiligen See' eine private Umgebung beanspruchte. Als König verfügte Friedrich Wilhelm II. über die Macht und das Geld, um das Gelände als 'sentimentalen Landschaftsgarten' im Stil englischer Gärten gestalten zu lassen und die Grenzen zwischen seiner Welt und der umgebenden Welt mit einer hohen Mauer symbolisch und physisch zu deklarieren.
Die Mauern sind schon lange gefallen und bilden darum kein Hindernis für unseren Streifzug durch das Parkgelände des 'Neuen Gartens' am 'Heiligen See' und am 'Jungfernsee'. Nach Nordwesten grenzt der 'Neue Garten' an das vornehme Viertel der 'Nauener Vorstadt' mit dem 'Pfingstberg' und dem 'Kapellenberg'. Dort haben wir uns gestern umgeschaut. (Link zum Post vom 20.12.2011) Heute ergänzen wir unseren Rundgang durch den 'Neuen Garten' mit Eindrücken von der südlich angrenzenden eklusiven 'Berliner Vorstadt'.


Geschichte des Neuen Gartens und seiner Bauwerke
Marmorpalais im Neuen Garten
Die asketische Lebensweise Friedrichs II. lehnte Friedrich Wilhelm II. ebenso ab wie dessen Vorliebe für Bau- und Gartenstile des Rokokos oder des Barocks. Die Anlage des Neuen Gartens markierte bereits mit ihrem Namen eine programmatische Abkehr vom alten Barockpark Sanssouci.
Der Neue Garten entstand nach dem Vorbild der 'Wörlitzer Anlagen', ein Landschaftsgarten nach englischem Muster, die Friedrich Wilhelm II. als Ideal einer Parklandschaft betrachtete, weshalb er den Wörlitzer Gärtner Johann August Eyserbeck für die Gestaltung des Neuen Gartens verpflichtete. Nach englischem Vorbild des 18. Jahrhunderts gliedert sich der Garten durch relativ abgeschlossene Gartenpartien, die kleine Gartenarchitekturen schmücken. Die Gestaltung sollte den landschaftlichen Charakter der freien Natur nachbilden. Bäume und Pflanzen dürfen ihre Form in freiem Wuchs entfalten. Im Neuen Garten ließ Friedrich Wilhelm II. in den Jahren 1787–1792 am Ufer des Heiligen Sees das exquisit ausgestattete Marmorpalais von den Architekten Carl von Gontard und Carl Gotthard Langhans im frühklassizistischen Stil errichten.

Marmorpalais im Neuen Garten
Vom Rundtempel auf dem Palaisdach blickte der König auf die Pfaueninsel, die eine besondere Symbolik ausstrahlt. 1764 lernte der Kronprinz die elfjährige Wilhelmine Enke kennen. Ihr Vater ist Hoftrompeter in Diensten Friedrichs II. und betreibt eine Gastwirtschaft in Berlin. Ab 1766 ließ sich der Kronprinz mit Wilhelmine regelmäßig zu erotischen Aufenthalten auf die verwilderte Pfaueninsel übersetzen. Friedrich II. war eine feste Bindung zu Wilhelmine lieber als die Affären des Kronprinzen mit ausländischen Frauen und machte Wilhelmine 1769 zu dessen offizieller Maitresse. Sie erhielt ein Haus in Charlottenburg und eine Apanage von jährlich 30.000 Talern. Obwohl Friedrich Wilhelm II. 1782 die offizielle Beziehung löste und Wilhelmine mit seinem Kammerdiener verheiratete, dem späteren Geheimrat und Kämmerer Johann Friedrich Ritz, überdauerte das Verhältnis, aus dem fünf Kinder stammten, zwei Ehen, etliche Liebschaften und hielt bis zum Tod Friedrich Wilhelms II.. 1796 erhob Friedrich Wilhelm II. mit einer rückdatierten Urkunde Wilhelmine zur 'Gräfin Lichtenau' und ließ das Schloss auf der Pfaueninsel für sie bauen.

Marmorpalais im Neuen Garte
Der König liebte ausgedehnte Bootsfahrten. Von der Terrasse an der Seeseite des Schlosses führen darum Freitreppen bis zu den Bootsanlegestellen am See.
Das Marmorpalais diente dem ausschweifenden Privatleben des Königs und wurde schon bald für seinen Bedarf zu klein. Friedrich Wilhelm II. beauftragte 1797 (sein Todesjahr) einen Ausbau. Als harmonisches Ergebnis entstanden die beiden über Galerien angebundenen Seitenflügel. Die Beschaffung von Material ließ sich pragmatisch und im Geist der Beziehung zwischen Neffen und Onkel lösen. Kolonnaden auf der Hauptallee zwischen dem Schloss Sanssouci und dem Neuen Palais wurden im Park Sanssouci abgetragen und für die Erweiterung des Marmorpalais verbaut.





Muschelgrotte im Neuen Garten
Am nördlichen Ende des Neuen Gartens entstand 1791/92 eine 'Crystall- und Muschelgrotte', die als versteckter Aufenthaltsort für Teegesellschaften und zum Speisen diente. Der Aufenthaltsort für warme Sommertage soll nach außen wie von der Natur erschaffen wirken. Entgegen dem natürlich gehaltenen Äußeren waren die drei Innenräume urspünglich kunstvoll ausgestaltet. Einer offenen, sich nach innen verjüngenden Eingangshalle folgte ein Kabinet, ein Saal und wieder ein Kabinet. Die drei Kabinette im Innern waren mit Spiegeln, farbigen Glasarbeiten und Muscheln ausgeschmückt. Der Boden war mit Marmor ausgelegt.
Mit dem Bau der Berliner Mauer liegt die Muschelgrotte im Grenzstreifen und verfällt. Seit 2004 findet durch die 'Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg' mit Unterstützung durch den 'Förderkreis Muschelgrotte im Neuen Garten Potsdam e. V.' eine Restaurierung statt. Eine Besichtigung war zum Zeitpunkt unseres Besuchs nur nach Voranmeldung möglich.


Replik der ehemaligen 'Borkenküche'
Der kleine Rundbau entstand 1796 im Auftrag Friedrich Wilhelms II. als Nebengebäude zur nahe gelegenen, 1794 fertig gestellten Muschelgrotte und diente zur Versorgung der u.a. als königlicher Speiseaal genutzten Grotte. Der Holzständerbau war mit Eichenrinde verkleidet, woraus sich der Name der Hütte ableitet. Aus dem mit Schilfrohr gedeckten Dach ragte als Esse der Küche ein aus Eisenblech getriebener Baumstamm, den eine Eule schmückte (Symbol der Göttin Minerva).
1958 wurde die Borkenküche wegen Baufälligkeit abgetragen. Seit dem Jahr 2010 finanziert ein Potsdamer Rotary-Club den Wiederaufbau der Borkenküche. Auf einen inneren Ausbau wird aufgrund nicht vorhandener Befunde verzichtet. Die 'Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg' beabsichtigt, die Borkenküche gemeinsam mit der in der Nähe gelegenen Eremitage wieder mit einer Verkleidung aus Borke zu versehen und somit das äußere Erscheinungsbild beider Gebäude dem Originalzustand anzupassen.


Eremitage im Neuen Garten
1796 entstand in der Nähe des Grottenbaus eine mit Baumrinde verkleidete Einsiedelei, die für spiritistische Sitzungen genutzt worden sein soll. Der kleine Pavillon aus Holz war fensterlos und erhielt Licht nur durch eine Öffnung im Dach. Im Gegensatz zur schmucklosen äußeren Gestalt präsentierte sich der symmetrisch angelegte elliptische Innenraum. Der Fußboden war in weißem italienischem und schwarzem Brabanter Marmor gefertigt. In der Raummitte befand sich eine Weltkarte mit Marmorintarsien. Die Wände verkleidete eine Vertäfelung mit astronomischen Motiven. An der Decke waren figürliche Darstellungen der Planeten angebracht. Möbliert war die Eremitage mit zwei in blauer Seide überzogenen Sofas und zwei in Schwarzpappel furnierten runden Tischen.
Das Gelände wurde 1961 zum Grenzgebiet erklärt und beim Bau der Mauer in diesem Bereich abgeholzt, massiv mit Herbiziden behandelt und Sand aufgeschüttet. Mitarbeiter der 'Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci' konnten die Vertäfelung bergen. Dank Spenden war 2007 ein Wiederaufbau ohne Innenverkleidung möglich.

Pyramide des Eiskellers mit Marmorpalais im Neuen Garten
In Nähe des Marmorpalais treffen wir auf ein Gebäude in Pyramidenform. Die zwischen 1791/2 errichtete Pyramide diente als Eiskeller und war damit ein königlicher Kühlschrank in ägyptisierter Verkleidung, in dem Lebensmittel im Sommer frischgehalten werden konnten. Zum Ende eines Winters wurde in den ca. 5 m in den Boden reichenden Keller Eis vom Heiligen See geschafft, von dem es heißt, dass es zu Herbstende immer noch nicht vollständig geschmolzen war.
In Fürstenhäusern konkurriert die aufkommende Ägyptenbegeisterung mit der China-Mode des 18. Jahrhunderts, auf die u.a. das Chinesische Haus im Park Sanssouci zurückzuführen ist. Auch in dieser Hinsicht setzt sich Friedrich Wilhelm II. von seinem Onkel ab und lässt im Neuen Garten die Pyramide, diverse Obelisken, die beiden Antinoos-Statuen an der Orangerie sowie eine Sphinx errichten. Möglicherweise verweisen diese Symbole auch auf Verbindungen zu Geheimgesellschaften, die sich auf mythische Quellen beziehen. Wilhelm III., der sich als Nachfolger von seinem peinlichen Vater distanziert, kehrt wieder zur China-Mode zurück.

Das Ideal englischer Gartenparks verändert sich im 19. Jahrhundert in Richtung weitläufiger Landschaften, die mit den Elementen Baum, Wiese und Wasser gestaltet werden. Den inzwischen zugewuchterten und unmodern gewordenen Neuen Garten überarbeitet Peter Joseph Lenné 1816 im Auftrag Wilhelms III. Viele Bereiche bleiben erhalten, aber dichte Gehölze werden entfernt. Der Neue Garten erhält große Sichten und Wiesenräume, gefälligere Wegeführung und Blickverbindungen zu den Nachbargärten (Sacrow, Pfaueninsel, Glienicke, Babelsberg, Potsdam, Pfingstberg). Die von Lenné geplante Grundstruktur entspricht trotz kleiner Veränderungen weitgehend der Gestaltung, wie sie zur Zeit des im 20. Jahrhundert erbauten Schlosses Cecilienhof bestand und wie auch wir sie noch bei unserem Besuch antreffen.


Schloss Cecilienhof
Schloss Cecilienhof im Neuen Garten
Der letzte Schlossbau der Hohenzollern entsteht von 1914 bis 1917. Kaiser Wilhelm II. ließ für seinen Sohn, Kronprinz Wilhelm, und dessen Gemahlin Cecilie aus dem Haus Mecklenburg-Schwerin im Neuen Garten am Jungerfernsee Schloss Cecilienhof im englischen Landhausstil errichten. Das Kronprinzenpaar bewohnt zunächst das Marmorpalais und bezieht ab August 1917 Schloss Cecilienhof. 









Schloss Cecilienhof im Neuen Garten
Zum Ende des 1. Weltkrieges muss Wilhelm II. unter dem Druck der Novemberrevolution von 1918 abdanken. Er geht in das Exil nach Holland, das Kronprinzenpaar folgt. Nachdem der Kronprinz per Abdankungserklärung auf seinen Thronanspruch verzichtete, kehren Wilhelm und Cecilie 1923 nach Deutschland zurück. 1926 erhalten sie das Schloss vom Staat als Privateigentum zurück und bewohnen Cecilienhof, bis ie 1945 am Ende des 2. Weltkriegs vertrieben und enteignet werden.

International bekannt wurde Cecilienhof als Tagungsort der Potsdamer Konferenz, die hier vom 17. Juli bis 2. August 1945 stattfand. Auf der Konferenz wurden nach dem Ende des 2. Weltkriegs in Europa die politische und geografische Neuordnung Deutschlands, seine Entmilitarisierung, die von Deutschland zu entrichtenden Reparationen und der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern beschlossen und festgeschrieben. Heute befinden sich in dem Schloß ein Hotel und ein Museum.















Die Bausubstanz von Schloss Cecilienhof, insbesondere die Gebäudehülle (Dächer und Fassaden), weist schwere Schäden auf, die zum Schutz des Gebäudes behoben werden müssen. Gemäß Masterplan ist der Abschluss der Sarnierungsarbeiten für das Jahr 2017 terminiert.

Spaziergang am Jungfernsee zur Glienicker Brücke
Hasengraben von der Schwanenbrücke
Ein als 'Hasengraben' bezeichneter kleiner Kanal zwischen dem Heiligen See und dem Junfernsee trennt den Neuen Garten von der Berliner Vorstadt. Angelegt wurde der Hasengraben 1737, um für die barocke Stadterweiterung Material von der Havel über den Heiligen See und den Behlertgraben zum damaligen Bassin in die Innenstadt zu transportieren. (Auf den heutigen Bassinplatz werden wir in dem Post über die Potsdamer Altstadt eingehen).
Über den Hasengraben führt die hölzerne 'Schwanenbrücke', ein Behelf für die bei Kriegsende gesprengte Brücke aus Kalksandstein, die vier Laternen ausleuchteten und vier gusseiserne Schwäne zierten. Der 'Verein Berlin Vorstadt e.V.' bemüht sich mittels Spenden um den Wiederaufbau der 1841 errichteten historischen Schwanenbrücke, die auf Entwürfe Albrecht Dietrich Schadows zurückgeht.
Link zur Webseite des Vereins Berliner Vorstadt e.V.
Die Schwanenbrücke ist Namensgeber der Schwanenallee am Ufer des Jungfernsees in der Berliner Vorstadt. Die als Denkmal geschützte Berliner Vorstadt ist eines der exklusivsten Wohngebiete Potsdams, das überwiegend von herrschaftlichen Villen und ausgedehnten Gärten geprägt ist. In den Villen haben u. a. berühmte Einwohner Potsdams ihr Domizil, wie Günther Jauch, Wolfgang Joop, Ulrich Meyer, Nadja Auermann. Namensschilder sind an Türen und Briefkästen nicht zu finden und wahrscheinlich auch nicht notwendig. Aufgrund unserer  Recherchen werden wir darauf aufmerksam, dass sich etliche der hier angesiedelten wohlhabenden Neu-Potsdamer privat und mit großzügen finanziellen Mitteln für den Wiederaufbau Potsdams engagieren. Darüber hinaus ist die hohe 'Promi-Dichte' des Vorortes für uns nicht weiter interessant.

Torbogen der Matrosenstation Kongsnæs am Jungfernsee
Auf der Schwanenallee treffen wir auf ein rekonstruiertes Holztor, das auf die ehemalige  Matrosenstation Kongsnæs aufmerksam macht, die zum königlichen Yachthafen gehörte. Kaiser Wilhelm II. ließ hier ab 1890 eine Siedlung nach dem Vorbild norwegischer Dörfer errichten. Heute sind nur noch drei Häuser erhalten. Die Matrosenstation Kongsnæs wurde beim Mauerbau zerstört. Nach der Wende setzt sich der 'Förderverein Kongsnæs e. V.' für den Wiederaufbau und die Sanierung der vorhandenen Gebäude ein. Anfang 2009 erwirbt der Berliner Schmuckhändler Michael Linckersdorff das Anwesen von der Stadt Potsdam mit dem Ziel der denkmalgerechten 'Sanierung der drei noch erhaltenen Gebäude, Wiederaufbau der Kongsnæs-Empfangshalle, Wiederherstellung der Hafenanlage und neben all dem ein weitgehender Erhalt der öffentlichen Zugänglichkeit des Geländes'. 
Link zur Webseite des Fördervereins Kongsnæs





Durch den Südostteil des Sees verläuft parallel zum Berliner Ufer die Landesgrenze zwischen Brandenburg und Berlin, die vor 1990 zugleich innerdeutsche Grenze zwischen der DDR und West-Berlin war. Der Jungernsee war vom Potsdamer Ufer aus nicht zugänglich. Gedenktafeln erinnern an Herbert Mende und Horst Plischke, zwei Todesopfer, die hier an der innerdeutschen Grenze unter äußerst dubiosen Umständen ihr Leben verloren haben.


Glienicker Brücke aus Richtung Schwanenallee
Den Übergang der Berliner Vorstadt Potsdams in den Berliner Stadtbezirk Wannsee bildet die Glienicker Brücke. Eine gewisse Berühmtheit erlangte die Glienicker Brücke während des 'Kalten Krieges' mit drei spektakulären Agentenaustauschen. Link zu einer privaten Webseite über die Glienicker Brücke
Auf Potsdamer Seite fällt aus Richtung Glienicker Brücke unser Blick auf die weiße 'Villa Schöningen' mit ihrem markanten Turm, in der ein Museum für zeitgenössische  Kunst auf sich aufmerksam macht. Unsere Recherchen ergeben, dass die Ruine der 'Villa Schöningen' 2007 von dem Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer AG, Dr. Mathias Döpfner, und dem Vorstandsvorsitzenden des Finanzinvestors RHJI, Leonhard Fischer, erworben wurde, um sie vor dem Abriss zu bewahren und nach sorgfältiger denkmalgerechter Wiederherstellung, einen öffentlichen Ort der Geschichte, der Kunst und der Freiheit zu schaffen. Heute fehlt uns die Zeit für einen Besuch. Bei unserem nächsten Aufenthalt werden wir uns diese Zeit nehmen. Linke zur Webseite der Villa Schöningen

Unsere von Theodor Fontane angeregten Exkursionen in bis dahin für uns nahezu unbekannte deutsche Geschichte empfinden wir als äußerst spannend. Wir sind überzeugt, dass wir dieses geschichtlich reiche Umfeld noch lange nicht ausgeschöpft haben und sind daher hoch motiviert, unserer Exkursionen demnächst fortzusetzen.


Exkurse

(1) Kleines Psychogramm Friedrich Wilhelms II. und kleines Soziogramm seiner Zeit

Der Neffe des kinderlosen Königs Friedrich II. wird frühzeitig zu dessen Nachfolger bestimmt. Friedrich II. kümmert sich persönlich um die Erziehung seines Nachfolgers, was vermutlich in bester Absicht geschieht, um seinen Nachfolger vor traumatischen Kindheitserfahrungen zu schützen, denen er selbst ausgesetzt war.

Als Kind und Jugendlicher erscheint Friedrich seinem Vater, dem Soldatenkönige Friedrich Wilhelm I., als 'ein effeminirter (verweichlichter) Kerl, der nicht reiten und schießen kann und sein Haar nicht verschneiden läßt, sondern sich frisieret wie ein Narr und wie ein Narr Grimassen ziehet; der in seinem Gehen, Sprechen, Lachen allemal grimassieret, und wenn er reitet, isset oder gehet, sich allezeit krumm und schief hält; der den Kopf zwischen den Ohren hangen läßt und schlottrig ist.' Der Vater versucht den Charakter seines mißratenen Kindes mit brutaler Prügelpädagogik zu brechen. Im Alter von 18 Jahren versucht Friedrich mit Hilfe seines Freundes Katte nach Frankreich zu fliehen. Der Fluchtversuch wird entdeckt und verraten. Friedrich wird von seinem Vater im Zorn beinahe erstochen. Während seiner Haft muß Friedrich von seinem Fenster aus die Hinrichtung seines Freundes Katte mit ansehen. Friedrich bleibt das gleiche Schicksal erspart, weil Berater mäßigend auf seinen Vater einwirken. 

Obwohl der Neffe wie der Onkel musisch veranlagt und kunstinteressiert ist, läuft, wie so oft, auch diese Erziehung gründlich schief. Friedrich II. hält herzlich wenig von seinem Neffen, der seinerseits den Alten verachtet. Die politischen und militärischen Fähigkeiten Friedrich Wilhelms II. reichen bei weitem nicht an die Fähigkeiten seines Onkels heran, wobei dieser es aber auch versäumt haben soll, seinen Neffen mit den Methoden der Politik sowie mit der laufenden politischen Geschäftsführung vertraut zu machen. Nach dem Tod Friedrichs II. am 17. August 1786 bemüht sich der inzwischen knapp Dreiundvierzigjährige neue König um eine möglichst umfassend Distanzierung von seinem Onkel. Möglicherweise ist als eine späte Genugtuung zu verstehen, wenn Friedrich Wilhelm II. den Willen seines Onkel mißachtet, der sich eine Bestattung auf Schloss Sanssouci wünschte, und statt dessen Friedrich II. in der Garnisonskirche und ausgerechnet neben dessen verhassten Vater beisetzen lässt, dem 'Soldatenkönig' Friedrich Wilhelm I., der für die traumatische Jugend des jungen Friedrich verantwortlich war.

Während Friedrich II. möglichst jedes ihm wichtig erscheinende Detail selbst in die Hand nimmt, sorgt sich Friedrich Wilhelm II. weniger um das politische Geschäft als um seine hedonistischen Bedürfnisse, in deren Kontext Mätressen- und Günstlingswirtschaft aufblühen. Die Bevölkerung vermag Friedrich II. schon lange nicht mehr für sich einzunehmen, weshalb es für Friedrich Wilhelm II. einfach ist, zunächst große Begeisterung in der Bevölkerung auszulösen mit der Verlegung der Residenz von Sanssouci nach Berlin und einigen geschickt gestreuten Benefits. Die Begeisterung ist jedoch nicht von Dauer. Im Volk gilt der Regent bald als triebhafter und verschwendungssüchtiger Lebemann, der das von seinem Vorgänger angesparte Vermögen verprasst, weshalb er im Volk abfällig als 'dicker Lüderjahn' bezeichnet wird. Seinen Ruf als 'Lüderjahn' festigt Friedrich Wilhelm II. während seiner elfjährigen Regentschaft dank zahlloser Liebschaften, mehrerer 'morganitischer Ehen' (Nebenehen, auch als 'Ehen zur linken Hand' bezeichnet, die im europäischen Hochadel häufig auftraten und meistens der Legalisierung von Mätressenverhältnissen dienten) sowie einer regen Bautätigkeit mit einer kostbaren Ausstattungen seiner Bauwerke.

Friedrich II. ist vom aufklärerischen Denken beeinflusst und praktiziert einen 'aufgeklärten Absolutismus'. Nachdem sein Vater abfällig von Freimaurern spricht, wird Friedrich 1738 als Kronprinz Mitglied einer Freimaurerloge. Er bringt es bis zum 'Meister'. Als König lehnt er zwar später die persönliche Mitgliedschaft in einer ständeübergreifenden Loge prinzipiell ab, fördert aber deren Ausbreitung in Preußen, trotz seiner ausgeprägt antisemitischen Einstellung, auf die sich später der Nationalsozialismus beziehen sollte. Am Tag nach seiner Krönung schafft Friedrich die Folter ab und verbietet noch im gleichen Monat die bis dahin übliche Zwangsrekrutierung von Soldaten. Der König versteht sich als oberster Repräsentant einer vernünftigen Staatsordnung, dessen Verpflichtung es ist, dem Allgemeinwohl zu dienen. Trotz aller inneren Widersprüchlichkeit, die bereits im Begriff eines 'aufgeklärten Absolutismus' angelegt ist, markieren die von Friedrich II. veranlassten Reformen den Beginn einer Abkehr von Willkür zugunsten von Rechtsstaatlichkeit. Auch wenn Friedrich II. die Legitimation herrschaftlicher Macht nicht mehr aus einem Gottesgnadentum ableitet, sondern auf sich auf einen Gesellschaftsvertrag bezieht, beleibt sein Verhältnis zur Macht absolutistisch. Rudolf Augsteins verdichtet diesen Konflikt in dem Begriff einea 'aufgeklärten Sadismus'. Vermutlich besaß der als eher einfältig geltende Nachfolger nicht die intellektuellen Fähigkeiten, um die Prinzipien seines Onkels zu verstehen und fortführen zu können. Jedenfalls setzt mit Friedrich Wilhelm II. eine reaktionäre Gegenbewegung ein. Immerhin setzt Friedrich Wilhelm II. unter dem Eindruck der Französischen Revolution das bereits von Friedrich II. beauftragte Reformwerk des 'Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten' 1794 als Gesetz in Kraft, nachdem er zuvor den Bedenken konservativer und reaktionärer Eliten mit Streichungen und Einschränkungen Rechnung trägt.

Bereits als Kronprinz wird Friedrich Wilhelm 1781 Mitglied der Geheimgesellschaft der Gold- und Rosenkreuzer, die sich einige Jahre vorher als reaktionäre Gegenbewegung zu den von Ideen der Aufklärung beeinflussten Freimaurern konstituiert hat und auf mystisch-alchemistische Riten der im 17. Jahrhundert aufkommenden Mysterienschule der Rosenkreuer bezieht. Gründer der Loge der Gold- und Rosenkreuzer ist Johann Cristoph von Woellner, Sohn eines Pastors, der selbst einige Jahre als Pastor agiert, aber in den Adelsstand aufstrebt. Woellner wird Mitglied der von Friedrich II. gestifteten Freimaurerloge 'Zu den Drei Weltkugeln', die der König jedoch nie selbst besuchte. Die Nähe zum König hilft Woellner nicht. Friedrich II. lehnt bis zu seinem Tod kategorisch ab, Woellner in den Adelstand zu erheben und nennt Woellner '… einen hinterlistigen und intriganten Pfaffen'. 1779 tritt Hans Rudolf von Bischoffwerder der Loge bei, der über illusionistische Fähigkeiten als Magier verfügt und dieses Fähigkeiten für Geisterbeschwörungen in spiritistischen Sitzungen zu nutzen weiß. Theodor Fontane macht uns im Zusammenhang mit dem Schloss Marquardt auf das Treiben des Hans Rudolf von Bischoffwerder aufmerksam, wobei der sonst durchaus kritische Geist Fontanes erstaunlicherweise eher schonend und nachsichtig mit Bischoffwerder umgeht.
Link zum Post über Marquardt
Woellner, Bischoffwerder und einige eingeweihte Begleiter, zu denen auch die große Liebe des Königs, Wilhelmine Enke, gezählt haben soll, benutzen Friedrich Wilhelms II. Neigung zum Okkultismus, um spiritistische Sitzungen zu inszenieren, in denen vermeintlich die Ahnen des Rat suchenden Königs Empfehlungen zum Nutzen der Ordensvertreter und ihrer Verbündeten aussprechen. Woellner und Bischoffwerder gewinnen zunehmenden Einfluss auf den König. Nachdem Friedrich II. am 17. August 1786 verstirbt und Friedrich Wilhelm II. die Regentschaft übernimmt, wird Woellner am 2. Oktober 1786 in den Adelsstand erhoben. Als Überlegener eines internen Machtkampfes steigt Woellner 1788 zum Staats- und Justizminister sowie Chef des geistlichen Departements auf. In diesem Amt setzt Woellner einige Zensurmaßmaßnahmen durch, die sich gegen die Aufklärung richten. Bischoffwerder wird nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms II. 1786 zunächst zum Oberstleutnant und Flügeladjutanten ernannt und bringt es in den nächsten Jahren nicht nur bis zum General und preußischen Außenminister, sondern auch zu einem Wohlstand, der ihm den Kauf des Gutes 'Marquardt' und dessen Ausbau zum Schloss samt Parkanlage erlaubt. Mit dem Tod Friedrich Wilhelms II. gehen 1797 die politischen Karrieren von Woellner und Bischoffwerder zu Ende. Die Loge der Gold- und Rosenkreuzer verschwindet.

Mit Friedrich Wilhelm II. kehrt in die Politik die Überzeugung vom Gottesgnadentum eines absolutistischen Herrschers zurück, auf das sich auch noch Friedrich Wilhelm IV. 1847 ausdrücklich beruft, als er die Forderung des 'Vereinigten Landtags' nach einer Verfassung ablehnt und damit die Krise auslöst, auf der Revolution von März 1848 antwortet. Gottesgnadentum schafft zwischen Regent und Volk eine Distanz, die keine Nähe zum Volk zulässt, bzw. den Regenten in eine Sphäre zwischen Dieseits und Jenseits entrückt. Die Größe dieser Distanz repräsentieren ihre räumlichen und architektonischen Symbole, wie etwa die von großen Gärten umgebenen Schlösser, deren Anlagen hohe Mauern nach außen abgrenzen. Erst Wilhelm III., ältester Sohn und Nachfolger Friedrich Wilhelms II., sucht die Nähe zum Volk, wie historische Spuren in Paretz belegen, und verleiht mit seiner Distanz abbauenden Haltung vermutlich seiner tiefen Verachtung zu seinem Vater einen symbolischen Ausdruck. In Paretz zieht sich keine hohe Mauer um das Schlossgelände. Die Grenze zwischen Schloßgelände und öffentlichem Gelände symbolisiert ein flacher 'Aha-' bzw. 'Haha-Graben', der eher verbindet, als dass er trennt.


(2) Exkurs über Geheimgesellschaften im 18. Jahrundert

Wenn Mitglieder des Geheimbundes der Gold- und Rosenkreuzer das Vertrauen von Friedrich Wilhelm II. für eigene Zwecke missbrauchen, sind die Methoden zwar perfide, aber letztlich handelt es sich auch nur um eine taktische Variante, mit denen Höflinge unter den Bedingungen absolutistisch-feudaler Herrschaft eine Begünstigung eigener Interessen betreiben. Andererseits rechtfertig der beschriebene Mißbrauch des Vertrauens keine pauschale Verurteilung der insbesondere ab dem 16. Jahrhundert stark aufkommenden geheimen und diskreten Gesellschaften als kriminelle Vereinigungen.  

Geheimbünde lassen sich weit in die Kultur zurückverfolgen, über die römische und griechische Antike hinaus bis zur ägyptischen Kultur. Vermutlich bilden sich solche Phänome unter besonderen politischen Bedingungen heraus. Wenn die Stabilität etablierter Machtmonopole von Krisen gefährdet wird, nimmt der Loyalitätsdruck zu, während die Toleranz gegenüber Abweichungen abnimmt. Dieses Klima begünstigt das Entstehen von  Geheimbünden. Bei sachlicher Betrachtung sind handelt es sich um soziale Netzwerke, die nonkonformistisches Denken von Außenseitern unter Verpflichtungen der Verschwiegenheit bündelt, weil die politischen Rahmebedingungen keine offene Kommunikation zulassen. Erst die Unterdrückung eines freien Informationsaustausch bereitet das Feld für die Entstehung von Geheimbünden. Die Beobachtung einer Zunahme solcher Bewegungen lenkt den Blick auf die Frage nach den Bedingungen, die diese Entwicklung begünstigen.  

Die Bewegung der Freimaurer setzt im frühen 18. Jahrhundert mit der Krise von Absolutismus und Religion ein, während der sich die Ideen der Aufklärung entwickeln. Das frühe Fraumauertum beruht auf egalitärem humanistischen Gedankengut und verfolgt eine ethische Läuterung menschlicher Entwicklung. Später sollte sich mit der 'strikten Observanz' im Freimauertum eine konservative Gegenbewegung herausbilden, die jedoch nach einigen Jahrzehnten im Kontext des Zusammenbruchs der Feudalordnung wieder verschwindet. Bedeutung erlangen innerhalb des Freimaurertums zwei weitere Ausprägungen, die sich als 'Gold- und Rosenkreuzer' und als 'Illuminaten' bezeichnen. Während 'Gold- und Rosenkreuzer' mit ihrer alchemistisch-mystisch-spiritualistischen Ausrichtung unter Berufung auf die Bewegung von Rosenkreuzer und Templer rückwärts gewandtes Ideengut propagieren, verfolgen die 'Illuminaten' radikal-aufklärerische Ideen mit politisch-anarchischen Zügen.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass sich die sozialen Netzwerke von Geheimgesellschaft im 18. Jahrhundert in zwei Richtungen entwickeln, von denen die eine der Tradition elitär-konservativen Gedankenguts anhang, während die andere Richtung egalitäre Ideen der Aufklärung verfolgte. In sozialen Netzwerk, die der Aufklärung nahestehen, findet eher eine geistige Avantgarde zusammen, die den Schutz nach außen nicht sichtbarer Organisationen benötigte, um die damals politisch wie religiös brisanten Ideen eines aufgeklärten Humanismus diskutieren und treiben zu können. Die von diesen Kreisen ausgelösten Veränderungen lassen sich wegen der hohen Diskretion der Mitwirkenden historisch kaum nachweisen. Es darf jedoch angenommen werden, dass diese Kreise am Untergang des feudalen politischen Absolutismus wie auch am Niedergang umfassender Absolutheitsansprüche von Religionen im Allgemeinen und der katholischen Kirche im Besonderen maßgeblichen Anteil haben.

Gleichzeitig sollte nicht übersehen werden, worauf bereits Fontane aufmerksam macht, dass Geheimbünde auch Foren sind, in denen es um Umverteilungen monopolisierter Macht geht. Allerdings zielen die ideen der Umverteilung in zwei unterschiedliche Richtungen:
  • Das aufkommende Bürgertum drängt in höhere Stände und verlangt einen höheren Machtanteil, ohne akutell über legitime Zugänge zur Macht zu verfügen. Der Prozess der Umformung des Feudalabsolutismus zu konstitutionellen Monarchien resultiert aus solchen Grundhaltungen und ist ein Versuch, zumindest Teile der alten Ordnung zu retten.
  • Die radikalere Variante erkennt auf Basis philosphischer Ideen der Aufklärung die Notwendigkeit neuer politischer Strukturen und schlägt in Anbetracht des restaurativen Widerstands den Weg zu einer demokratischen Ordnung über einen revolutionären Zwischenschritt ein. Mit der Etablierung von Demokratien wird zugleich der Erfolg dieses Modells bewiesen, was  die Konvergenz des Modells konstitutioneller Monarchie erzwingt. 
Unabhängig davon, wie Geheimbündelei motiviert sein mag, verbündet sich die fehlende Außenkontrolle mit dem strukturell angelegten Problem von Intransparenz. Vertrauen ist nur in den Binnenbeziehungen möglich. Der Austausch mit der Umgebung findet zwangsläufig auf einer Basis des Misstrauens statt. Geheimbünde werden darum gerne als 'politische Sekten' gesehen und in die Nähe religöser Häresie oder Ketzertums gerückt.
 Mit dem Untergang von politischem Absolutismus (= Machtmonopolen), der ja nicht nur als Feudalherrschaft zu verstehen ist, sondern jede Form Terror ausübender despotische Herrschaft einbezieht, entfällt die Motivation für eine Vernetzung in Form geheimer Gesellschaften. Modifiziert bestehen jedoch derartige Nertzwerke als 'diskrete Gesellschaften' weiter. Trotz aller Gerüchte, wie sie beispielsweise immer wieder über 'Scientology' verbreitet werden, sind 'diskrete Gesellschaften' als als soziale und politische Kraft in der Realität irrelevant. Sie verfolgen statt dessen spezielle Ziele, die den Mitgliedern ihrer Organisation exklusive Recht sichert oder sichern soll. Überleben können sie nur darum, wenn und weil sich ihre Bedeutung, vergleichbar mit religiösen Gemeinschaften, von der öffentlichen in die private Sphäre verlagert.

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