Donnerstag, 26. September 2019

Orakel von Delphi: Mittelpunkt antiker Kriegswelt und 'Hall of Fame' antiken Kriegsheldentums

Ältäre und Tholos im Heiligum Athena Pronaia, Delphi Modell Apollon-Heiligtum Delphi, 4. Jh. v. Chr. Apollon-Tempel Delphi


Kein antiker Mythos und keine antike griechische Tragödie kam ohne Weissagung eines Orakels aus. Kriege des antiken Griechenlands waren ohne Befragung eines Orakels lange kaum denkbar. Im antiken Griechenland gab es mehrere Orakel. Das bedeutendste und am längsten aktive war das Orakel von Delphi. Für Rundreisen auf Spuren der Antike sind Ausgrabungen des antiken Delphi am Südhang des Parnass über dem Golf von Korinth ein 'Must-do'.(1) Delphi ist 'crowdy' bzw. ein touristischer 'hotspot'. Gewöhnlich meiden wir solche Plätze. Die herausragende Bedeutung Delphis für den gesamten Mittelmeerraum der Antike wiegt mehr als alle Einwände und Bedenken. Dank unserer klugen Reiseleiterin sind besuchte Plätze vor Ort trotz pausenlos an- und abfahrender Touristenbusse weniger überlaufen als befürchtet, weil wir uns antizyklisch bewegen. Die meisten Besucher starten Besichtigungen an den Ausgrabungen. Wir beginnen mit dem Museumsbesuch und gehen anschließend durch das Ausgrabungsgelände. Dort ist es über Mittag relativ ruhig, aber heute sehr warm. Eindrücke des Besuchs beschäftigen uns nach Rückkehr von der Reise noch lange.

In der Choreographie der Rundreise ist Delphi der letzte Schauplatz besuchter antiker Kultur. Die Reihenfolge ist sinnvoll. In Delphi verdichtet sich mehr als tausendjährige Kulturgeschichte der antiken Welt auf kleiner Fläche. In Delphi laufen alle Fäden zusammen. Sie verknoten sich und bilden ein nur mühsam zu entwirrendes Knäuel. Delphis komplexe Geschichte macht den Schauplatz zur Herausforderung. Naiv betrachtet ist Delphis Landschaft interessanter als zu besichtigende historische Artefakte. Wissen über zuvor besuchte Schauplätze ist hilfreich, aber allein aus der Betrachtung von Ruinen, Trümmern und teilweise rekonstruierten Bauwerken lässt sich Geschichte nicht dechiffrieren. Delphis Geschichte ist komplex. Der sinnlich erfahrbare Teil der Welt erzählt nur das, was wir wissen. Sichtbare, hörbare, riechbare, schmeckbare Bilder von Strukturen, Farben, Geräuschen, Gerüchen, Geschmack entstehen erst im Kopf. Wissen (Erlerntes) bestimmt, wie vollständig oder unvollständig, korrekt oder fehlerhaft Wahrnehmungen sind.

Vorliegender Bericht maßt sich nicht an, dieser Komplexität gerecht zu werden. Er reproduziert öffentlich verfügbare Informationen und verbindet sie mit individuellen Eindrücken, Deutungen und Wertungen. Die Reihenfolge der Beschreibung im Post weicht von unserem Rundgang ab. Der Bericht beginnt mit einem Informationskapitel und beschreibt anschließend Besichtigungen auf dem Weg antiker Besucher. Insgesamt gliedert sich der Post in 4 Kapitel, von denen sich Themen der beiden ersten Kapitel auf weitere Unterkapitel verteilen:
  1. Bedeutung, Form und Inhalt des Orakels von Delphi
  2. Besichtigungen der Ausgrabungen von Delphi
  3. Besuch des archäologischen Museums Delphi
  4. Mittagsimbiss in Delphi vor der Weiterreise nach Kalambaka in Thessalien

1. Bedeutung, Form und Inhalt des Orakels von Delphi

1.1 Politische Bedeutung des Orakels von Delphi in der Antike
Wie bereits in Ägypten, in China und in den meisten schamanistischen Kulturen waren auch in der Antike Orakel gebräuchliche Verfahren der Voraussage von Zukunft durch Befragung von Göttern.(2) Vor wichtigen politischen Entscheidungen und militärischen Operationen wurde im Hinblick auf Erfolgsaussichten oder auch zur Rechtfertigung von Aktivitäten ein Orakel mit Hilfe von Ritualen oder Medien befragt. Das Orakel von Delphi löste das deutliche ältere Orakel von Dodona als das bedeutendste Orakel der Antike ab.(3) Vermeintliche Weissagungen Apollons, die das Orakel verkündete, waren keineswegs inhaltsleer. Befrager konnten aus Weissagungen prognostizierten Erfolg oder Misserfolg von Vorhaben deuten und ihre politischen Entscheidungen darauf abstimmen. Weissagungen gingen über Hinweise zur Entscheidungsfindung hinaus. Sie gaben Richtungen vor und übten über Jahrhunderte hohen Einfluss auf politische Entscheidungen aus. Ob das Orakel bewusst eigene Politik trieb, ob es käuflich war, ob Weissagungen bestellt werden konnten, ist nicht bekannt. Diese Fragen lassen sich nur spekulativ beantworten. Vermutlich verfolgte die Priesterschaft zumindest eigene wirtschaftliche Interessen. Der Priesterschaft war vermutlich bewusst, dass Weissagungen nicht Apollon verkündete, sondern sie selbst, und dass ihre Aussagen Sachverhalte vortäuschten, also Betrug waren. Die Frage, an welche Grenzen sich eine Priesterschaft gebunden fühlte, die ein solches Modell praktizierte, ist ohne Belege nicht seriös zu beantworten.

Die außerodentlich hohe Bedeutung des Orakels war verwoben mit dem Ruf der Unfehlbarkeit seiner Weissagungen. Die Priesterschaft war sich der Verantwortung und Risiken ihrer Aussagen bewusst. Sie unternahm große Anstrengungen, um diesen Bedingungen gerecht zu werden. Bevor sie Antworten auf Fragen verkündete, informierte sie sich in der umfangreichen Bibliothek des Heiligtums, die das gesammelte Wissen der antiken Welt umfasste. Die Bibliothek allein war jedoch nicht ausreichend. Um Informationen über die aktuelle politische, wirtschaftliche und soziale Lage im Hinblick auf Fragestellungen berücksichtigen zu können, betrieb das Heiligtum ein Informanten-Netz (eine Art antiker Presseagentur, vielleicht auch eine Art Spionagenetz), das die Priesterschaft mit aktuellen Informationen versorgte. Die Priesterschaft dürfte i.d.R. gegenüber Fragestellern über einen Wissensvorsprung verfügt haben. Auf solider Informationsbasis konnte die Priesterschaft nicht nur Empfehlungen aussprechen, sondern auch Einfluss auf Politik nehmen.

Aus heutiger Sicht betrieb die Priesterschaft keinen 'Spuk', sondern empirische Forschung in hoher Qualität und konnte auf dieser Basis Entwicklungen mit erstaunlicher Genauigkeit prognostizieren. So gesehen waren Delphis Priester keine Deuter göttlicher Absichten, sondern eine kulturelle Elite empirischer Forscher und Politikwissenschaftler, und das Orakel war eine Art von Marketing für die Finanzierung des Betriebs. Allerdings war es auch möglich, dass verfügbare Informationen für solide Empfehlungen nicht ausreichten oder Festlegungen auf eine Entscheidungsrichtung als zu risikoreich bewertet wurde. In solchen Fällen verkündete das Orakel seine berühmt-berüchtigten mehrdeutigen Weissagungen, bei denen es unabhängig vom Ausgang einer Entwicklung immer Recht behielt.(4)

Im Zeitraum vom 8. bis zum 6. Jh. v. Chr. fanden im Mittelmeerraum zahlreiche Gründungen griechischer Kolonien als Küstenstädte statt. Zu den vorbereitenden Maßnahmen solcher Unternehmungen gehörte oft die Befragung des Orakels in Delphi. In diesen Fällen wurde Weihegott Apollon zur Schutzgottheit von Neugründungen. Dadurch breitete sich der Apollonkult auf Kolonien aus, was dem Orakel neue Kunden sicherte. Strittig ist, ob Delphi dank Informationssammlungen über Kolonisierungsprojekte ein Koordinationszentrum von Kolonisationen war.

Das delphische Orakel stand unter dem Schutz einer Amphiktyonie (ein loser Städtebund zum Schutz und zur Verwaltung eines Heiligtums), in der zwölf griechische Stämme (Poleis) vertreten waren.(5) Delphis Priesterschaft bewirkte innerhalb der Amphiktyonie gemeinsame Konventionen (z.B. Kalendarien) und völkerrechtliche Grundsätze: Keine Stadt des Bundes durfte völlig zerstört und von der Wasserversorgung abgeschnitten sowie vom Zugang zum Heiligtum und vom gemeinschaftlichen Opfer ausgeschlossen werden. Wenn das Orakel die Autonomie seines Heiligtums politisch bedroht sah, konnte es zum Schutz des Heiligtums die Amphiktyonie zum Heiligen Krieg aufrufen. Im Zeitraum 600-339 v. Chr. fanden 4 Heilige Kriege statt (siehe 1.5).

Besonders hohe Bedeutung besaß das Orakel für Spartas Kultur und Politik. Über Jahrhunderte war Sparta die dominierende Hegemonialmacht der griechischen Antike. Ähnlich wie Moses im Alten Testament den Text der Gesetzestafeln aus göttlicher Offenbarung erhielt, empfing Spartas mythologischer Stifter Lykurg (Lykurgos) die Rhetra (Spartas Verfassung, die das politische Leben regelte) als Orakelspruch von Apollon persönlich aus Delphi. Apollon teilte Lykurg mit, dass Spartas Ruhm an die Beachtung der Rhetra geknüpft sei.(6,7)

Das Orakel von Delphi war nicht vor Fehlern gefeit. Aussagen zu Erfolgsaussichten in den Perserkriegen des 5. Jh. v. Chr. erwiesen sich als ein Debakel, mit dem das Orakel seinen Nimbus der Unfehlbarkeit verlor und als Konsequenz politischen Einfluss einbüßte. Aufgrund der Übermacht persischer Streitkräfte wollten die meisten griechischen Poleis einen Krieg gegen Persien vermeiden und waren zur Anerkennung der persischen Oberhoheit bereit. Sparta und Athen schlossen sich diesem Konsens nicht an. Sie wollten sich verteidigen, aber die beiden Hegemonialmächte waren mit innenpolitischen Konflikten befasst, die eine erfolgreiche Verteidigung unwahrscheinlich machten. Delphis Orakel sagte unter diesen Bedingungen Niederlagen gegen die persische Invasion voraus. 490 v. Chr. wurde die persische Invasion durch den Erfolg in der Schlacht von Marathon vorerst beendet. 

Die persische Invasion war jedoch noch nicht abgewendet. 480 v. Chr. führte Xerxes eine persische Großinvasion an. In scheinbar aussichtloser Lage fragte der Athener Feldherr Themistokles das Orakel von Delphi um Rat. Delphi war jetzt vorsichtiger und antwortete mit einem seiner berühmten vieldeutigen Orakel: „Sucht Schutz hinter hölzernen Mauern!“ Die Athener waren ratlos. Sie hatten keine hözernen Mauern und konnten auf die Schnelle auch keine bauen. Themistokles interpretierte die Empfehlung so, dass nur Athener Trieren Schutz gegen die persische Invasion bieten würden. Themistokles konnte den Rat davon überzeugen, mit Hilfe der inzwischen ausgebauten Athener Flotte die Entscheidung in einer Seeschlacht zu suchen. Athener, die nicht mitkämpfen konnten, wurden auf die Insel Salamis evakuiert. Von Norden heranziehende Landverbände der Perser nahmen Athen kampflos ein und zerstörten die Athener Akropolis gründlich.(8) Siege griechischer Verbände in der Seeschlacht von Salamis (480 v. Chr.) und in der Landschlacht von Plataiai (479 v. Chr.) beendeten schließlich die persische Invasion endgültig.

Für jede bedeutende politische Entscheidung konsultierte Sparta das Orakel in Delphi. Zwei spartanische Botschafter pflegten Kontakte zwischen Sparta und Delphi. Aufgrund dieser engen Verbindung war Sparta bedacht, fremde Einflüsse auf Delphi zu verhindern und eigenen Einfluss zu verstärken. Athen, das durch Erfolge im Perserkrieg zur zweiten Hegemonialmacht und zum Konkurrenten Spartas aufgestiegen war, verfolgte ähnliche Strategien. Konkurrierende politische Einflüsse auf das Orakel von Delphi und auf die Promanteia (das Recht der Erstbefragung des Orakels) bildeten Streitpunkte im Vorfeld des Peloponnesischen Kriegs zwischen Sparta und Athen.


1.2 Gründungsmythos des Orakels von Delphi
Omphalos (Nabel der Welt), mit Wollgirlanden überzogener Marmor-Kultstein (Helladische oder römische Replik) Der Gründungsmythos des Orakels von Delphi setzt sich aus älteren und jüngeren Mythen zusammen.

Älterer Gründungsmythos(9)
Zeus wollte den Mittelpunkt der Welt bestimmen. Zu diesem Zweck ließ er vom äußersten Punkt im Osten und im Westen einen Adler aufsteigen. Die Adler flogen sich entgegen und trafen sich am Mittelpunkt der Welt. Der vermeintlich als Meteor vom Himmel gefallene Omphalos markierte diesen Ort als 'Nabel der Welt'.(10,11) Ein anderer Mythos beschreibt den Omphalos als jenen Stein, den Rhea ihrem Göttergatten Kronus untergeschoben hat, als dieser Zeus verschlingen wollte. Vermutlich war der Omphalos urspünglich ein Opferstein der Erdmutter Gaia.

Gaia, Großmutter des Zeus aus der 1. Göttergeneration, ist in der Mythologie Ur-Mutter chthonischer Gottheiten und Mutter zahlreicher Ungeheuer.(12,13) Eines davon ist Python, eine geflügelte Schlange oder ein Drache (in älteren Überlieferung weiblich, später männlich), ein Symbol chthonischer Kultur. Python bewachte den Omphalos und hatte seherische Fähigkeiten. Urspünglich sprach Python an diesem Ort namens Pytho von Gaia empfangene Orakel.

Jüngerer Gründungsmythos(9)
Hera, eifersüchtige Ehefrau des Zeus, wurde von Gaia gesteckt, dass Leto, Tochter der Titanen Koios und Phoibe (eine der zahlreichen Geliebten des Zeus), die von Zeus gezeugten Zwillinge Artemis und Apollon gebären würde und diese Kinder größer und stärker würden als alle ihre eigenen Kinder. Hera wollte die Geburt verhindern und beauftragte Python, Leto zu töten. Zeus verhinderte den Mord, worauf Hera verfügte, dass Leto ihre Kinder nicht auf einem Platz der Erde gebären dürfe, der zuvor von der Sonne beschienen war. Poseidon wußte Rat. Er ließ aus dem Meer eine schwimmende Insel auftauchen, die nicht unter Heras Fluch fiel. Auf Zeus' Befehl brachte Hermes Leto auf die in mythischer Zeit schwimmende Insel Delos, auf der Leto ihre Kinder gebar.

Apollon wuchs in 4 Tagen auf und wollte sich für den Anschlag auf seine Mutter rächen. Er jagte Python, fand ihn in Pytho (später Delphi) und tötete ihn. Apollon soll Python unter dem Omphalos begraben und mit dessen Haut einen Dreifuß überzogen haben. Das Blut Pythons übertrug dessen seherische Fähigkeiten auf den Ort. So wurde Delphi der Kontrolle Gaias entrissen und unter Apollons Schutz gestellt. Anlässlich dieses Ereignisses stiftete Apollon die Pythischen Spiele, nach der Olympiade in Olympia die zweitwichtigsten Panhellenischen Spiele.(14,15)


1.3 Kulturelle Bedeutung des Orakels von Delphi

Frühzeitlicher Paradigmenwechel: Übergang vom Gaia- zum Apollonkult
Religiöse Vorstellungen einer Ur-Mutter am Beginn einer Genealogie (wie im prähistorischen Gaiakult) verweisen auf Gesellschaftstypen, in denen soziale und rechtliche Beziehungen über Abstammungen der mütterlichen Linie organisiert sind und in denen die rechtliche Stellung von Frauen gegenüber Männern gleichgestellt oder überlegen ist.(16) Derartige matrilineare und uxorilokale Abstammungs- und Wohnsitzregeln waren prähistorisch in kleinasiatischen und zentralasiatischen Kulturen sowie in Kulturen am Schwarzen Meer verbreitet und übten vermutlich Einfluss auf die prähistorische Kultur Griechenlands aus.

Als Muttergottheit bringt Gaia alles Leben hervor. Gaia ist aber auch Todesgöttin, die Menschen nach deren Tod in ihren Schoß aufnimmt. Darüber hinaus galt Gaia auch als Rache- und als Orakelgöttin. Kultische Verehrungen Gaias fanden vor allem an Orakelstätten statt. In Delphi galt Gaia als erste Inhaberin des Orakels, das später Apollon übernahm.

Narrative der Genealogie antiker Götterwelt enthalten in ihrem Kern Vorstellungen eines kulturellen Wandels von weiblich geprägter Dominanz chthonischer Kultur (erdverbunden, weiblich, stofflich) zu dominierender männlicher Kultur, die vermeintlich erst Ordnung, Geist, Weisheit, Recht und Harmonie durchsetzt. Mit dem Sturz der Titanen haben Olympische Götter in der Titanomachie diesen Wandel vollzogen und besiegten anschließend von Gaia beauftragte Giganten in der Gigantomachie.(17) Antike Darstellungen der Amazonomachie (Amazonenkampf) betrachten verwandte Narrative. Im Übergang vom Gaiakult zum Apollonkult wiederholt sich dieses Narrativ. Dass in den Dunklen Jahrhunderten parallel zum Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit ein derartiger kultureller Wandel stattgefunden hat, ist als Annahme historisch nicht zu belegen. Einen solchen Wandel suggerierende mythologische Narrative dienen wahrscheinlich der Legitimierung dominanter männlicher Machtstruktur.

Lebensmittelpunkt des privaten Lebens der griechischen Antike war der Oikos. Dieser umfasste die Familie, Bedienstete, Sklaven, Landbesitz, Gebäude und bewegliches Inventar. Über den Oikos herrschte das rechtliche Gewalt ausübende männliche Familienoberhaupt (Kyrios). Der Kyrios hatte das Bestimmungsrecht über alle Personen und Sachgüter des Oikos. Frauen waren nicht rechtsfähig. Selbst in der Blütezeit attischer Demokratie waren Frauen und Sklaven von jeder politischen Mitwirkung ausgeschlossen.(18) Das fragwürdige Rollenmuster bedurfte der Legitimierung und Rechtfertigung. Narrative der Ablösung chthonischer Strukturen und Religionsvorstellungen bieten diese Legitimierung. Sie rechtfertigen patriarchalische Strukturen und verhelfen ihnen zur Durchsetzung als kulturellen Standard. Als olympische Götter ihre Vorfahren ablösten, übernahmen Erz-Väter die Plätze von Ur-Müttern. Westliche Kulturen und im Kollektivbewusstsein dieser Kulturen verankerte Vorstellungen über Rechte und Pflichten von Männern und Frauen sind von diesen Narrativen geprägt und längst noch nicht überwunden. Andernfalls gäbe es keinen Kampf um Frauenrechte als Menschenrecht.

Apollons Mordsühne, die aufgrund seines rächenden Mordes unvermeidbar war, verweist ebenfalls auf einen Prozess der Ablösung vom Chthonismus. Sitten alt-indogermanischer Kultur fordern gemäß chthonischer Religionsvorstellungen Blutrache als Vergeltung von Mord. Apollon ermorderte Gaias Kind Python, ohne dass vergeltende Blutrache nachfolgte. Stattdessen begab sich Apollon zur Sühne nach Tarrha auf Kreta und unterwarf sich dort einer Reinigungszeremonie. Dieses Muster wiederholte sich bei einem weiteren Skandal in der Götterwelt. Halbgott Asklepios hatte die Heilkunst von seinem Vater Apollon übernommen. Mit der Wiedererweckung eines Toten überschritt Asklepios seine Befugnisse bzw. Grenzen zwischen Menschen und Göttern, worauf Zeus (Apollons Vater) Asklepius durch einen Blitz tötete. Apollon konnte keine vergeltende Blutrache an Zeus üben, aber er tötete alle Kyklopen, die Schmiede der Blitze. Zeus konnte Apollon nicht tödlich strafen, da Götter schließlich unsterblich sind. Zeus stoppte die in Gang gesetzte Kette der Blutrache und erlegte Apollon eine Mordsühne auf. Er verbannte Apollon für neun Jahre aus dem Olymp und ließ ihn in dieser Zeit die Rinder des Admetos hüten. Apollon wendete dieses Muster ebenfalls an. Für Morde, die Orestes, Herakles u.a. begangen haben, ordnete er nach deren Morden Sühneopfer zur Entsühnung an. Offenbar entwickelte sich ein neues Rechtsverständnis, das traditionelle Sitten der Bluttrache durch Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit ersetzte. 


Apollon und Apollonkult
Apollon zugeschriebene Rollen und Eigenschaften repäsentieren dessen Vielgestaltigkeit und Mehrgesichtigkeit. Diese Widersprüchlichkeit kann individuelle Ausprägungen zeigen, aber prinzipiell handelt es sich um substanzielle Wesenszüge, die in allen Individuen angelegt sind, unabhängig davon, ob sie göttlicher oder menschlicher Natur sind. Alle Wesen vereinen auf sich gute und schlechte Eigenschaften.

Als mythischer Stifter des Orakels von Delphi und der Pythischen Spiele tritt Apollon vor allem als Gott der Künste, der Weissagung und des Lichts in Erscheinung. Damit erschöpfen sich jedoch nicht die ihm zugeschriebenen Rollen und Eigenschaften, die sich innerhalb spezifischer Handlungsfelder auf sowohl wohltätige wie auch auf verderbliche Macht verteilen:
  • Beschützer von Kunst und Musik
  • Gott der Weissagung (Verkünder)
  • Gott des Lichts
  • Gott der Reinheit und der Mäßigung
  • Sowohl Gott der Heilkunst als auch Krankheit verursachender Gott
  • Sowohl Beschützer und Retter vor Gefahren (Abwehrer von Unheil) als auch tötender und vernichtender Gott
  • Sowohl Rächer (strafender Gott) als auch ein durch Sühne von Schuld reinigender Gott

Dionysos und Dionysoskult
Dionysos symbolisiert chthonische Wesenzüge, die Apollon keineswegs fremd sind, weil sie als Wesenzüge aller Gottheiten und Menschen verstanden wurden. Dionysos, Apollons Halbbruder, symbolisiert Lebensfreude dank eines von keiner Vernuft kontrolliertem triebhaften Verhaltens. Dionysos gilt als Gott der Fruchtbarkeit, der Freude, des Weines, der Trauben, des Wahnsinns und der Ekstase. Als Löser entfesselt Dionysos Menschen, befreit sie von Sorgen und lässt Mauern einstürzen. Beim männlichen Zechgelage nach dem Essen wähnten sich Teilnehmer des Symposions Dionysos nahe. Sie verwandelten sich mitunter vorübergehend zum Satyr und brachen im berauschten Zustand zu nächtlichen Umzügen mit Musikbegleitung auf, dem Komos (Rauschtanz).(19,20)

Im Zentrum des antiken griechischen Dionysoskults stehen die Dionysien, Festspiele zu Ehren Dionysos. Aus Umzügen entwickeln sich Festspiele, in deren Kontext die griechische Tragödie entstand. Der Wettbewerb antiker Dichter im Rahmen der Pythischen Spiele von Delphi ist mit dem Dionysoskult assoziiert. Musikalische Darbietungen der Pythischen Spiele sind mit Apollon assoziiert. Pythische Spiele verbinden Apollonkult mit Dionysoskult. In der Antigone des Sophokles ist Delphi nach Theben und Athen als wichtigste Stätte des Dionysoskults genannt. Gemäß Mythos gab es im Tempel von Delphi ein Grab des Dionysos. Das wichtigste Fest des Dionysoskults war nach den Athener Dionysien das Fest der Trieteris in Delphi, zu dem sich Thyiaden Athens und Delphis zu einer orgiastischen nächtlichen Feier in Bergwäldern des Parnass trafen. Während Priester im Tempel Opferriten zelebrierten, huldigten Teilnehmer des Festes Dionysos, indem sie Omophagie praktizierten.

Apollon herrschte in Delphi über 9 Monate der Sommerzeit. In den Wintermonaten legte das Orakel eine dreimonatige Pause ein. Gemäß religösem Glauben hielt sich Apollon in dieser Zeit bei den Hyperboreern auf. Während Apollons Abwesenheit war Dionysos Herrscher des Orakels. Der Haupttempel des Heiligtums von Delphi gehörte demnach beiden Göttern.(21) 


1.4 Kulthandlungen des Orakels von Delphi

Periodizität und Klienten des Orakels von Delphi
Über das in Delphi vermutete Gaia-Orakel prähistorischer Zeit ist nichts bekannt. In geschichtlicher Zeit gab das Orakel von Delphi zunächst nur einmal im Jahr am Geburtstag des Apollon im Apollon-Tempel Auskunft. Als Fragende waren nur Könige zugelassen. Die Reihenfolge der Fragenden bestimmte das Los. Mit Zunahme von Bedeutung und Ansehen des Orakels nahm auch der Bedarf an Auskünften zu, sodass das Orakel während der Sommermonate jeweils am siebten Tag eines Monats Auskunft gab und auch Vertreter von Poleis als Fragende zugelassen waren. Vermutlich von wirtschaftlichen Erwägungen motiviert, wurde das Recht auf Befragung später auf Privatpersonen ausgedehnt. Orakelbefrager mussten nämlich eine Abgabe bezahlen, den Pelanos.


Riten des Orakels von Delphi
  • Vor dem Betreten des Heiligtums mussten sich Priester des Orakels und Pythia (das Weissagungs-Medium) sowie Besucher einer rituellen Reinigung in der Kastalischen Quelle unterziehen.
  • Wer das Orakel befragen wollte, musste vor dem Apollon-Tempel eine Abgabe entrichten (Pelanos) und Apollon ein Opfer bringen.
  • Die Reihenfolge der Orakelbefragung bestimmte das Los. Auf die vom Los bestimmte Reihenfolge konnten Orakelbefrager Einfluss nehmen. Bei großzügigen Abgaben gewährte das Orakel ab dem 5. Jh. v. Chr. die Promanteia, ein Vorrecht auf Erstbefragung des Orakels. Da die Erstbefragung ein Exklusivrecht war, barg sie Konfliktstoff.
  • Um aktiv zu werden, benötigte das Orakel ein Omen. Ein Priester besprengte eine Ziege mit eiskaltem Wetter. Wenn die Ziege nicht reagierte, fiel das Orakel an diesem Tag bzw. in diesem Monat aus, weil sich die Aktivität auf einen Tag im Monat beschränkte. Wenn die Ziege sich schüttelte, wurde sie geopfert und auf dem Altar verbrannt. Anschließend konnte das Orakel beginnen.
  • In Begleitung von Priestern wurde Pythia (ein jungfäuliches Mädchen aus dem Dorf, später teilten sich wegen der großen Nachfrage mehrere Mädchen die Rolle) im Apollon-Tempel in das unter dem Bodenniveau des Tempels liegende Allerheiligste des Tempels geführt, das nur von Priestern und von Pythia als einziger Frau betreten werden durfte. Pythia setzte sich auf einen Dreifuß. Ratsuchende nahmen hinter einem Vorhang auf einer Bank Platz und warteten auf die Prophezeiung. Pythias Dreifuß war auf einer Steinplatte über einer Erdspalte platziert, aus der berauschende Dämpfe drangen, die Pythia in Trance oder Ekstase versetzten. Möglicherweise waren es auch halluzinogene Pflanzen oder eine Kombination mehrerer Rauschmittel, die Pythia in diesen Zustand versetzten. Im Rauschzustand war Pythia von Apollon besessen, der durch sie sprach.(22) Ob Pythia unverständlich murmelte, ekstatische Laute von sich gab, schrie oder verständlich sprach, ist unsicher. Vermutlich waren ihre Äußerungen eher unverständlich und wurden von Priestern in Orakelsprüche übersetzt.
  • Wenn das Orakel den Erfolg einer Unternehmung geweissagt hatte erwartete es Dankgeschenke. Zu seinen Glanzzeiten quoll das Heiligtum geradezu über von kostbaren Weihegeschenken in Form von Schatzhäusern, Antentempeln, Säulenhallen, Weihewaffen, Statuen aus edlen Materialen und von den besten Künstlern ihrer Zeit angefertigt. Weihegeschenke dienten selbstverständlich auch der Selbstdarstellung ihrer Stifter.
Als Fragesteller des beschriebenen 'großen Orakels' waren in der Frühzeit der Einrichtung nur Könige, später auch Poleis und potente Einzelpersonen akzeptiert. Beratungsbedarf hatten aber auch weniger zahlungskräftige Menschen. Solche Personen konnten gegen eine geringe Gebühr das 'Bohnen-Orakel' befragen. Zugelassen waren nur solche Fragen, die mit Ja oder Nein beantwortet werden konnten. Pythia (vielleicht auch ein Priester) entnahm aus einem mit weißen und schwarzen Bohnen gefüllten Behälter (vermutlich eine auf dem Dreifuß platzierte Schale) eine der Bohnen. Eine weiße Bohne bedeutete Ja, eine schwarze Bohne Nein.(23)


1.5 Historische Zeitleiste des Orakels von Delphi
Figurinen aus mykenischer Zeit, 1600-1100 v. Chr.
Figurinen der mykenischen Zeit
Bronze-Votivgaben, 8.-7. Jh. v. Chr.
Bronze-Votivgaben, 8./7. Jh. v. Chr.
Älteste Siedlungsspuren reichen zurück bis bis ca. 2000 v. Chr. in neolithischer Zeit.
Grabungsfunde von Weihegeschenken lassen annehmen, dass das Orakel schon in mykenischer Zeit an diesem Ort praktiziert wurde. Details sind aus dieser Zeit nicht bekannt. Homer spricht bereits von einem Apollonkult in Delphi. Dass daneben in Delphi auch ein Dionysoskult praktiziert wurde, verweist auf Delphis Bedeutung als Zentrum antiker Pubertäts- und Stammesinitiation in der Frühzeit. 

Für das 8. Jh. v. Chr. gilt die Existenz eines Heiligtums aufgrund einer größeren Menge gefundener Votivfiguren aus Bronze als gesichert. Im 8. v. Chr. gewann das Heiligtum an Bedeutung und erreichte im 6. Jh. v. Chr. den Beginn seiner Blütezeit.
Schlangensäule (Replik)
Schlangensäule (Replk)
  • Wenn 3 mythische Vorläufer nicht mitgezählt werden, wurde in geschichtlicher Zeit Mitte des 7. Jhs. der erste Apollon-Tempel errichtet, den ein Brand 548 v. Chr. zerstörte.
  • 1. Heiliger Krieg, 600-590 (oder 592) v. Chr.:
    Pilger erreichten Delphi (das zu dieser Zeit noch Pytho hieß) via Golf von Korinth über die phokische Hafenstadt Krissa (auch Krisa), die die Region beherrschte und gemäß Überlieferung Wegezoll von Pilgern verlangte. Delphis Priesterschaft war auf Autonomie des Heiligtums bedacht und rief die Amphiktyonie zur Hilfe wegen unrechtmäßiger Aneignung des Heiligtums und Erhebung von Wegezoll. Ab 600 v. Chr. belagerte eine Koalition von Athenern, Thessalern und Sikyonern die Stadt Krissa, die 590 v. Chr. (oder 592) erobert und zerstört wurde (vermutlich einschließlich ihrer Bewohner). Delphi gelangte unter die Kontrolle der Amphiktyonen. 
  • Anlässlich des Sieges im 1. Heiligen Krieg wurden die Pythischen Spiele aufgewertet und fanden nicht mehr alle 8 Jahre, sondern ab 582 v. Chr. alle 4 Jahre statt. Zu Beginn gab es bei den Pythischen Spielen als Wettbewerb nur den Gesang zur Kithara. Später kamen Gesang zur Flöte, Soloflötenspiel, Schauspiel, Tanz und Malwettbewerbe, noch später gymnische und hippische Agone hinzu. Den Schwerpunkt der Spiele bildeten jedoch musische Agone. Die Spiele dauerten 6-8 Tage. Sie zogen Teilnehmer und Publikum aus ganz Griechenland an und sicherten Delphi beträchtliche Einnahmen.
  • Ab dem 6. Jh. v. Chr. demonstrierten griechische Poleis ihre politische Potenz durch den Bau reich ausgestatteter, repräsentativer Schatzhäuser entlang der Heiligen Straße des Heiligtums. Ausgrabungen weisen insgesamt 32 Schatzhausbauten nach. In dieser Zeit ersetzte nach und nach der Name Delphi den Namen Pytho.
  • Nach einem Brand im Jahr 548/47 v. Chr. wurde der geschichtlich 2. Apollon-Tempel errichtet.
  • Perserkriege (500/499-479 v. Chr.): 
    • 490 v. Chr. konnte die persische Invasion durch den Erfolg in der Schlacht von Marathon gestoppt werden.(24)
    • 480 v. Chr. drangen persische Verbände unter Xerxes nach dem Sieg in der Schlacht bei den Thermopylen in das griechische Festland vor. Delphi fiel in persische Hände. Um griechischen Widerstand nicht zu verstärken, verzichtete Xerxes auf Plünderung und Zerstörung des Heiligtums. Antike griechische Narrative führten diesen Sachverhalt auf von Göttern geschickte Felsstürze und Regengüsse zurück. Athen, dessen Bevölkerung evakuiert war, zerstörten Perser ebenso wie umliegende Heiligtümer. Theben schlug sich auf die Seite der Perser.(25) 
    • Siege griechischer Verbände in der Seeschlacht von Salamis (480 v. Chr.) und in der Landschlacht von Plataiai (479 v. Chr.) beendeten die persische Invasion endgültig.(26) Nach erfolgreicher Abwendung der Bedrohung stifteten die 31 beteiligten siegreichen Poleis in Delphi kostbare Weihegeschenke, u.a. eine Apollon gewidmete Schlangensäule.(27) 
  • Als Folge der Perserkriege schloss Athen zu Sparta als zuvor unangefochtene Hegemonialmacht auf. Aus der Konkurrenzsituation zwischen Sparta und Athen entwickelten sich Konflikte, die in den Peloponnesischen Krieg mündeten, aus dem im Ergebnis der Niedergang beider Mächte resultierte.
  • Erster Peloponnesischer Krieg zwischen Athen und Sparta, 457-445 v. Chr.:
    • 457 v. Chr. versuchte Phokis, seinen Machtbereich nach Böotien (Theben) auszudehnen. Theben rief Sparta um Hlfe, das in Phokis einfiel, um das Orakel von Delphi zu schützen. Die Allianz zwischen Sparta und Theben veranlasste Athen zum militärischen Eingreifen.
    • Athen blockierte den Rückzug der Spartaner über den Golf von Korinth, worauf die Spartaner nach Böotien zogen. Dort unterlagen die Athener den Spartanern in der Schlacht von Tanagra. Nach Abzug der Spartaner besiegte Athen das böotische Heer in der Schlacht von Oinophyta. Athen übernahme die Kontrolle über Böotien und Phokis.
    • 448 v. Chr. nahm Sparta mit einer militärischen Expedition Delphi ein. Nach Abzug der Spartaner konnten Phoker mit militärischer Hilfe Athens erneut Delphi besetzen. Delphi rief Sparta zur Hilfe und löste den 2. Heiligen Krieg aus.
  • 2. Heiliger Krieg, 448 v. Chr.:
    Sparta vertrieb Phokis aus Delphi, das wieder unabhängig wurde.
  • Der entstandene Böotische Bund forderte Athen heraus und siegte 447 v. Chr. in der Schlacht von Koroneia gegen Athen. Athens Niederlage veranlasste die Phoker zu einem Wechsel in die Allianz Spartas. 
  • Zweiter Peloponnesischer Krieg (431-404 v. Chr.):
    Dieser in zahlreichen Schlachten mit einer bisher beispiellosen Brutalität zwischen Sparta und Athen und deren Bündnissystemen geführte Krieg gilt als antiker Weltkrieg, an dem jede größere Macht zwischen Sizilien und Kleinasien beteiligt war.
    • Dank Persiens Unterstützung ging Sparta siegreich aus dem Peloponnesischen Krieg hervor, was das Orakel geweissagt hatte. Ein monumentales Weihegeschenk (Lysanderanathem oder Denkmal der Neuarchen) im Eingangsbereich des Heiligtums zeugte von Spartas Dankbarkeit, Größe und Macht.(28)
    • Als Folge des Krieges war das labile Gleichgewicht der Poliswelt endgültig zerstört. Die Poliswelt fand aus dem permanenten Kriegszustand keinen Ausweg. Das antike goldene Zeitalter war beendet. 
    • Sparta ging aus dem jahrzehntelangen Krieg stark geschwächt hervor und konnte seine Hegemonialmacht nur noch wenige Jahre erhalten. 
  • 373/72 v. Chr. zerstörten ein Erdbeben und Felsstürze den Apollontempel des Heiligtums. Der begonnene Neubau verzögerte sich, weil Phoker bereitgestellte Gelder geraubt hatten.  
  • 371 v. Chr. siegte der Böotische Bund unter der Führung Thebens in der Schlacht bei Leuktra gegen Sparta und dessen Verbündete und beendete damit Spartas Vorherrschaft endgültig.
  • 3. Heiliger Krieg, 365-346 v. Chr.:
    • Spartas und Athens Machtverluste infolge des Peloponnesischen Kriegs nutzten Theben und Phokis zum Ausbau eigener Macht. Theben warf Phokis die widerrechtliche landwirtschaftliche Nutzung eines Teils des sakralen Gebietes vor. Die Amphiktyonen legten eine hohe Geldstrafe gegen Phokis fest. Phokis erklärte, eine Summe in dieser Höhe nicht zahlen zu können und besetzte Delphi, um sich der Schätze des Heiligtums zu bemächtigen.
    • Die Amphiktyonen erklärten mit Hilfe Spartas 356 v. Chr. den 3. Heiligen Krieg gegen Phokis. Athen stand auf der Seite Phokis. Mit dem delphischen Tempelschatz bezahlte Phokis angeworbene Söldnertruppen. Über 10 Jahre wurden größere und kleinere Schlachten mit wechselnden Erfolgen geschlagen.
    • Theben rief den makedonischen König  Philipp II. zur Hilfe, der zunächst keine entscheidenden Erfolge erzielen konnte. 346 v. Chr. waren Phokis finanzielle Ressourcen aufgebraucht. Phokis konnte den Truppen Philipps II. nichts mehr entgegensetzen und unterstellte sich der makedonischen Herrschaft.
    Das Ende des dritten Heiligen Krieges und die Friedensbedingungen besiegelte der Philokratesfrieden, in dem die Amphiktyonen harte Strafen diktierten:
    • Bis auf Abai, das sich an Plünderungen des Heiligtums nicht beteiligt hatte, wurden alle phokischen Städte zerstört. Bewohner durften nur noch in kleinen Dörfern siedeln und mussten ihre Waffen vernichten lassen. 
    • Phokis verlor seinen Platz in der Amphiktyonischen Liga zugunsten Makedonien. (279 v. Chr. wurde Phokis wieder aufgenommen und Makedonien ausgeschlossen.)
    • Direkt am Tempelraub beteiligte Phoker galten als verflucht und vogelfrei. 
    • Die verordnete Geldstrafe sah vor, an Delphi so lange Steuern zu zahlen, bis die aus dessen Tempel geraubten 10.000 Talente wieder ersetzt seien. Die aufzubringende Summe war in sechsmonatigen Raten zu 30 Talenten zu begleichen. 
    • Athen erkannte alle Expansionserfolge von Philipp II. an und verlor eigene Ansprüche auf die Polis Amphipolis.
    • Den Athenern verordnete Philipp II. ein Defensivbündnis.
    Durch sein Eingreifen im 3. Heiligen Krieg etablierte Philipp II. eine Vormachtstellung in Nord- und Mittelgriechenland. Aus Strafgeldern der Phoker konnte der Neuaufbau des 373/372 zerstörten Apollontempels fortgesetzt werden. 
  • Philipp II. strebte die Hegemonialmacht über ganz Griechenland und darüber hinaus über angrenzende Länder an. Philipp belagerte Byzanz und gefährdete so die für Athen lebenswichtige Versorgung mit Getreide aus dem bosporanischen Reich. Athen war alamiert.
  • 4. Heiliger Krieg, 340-338 v. Chr.:
    • Athen veranlasste 339 v. Chr. durch die Amphiktyonenversammlung die Erklärung des 4. Heiligen Krieg gegen Amphissa (Amfissa) mit der Begründung, dass dessen Einwohner in gottloser Weise sakrale Gebiete Delphis widerrechtlich nutzen würden. Philipp II. wurde mit der Führung dieses Kriegs beauftragt.
    • Philipps II. Machtzuwachs betrachtete Athen als Bedrohung und schickte vorsorglich Truppen nach Böotien. Das überraschend schnelle Vordringen Phillipps II. im 4. Heiligen Krieg weckte ähnliche Befürchtungen in Theben. Athen und Theben (ehemalige Feinde) verbündeten sich, vereinten ihre Heere in Böotien und besetzten außerdem gemeinsam den Süden von Phokis. Kontingente aus Chalkis, Megara, Achaia und Korinth verstärkten den Bund.
    • 338 v. Chr. rückten Truppen Philipps II. nach Böotien vor, um die alliierte Armee anzugreifen, die die Straße bei Chaironeia blockiert hatte. In der Schlacht von Chaironeia, in der sich sein Sohn Alexander (der spätere Alexander der Große) auszeichnete, vernichtete Philipp II. das alliierte griechische Heer.(29) Makedonien hatte sich als Hegemonialmacht durchgesetzt. Das Ende des Lebenszyklus der antiken Poliswelt und der Athener Demokratie war erreicht.
  • 337 v. Chr. gründete Philipp II. den Korinthischen Bund, dem außer Sparta alle Poleis beitraten. Mit Zustimmung des Bundes rief Philipp II. zu einem Feldzug gegen das Perserreich auf. 
  • Vor dem Aufbruch zum Feldzug gegen Persien wurde Philipp II. 336 v. Chr. während der Hochzeit seiner Tochter Kleopatra von einem seiner Leibwächter ermordet und gleich darauf sein Sohn Alexander (Alexander der Große) zum makedonischen König ernannt. Über Motive der Ermordung kursieren unterschiedliche Spekulationen.(30) 
  • Gleich nach der Machtübernahme ließ sich Alexander die Gefolgschaft der griechischen Poleis zusichern. Thrakien und Illyrien versuchten jedoch, sich von der makedonischen Herrschaft zu befreien. Während Alexander im Balkanfeldzug nach Norden zog und die Revolte bekämpfte, sahen Griechen im Süden die Chance zur Befreiung von Makedonien. Theben vertrieb die makedonische Besatzung aus der Stadt. Vom Balkanfeldzug zog Alexander sofort nach Theben. Er eroberte die Stadt, ließ sämtliche Gebäude (mit Ausnahme der Tempel und des Wohnhauses des Dichters Pindar) zerstören, 6.000 Einwohner töten und die übrigen 30.000 in die Sklaverei verkaufen. Die Stadt Theben war ausgelöscht. Das Exempel erstickte die Revolte der Poleis.
  • 335 v. Chr. soll Alexander der Große laut antiken Quellen vor dem geplanten Perserfeldzug (aus dem sich der Alexanderzug entwickelte) das Orakel von Delphi um Rat gefragt haben.(31)  
  • Um 320 v. Chr. war der Neuaufbau des geschichtlich 3. Apollontempels in Delphi abgeschlossen.(32)
  • Keltische Invasion:
    Im 4. Jh. v. Chr. setzte eine Wanderung keltischer Stämme der La-Tène-Zeit in Richtung Südosten zur Balkanhalbinsel ein, auf der Kelten mehrere Niederlassungen gründeten (keltische Südwanderung). Nach dem Tod von Alexander dem Großen im Jahr 323. v. Chr. drangen Kelten weiter nach Südosten vor. 
    • Von ihren Niederlassungen auf dem Balkan unternahmen Kelten ab 281 v. Chr. mehrere Plünderungs-Feldzüge auf der griechischen Halbinsel.
    • Während der "großen Expedition" wurde 279 v. Chr. der Makedonische König Ptolemaios Keraunos gefangen genommen und enthauptet. Die Kelten kehrten mit Beute zurück zum Balkan.
    • Ebenfalls 279 v. Chr. unternahmen Kelten eine dritte Expedition nach Zentralgriechenland, um u.a. Tempelschätze des Heiligtums von Delphi zu plündern. Nach dem griechischen Sieg bei Delphi zogen sich die Kelten wieder zurück. Gemäß Legende sollen griechische Götter eingegriffen und einen Schneesturm geschickt haben, der die Kelten aufhielt und den griechischen Gegenangriff begünstigte. 
    • Auf griechischer Seite zeichneten sich die Phoker im Kampf aus und wurden darauf wieder in die delphische Amphiktyonie aufgenommen (nach ihrem Ausschluss im Jahre 346 v. Chr.).
  • Um die Zeitenwende erlebte das Orakel von Delphi einen Niedergang. 86 v. Chr. plünderte der römische Feldher Sulla Tempelschätze des Orakels von Delphi (und weiterer antiker Heiligtümer) zur Finanzierung von Söldnertruppen. Der römische Kaiser Nero ließ laut Pausanias rund 500 Statuen aus Delphi entfernen, um mit ihnen eigene Bauwerke zu schmücken.
  • Durch die römischen Kaiser Titus, Domitian und Hadrian erlebte das Orakel eine Revitalisierung, die um 200 n. Chr. endete. 
  • Ab ca. 95 n. Chr. war Plutarch über ca. 20 Jahre einer der Oberpriester des Orakels von Delphi.
  • Mit der Verbreitung des Christentums galt das Orakel als heidnischer Aberglaube. Das Orakel war jedoch weiterhin mit eher lokaler Bedeutung tätig.
  • Als Kaiser Konstantin der Große (ca. 280-337 n. Chr.) um 330 n. Chr. die Hauptstadt des oströmischen Reichs nach Byzanz verlegte und in Konstantinopel umbenannte, ließ er Kunstschätze antiker Stätten rauben (darunter die Schlangensäule in Delphi), um sie in Konstantinopel aufzustellen. 
  • Der christlich erzogene römische Kaiser Julian (331/2-363 n. Chr.) wendete sich vom christlichen Glauben ab. Er nahm die 313 n. Chr. erlassene konstantinische Wende zurück, holte pagane Priester aus dem Exil zurück, verdrängte christliche Beamte aus ihren Positionen und ließ Orakel befragen. In einem Feldzug gegen Persien weissagte das Orakel in Delphi Julian die Unterstützung des Kriegsgottes. Nach anfänglichen Erfolgen starb Julian vor der persische Hauptstadt Ktesiphon im Kampf.
  • Der Kirchenhistoriker Philostorgios berichtete, dass der römische Kaiser Julian seinen Vertrauten Oreibasios ausgesandt habe, um das Orakel von Delphi zu befragen. Der Spruch des Orakels wurde so interpretiert, dass er selbst das Ende Delphis als Orakelstätte bestätigte:(33)
    • „Kündet dem Kaiser, gestürzt ist [die] prunkvolle Halle, Phoibos hat nicht mehr [sein] Haus. Auch nicht [den] weissagenden Lorbeer noch [die] sprechende Quelle; verstummt ist auch [das] redende Wasser.“ 
  • 380 n. Chr. erklärte Kaiser Theodosius I. das Christentum zur römischen Staatsreligion und verbat 391 n. Chr. alle heidnischen Kulthandlungen.
  • In nachfolgenden Jahrhunderten wurden einige Gebäude des ehemaligen Heiligtums zu praktischen Zwecken weiter genutzt. 
  • Im 7. Jh. scheint die Anlage freiwillig aufgegeben worden zu sein. Erdrutsche überdeckten die Hauptgebäude.
  • Im Mittelalter wurden die Ruinen mit dem Dorf Kastri überbaut.
  • 1891 stellte die École française d’Athènes einen Geldbetrag zur Verfügung, um die Umsiedlung von ca. 200 Dorfbewohner Kastris an den Standort der modernen Stadt Delphi zu ermöglichen und erhielt im Gegenzug eine zehnjährige Konzession für die Ausgrabung des Standorts. Finanziert vom französischen Staat begannen 1892 französische Archäologen mit Ausgrabungen der antiken Ruine.
  • 1903-06: Rekonstruktion des Schatzhauses der Athener
    1938-41: Teilweise Rekonstruktion des Apollontempels
  • Seit 1987 gehören die Ausgrabungen von Delphi zur Liste des Weltkulturerbes der UNESCO.(34)


2. Besichtigungen der Ausgrabungen von Delphi - Fotoserie: Heiligtümer in Delphi
Reisegruppe an der Kastalischen Quelle
Reisegruppe an der Kastalischen Quelle
In der Antike reisten Besucher des Orakels per Schiff auf dem Golf von Korinth nach Delphi. Auf dem Weg vom Hafen zum heiligen Bezirk am Hang das Parnass durchquerten sie das Pleistostal und erreichten auf einer Marmaria (Marmor-Ort) genannten Felsterrasse zunächst das Heiligtum der Athena Pronaia. Der Weg von der Marmaria zum Apollonheiligtum passiert die Kastalische Quelle, an der Priester und Besucher des Apollonheiligtums vor dem Betreten des Heiligtums rituelle Reinigungszeremonien vornahmen. In der Gegenwart zerschneidet eine Straße das Gelände auf Höhe der Kastalischen Quelle. Das Apollonheiligtum liegt nördlich der Straße, das Heiligtum der Athena Pronaia südlich der Straße. Im Westen der Marmaria liegt das für Besichtigungen gesperrte Grabungsfeld des Gymnasions von Delphi, in dem während der Phythischen Spiele die schwerathletischen Wettkämpfe der gymnischen Agone stattfanden.



2.1 Heiligtum der Athena Pronaia (Voraussehende Athena) auf der Marmaria (35,36)
Athena Pronaia auf der Marmaria (Delphi)
Rekonstruktion Athena Pronaia
Tholos und Athena-Tempel im Heiligum Athena Pronaia, Delphi
Ruinen der Athena Proneia
Das Heiligtum mit dem Beinamen Athena vor dem Tempel (Tempelwächterin) wurde vermutlich ab dem 8./7. Jh. v. Chr. mit mehreren Tempeln errichtet.(34) Felsstürze verursachten mehrfach Zerstörungen und Neuaufbauten. Sichtbare Ruinen des Athenatempels sind Reste des 3. Neubaus aus dem 4. Jh. v. Chr., den ein schwerer Felssturz bald wieder zerstörte und der danach eine Ruine blieb. Architektonisch ragt aus dieser Anlage das beliebte Fotomotiv einer vom Architekten Theodoros von Phokaia um 380 v. Chr. entworfene Tholos (Rundtempel), deren Funktion unbekannt ist. Drei der 20 dorischen Säulen wurden 1938 rekonstruiert und wieder aufgestellt.


2.2 Heiligtum des Apollon (37,38)
Rekonstruktion Apollonheiligtum Delphi Rekonstruktion Apollonheiligtum Delphi Ca. 200 m westlich der Marmaria liegt etwa 100 m höher am abschüssigen Hang des Parnass das Heiligtum des Apollon. Die Anlage erstreckt sich auf einer Fläche von 130-140 m x 180-190 m über 4 Terassen. Sämtliche Gebäude des ursprünglich dicht bebauten Geländes sind vollständig zerstört. Die Ruinen waren teilweise über mehr als 1000 Jahre von Schutt und Geröll bedeckt. Die restlichen Ruinen waren mit Häusern eines Dorf überbaut. Nach Verlegung des Dorfes legten Grabungen französischer Archäologen die Ruinen frei. Dank Pausanias Beschreibung Griechenlands, deren 10. Band Phokis und Delphi gewidmet ist, gelang in Verbindung mit weiteren antiken Beschreibungen eine vollständige Identifizierung der Ruinen sowie eine modellhafte Rekonstruktion der gesamten Anlage. Vor Ort wurden lediglich das Schatzhaus der Athener und teilweise der Apollon-Tempel rekonstruiert.(39)


Omphalos-Nachbildung (Steinkegel), Schatzhaus der Athener, Heilige Straße
Omphalos-Replik vor Schatzhaus der Athner
Polygonalmauer, Terrasse Apollon-Tempel, Delphi
Polygonalmauer der Tempelterrasse
Durch das Heiligtum windet sich in mehreren Schleifen die Heilige Straße, eine 'Hall of Fame' antiker griechischer Kriegsglorie. In Kriegen erfolgreiche Poleis stifteten ab dem 6. Jh. v. Chr. hochwertige Skulpturen sowie reich ausgestattete Anathemen und Schatzhäuser. Dicht an dicht war ehemals die Heilige Straße von Weihegeschenken gesäumt, die Kriegserfolge glorifizieren und Feinde beeindrucken sollten. Die Weihegeschenke sind längst verschwunden. Besucher treffen lediglich auf ein rekonstruiertes Schatzhaus der Athener, an dem eine schmucklose Kopie den ehemaligen Standort des Omphalos (Nabel der Welt) markiert.(40)
Beeindrucken kann dagegen auch noch in der Gegenwart eine kunstvoll geschichtete Polygonalmauer, die die Tempelterrasse stützt und an der hunderte Gravuren die Freilassung von Sklaven dokumentieren.


Rampe zum Apollon-Tempel, Statuenbasis (rechts)
Tempelterasse und Ruine Apollontempel
Steinsockel von Pythias Dreifußsitz
Sockel von Pythias Dreifuß
Die Heilige Straße führt zum Apollon-Tempel auf einer künstlich angelegten Terrasse. Den historisch gesicherten Steinbauten gehen 3 mythische Tempel voraus.(41) Aus Stein wurde das Tempelgebäude dreimal errichtet und jedes Mal durch Felsstürze zerstört. Die Ruine des erhaltenen Tempelbaus besteht aus Resten des 320 v. Chr. fertiggestellten 3. Steintempels. Nach den Ausgrabungen wurden aus Original-Säulentrommeln 6 der ehemals 38 dorischen Säulen aufgerichtet. Betreten wurde der Tempel von Osten über eine Steinrampe.(42) Im hinteren Teil des Tempels, dem unter dem Terrassenniveau liegenden Allerheiligsten, fand das Orakel statt. Außerhalb des Tempels ist der Steinblock aufgestellt, auf dem Pythias Dreifuß stand. Auf dem Dreifuß sitzend atmete Pythia durch ein Loch im Steinblock aufsteigende Dämpfe ein, die sie in Trance versetzten.


Theater des Apollon-Heiligtums Delphi
Theater des Heiligtums von Delphi
Marina liest im Apollon-Heiligtum Delphi aus Ion von Euripides
Marina liest aus Ion von Euripides
Oberhalb des Apollon-Tempels liegt das Theater, in dem musische Agone der Pythischen Spiele stattfanden. Noch etwas höher endet die Heilige Straße am Stadion der Pythischen Spiele. Diesen Weg ersparen wir uns in der Mittagshitze.
An einem schattigen Platz liest Reiseleiterin Marina eine Passage aus der Tragödie Ion von Euripides. Über Ion kursieren unterschiedliche Mythologien. Bei Erupides ist Ion Sohn von Apollon und Kreusa, die Apollon vergewaltigt hatte. Ion wird von seiner Mutter ausgesetzt, aber Apollon lässt Ion von Hermes nach Delphi bringen und dort zum Tempeldiener des Orakels aufziehen. Wie immer in antiken Tragödien folgen etliche Irrtümer und Verwicklungen, bei denen Götter spielen und Menschen ihren Spielen ausgeliefert sind.



3. Besuch des archäologischen Museums Delphi - Fotoserie: Archäologisches Museum Delphi
Gigantomachie-Fries des Siphnierschatzhauses Bronzestatue eines Wagenlenkers, 470 v. Chr.Kylix (Trinkschale), Apollon mit Lyra und Rabe, 480-470 v. Chr.

Museumswürdige Funde von Ausgrabungen in Delphi präsentiert gleichen neben dem Apollon-Heiligtum ein sehenswertes Archäologisches Museum in 14 Ausstellungsräumen. Nebem dem Omphalos gelten der Wagenlenker von Delphi und einige weitere Objekte als Highlights. Persönlich beeindruckt sind wir vom Gigantomachie-Fries des Siphnierschatzhauses, von einer Trinkschale, deren Bemalung Apollon mit Lyra und Rabe zeigt sowie von vielen kleinteiligen Votivfiugren, von der jede eine Geschichte erzählt.



4. Mittagsimbiss in Delphi vor der Weiterreise - Fotoserie: Mittagsimbis in Delphi
Blick vom Mittagsrestaurant in Delfi zum Golf von Korinth Imbiss im Mittagsrestaurant in DelfiMittagsrestaurant in Delfi

Nach ca. 5-6 Stunden Besichtigung kehren wir zum Mittagsimbiss in Delphi ein, ehe wir die Weiterreise antreten. Obwohl das Dorf Delphi vom Tourismus lebt, sind Preise des Restaurants moderat, die Qualität des Angebots erfreulich und der Service gut. Vor uns liegt eine Busreise über ca. 230 km zum letzten Exkursionsziel unserer Rundreise bei Kalambaka in Thessalien.



Anmerkungen
  1. Eine Übersicht unserer Rundreise bietet der Post: Griechenlandrundreise auf Spuren der Antike
  2. Neben Orakeln, die Weissagungen via Medium von einer höheren Instanz erhalten, nutzten Zukunft vorhersagende Weissagungen verschiedene Methoden. Naturbeobachtung wie Vogelflug, Rauschen des Windes in Eichenbäumen, Eingeweide von Opfertieren. Naturphänomene (Erdbeben, Felsstürze, Erdrutsche, Gewitter, Blitze etc.) zeigten vermeintlich göttlichen Zorn aufgrund menschlichen Fehlverhaltens. In Sparta musste das Gremium der Ephoren alle 9 Jahre in klarer Nacht ein Ritual der Himmelsbeobachtung vollziehen. Wenn Sternschnuppen auftraten, galten sie als Hinweis für Verfehlungen amtierender Könige. Betroffene Könige mussten ihre Amt ruhen lassen, bis das Orakel von Delphi die Berechtigung dieser Vorwürfe entkräftete. Seit dem 1. Jahrtausend v. Chr. zählten Horoskope zum methodischen Standardrepertoir der Entscheidungsfindung unter unsicheren Bedingungen.
    • Horoskope waren ursprünglich keine individuellen Geburtshoroskope, sondern Katarchen-Horoskope, die mit Hilfe von Mundanastrologie günstige Zeitpunkte für politische (militärische) und wirtschaftliche Entscheidungen ermittelten. Mundanastrologie nimmt an, dass Positionen und Bewegungen von Planeten und Sternen gesetzesmäßige physikalische Enflüsse auf die irdische Welt ausüben. Die als Wissenschaft verstandene Erforschung dieser Zusammenhänge erlaubte vermeintlich Prognosen zu Naturereignissen, Wetter, Ernten, politischen Entscheidungen und individuellen Schicksalen. Effekte dieser Zusammenhänge deutet Astrologie mittels Sternenbeobachtung. Empirisch betriebene Astronomie bildete eher eine 'Hilfswissenschaft' von Astrologie, ohne dass eine strenge Trennung von Astrologie und Astronomie vorgenommen wurde.
    • Über das europäische Mittelalter hinaus bestanden auch noch im Zeitalter des Barock kaum Zweifel an der Wissenschaftlichkeit von Horoskopen der Mundanastrologie. Tycho Brahe (1546-1601) erstellte am Hof von Prag als Hofmathematiker des Kaisers Rudolf II. die kaiserlichen Horoskope. Johannes Kepler (1571-1630) war ab 1600 Tycho Brahes Assistent. Nach dessen Tod im Jahr 1601 übernahm Kepler die Stellung als Hofmathematiker und war unter drei Habsburger Kaisern für die Erstellung politisch wegweisender kaiserlicher Horoskope zuständig. Im 30-jährigen Krieg (1618-1648) war Kepler zeitweilig astrologischer Berater des Generals Albrecht von Wallenstein. Kepler glaubte noch, die Gesetze der himmlischen Harmonie entdeckt zu haben und beschrieb sie in seiner Arbeit Harmonice mundi. Mundanastrologie geriet erst mit der Aufklärung ab ca. 1700 in eine Krise und verlor mit zunehmender Verwissenschaftlichung der Welt allmählich an Glaubwürdigkeit und Bedeutung.
    • In postmythischer Gegenwart haben sich astrologische Denkmodelle keineswegs vollständig verflüchtigt. Vor allem individuelle Geburtshoroskope scheinen nach wie vor gefragt zu sein. (Der Begriff 'Geburtshoroskope' liefert in Google 246.000 Treffer.) An Bedeutung verloren hat Mundanastrologie. Relikte sind in Bauernregeln, Mondkalendern sowie in auf anthroposophischen Überzeugungen basierenden biologisch-dynamischen Landwirtschaften anzutreffen. Anthroposophie greift darüber hinaus mit den von ihr postulierten Wesensgliedern mythisch-kosmologische Vorstellungen der Antike auf, die u.a. für Methoden antroposophischer Medizin richtungsweisend sind.   
  3. In Homers Ilias ist Dodona als einzige Orakelstätte genannt. Achilleus opfert in Dodona dem Zeus (Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft: Achilleus 1) und Odysseus befragt auf seiner Irrfahrt das Orakel von Dodona.
  4. Berühmte Beispiele mehrdeutiger Orakelsprüche:
    • Bevor Krösus, König von Lydien, 546 v. Chr. zu einem Feldzug gegen den Perserkönig Kyros II. aufbrach, befragte er das Orakel. Das Orakel antwortete: Wenn Krösus den Halys überschreitet, wird er ein großes Reich zerstören. Krösus bezog diese Weissagung auf das Perserreich, tatsächlich war es sein eigenes. (Wikipedia: Orakel von Delphi)
    • 335 v. Chr. soll Alexander der Große vor seinem geplanten Perserfeldzug das Orakel um Rat gefragt haben. "Pythia vertröstete ihn: Das Orakel finde nur zu den von den Göttern bestimmten Zeiten statt. Wütend und unwillig zu warten, soll er Pythia mit Gewalt an den Haaren in den Tempel gezerrt haben. Daraufhin soll sie lediglich gerufen haben: „Lass ab von mir, du bist doch unüberwindlich, Junge!“ Darauf soll Alexander gesagt haben: „Jetzt habe ich meine Antwort!“, und die Pythia losgelassen haben". (Wikipedia: Orakel von Delphi)
  5. Im antiken Griechenland gab es etliche Amphiktyonien, unter denen die Amphiktyonie von Delphie einer der bedeutendsten war und am längsten Bestand. - Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft: Amphiktyonia
  6. Die Rhetra hatte große Bedeutung für Spartas Machtaufstieg und Untergang. In einer despotisch oder im Fall von Athen basisdemokratisch und insgesamt eher chaotisch organisierten politischen Umwelt, die sich taktisch an Chancen und Risiken orientierte, erwies sich die von der Rhetra vorgegebene strategisch orientierte oligarchische Struktur über Jahrhunderte als politisch überlegen. Die Rhetra war zugleich eine Fessel. Sie fokussierte auf Kosten kultureller Vielfalt und Dynamik auf solche kulturellen Strukturen, die der Entfaltung und Absicherung politischer Macht dienten. Mit dieser Ausrichtung verhinderte die Rhetra auf Dauer politische Reformfähigkeit und kulturelle Entwicklungsfähigkeit und somit die Fähigkeit zu Anpassungen an Veränderungen der Welt. 
  7. Spiegel: Sparta - ein Leben für den Krieg
  8. Über die Besichtigung der Athener Akropolis bericht der Post: Akropolis-Tag in Athen
  9. Zu diesem Mythos sind verschiedenen Varianten und Ausschmückungen überliefert, auf deren Darstellung hier verzichtet wird.
  10. Pausanias beschreibt den Omphalos als Weltachse bzw. als mythische Verbindung zwischen Himmel, Erde und Unterwelt.
  11. Der Original-Omphalos ist aus nicht bekannten Umständen verschwunden. Das im Museum ausgestellte Objekt ist eine helladische oder römische Replik, deren Geschichte nicht bekannt ist. Der Ur-Omphalos soll mit Wollgirlanden überzogen gewesen sein, die die Replik als Relief darstellt. 
  12. Die Genealogie der griechischen Götterwelt beschreibt der Post: Basics der Antike
  13. Über Olympia und die antike Olympiade informiert der Post: Antike Olympische Spiele im Zeus-Heiligtum Olympia
  14. Der Dreifuß von Delphi ist Gegenstand eines mythologischen Streits zwischen Apollon und Herakles: Nachdem Herakles aufgrund eines Fluchs der Göttin Hera in einem Anfall von Wahnsinn seine Kinder und Iphitos getötet hatte, wollte er sich in Delphi entsühnen, wurde aber als Mörder abgewiesen. Darauf drang Herakles mit Gewalt in das Heiligtum ein und wollte mit einer Entführung des Dreifuß als eine Art von Lösegeld seine Rehabilitierung erzwingen. Darauf kam es zwischen Herakles und Apollon zu einem oft künstlerisch dargestellten Streit, in den Zeus eingriff, um den Streit zu beenden.
  15. Die geschichtliche Zeit der Pythischen Spiele setzt 582 v. Chr. aufgrund der Papyrus Oxyrhynchus 222 ein, die den Beginn der Pythischen Spiele im Jahr 582 v. Chr. bestätigen. Über die vermeintlich von Apollon gestiften vorgeschichtlichen Pythischen Spiele sind keine Informationen bekannt.
  16. Der strittig-schillernde Begriff des Matriachats wird hier bewusst vermieden.
  17. Grundlagen der Thematik vermittelt der Post: Basics der Antike
  18. Die Frauenrolle von Vollbürgern wich vom antiken griechischen Standard ab: Lakedaimon.de: Die Frauen in Sparta 
  19. Antike Tischkultur: Griechische Tischsitten
  20. FAZ: Die Opferfeier wird zur Orgie
  21. Die Frage, ob die 9 Monate einen Kontext zum Zeitraum von Schwangerschaften andeuten, lässt sich aus vorliegenden Quellen nicht beantworten. Deutlicher zeichnen sich Spuren vorgeschichtlicher Bedeutungen Delphis ab. Delphi gilt neben Theben und Athen als eine der wichtigten Stätten des Dionysoskults, was eine in Quellen angedeutete Bedeutung Delphis als Zentrum antiker Pubertäts- und Stammesinitiation in archaischer Zeit wahrscheinlich macht.
  22. Aufgrund der vormals kultischen Verehrung Gaias an diesem Ort sprach Apollon nicht durch einen Priester, sondern durch die Priesterin Pythia. Phythia saß auf einem Dreifuß über einer Erdspalte. 
  23. Das kurios und unseriös zu scheinende Losorakel verweist auf das deutliche ältere und neben Delphi bedeutendste antike Orakel von Dodona in Epirus, das das Losorakel praktizierte. 
  24. Welt: Wie die Griechen die persische Weltmacht demütigten
  25. Die oft wechselnden Machtverhältnisse und Spartas oft schwierige politische Beziehung zu Delphi und zu bedeutenden griechischen Poleis skizziert das private Portal Lakedaimon.de: Spartas Außenpolitik: Delphi
  26. Welt: Gegen die gepanzerten Spartaner waren die Perser chancenlos
  27. 331. n. Chr. ließ Konstantin der Große die Schlangensäule im Hippodrom von Konstantinopel aufstellen, wo sie noch immer steht, allerdings ohne Schlangenköpfe und ohne den goldenen Dreifuß, den die Köpfe trugen. In Neuzeit wurde in Delphi eine Replik aufgestellt. 
  28. Das Weihegeschenk des Lysanderanathems umfasste 37 (nach anderen Quellen 38 oder 40) Statuen von Göttern und spartanischen Feldherren in einer 20 m langen und 6 m breiten Säulenhalle und war das größte Figurenensemble in Delphi. Als Bildhauer der Werke sind Alypos und Theokosmos überliefert. Erhalten ist nur ein wenig Mauerwerk.
  29. Welt: So entstand die beste Kriegsmaschine Griechenlands
  30. Die Vater-Sohn-Beziehung zwischen Philipp und Alexander war schwierig. Beide sollen extrem ehrgeizig, überaus trinkfreudig und im alkoholisierten Zustand unberechenbar cholerisch gewesen sein. Im Detail ist jede Bewertung der Beziehung aufgrund legendenhafter Ausschmückungen und Erfindungen unsicher. Philipp war mit insgesamt 7 Frauen teilweise zugleich verheiratet und pflegte zusätzlich zahlreiche Liebschaften. Konkurrenz zwischen den Frauen und Fragen der Thronfolge schürten Konflike. Zwischen Alexanders Söhnen soll ebenfalls erhebliche Konkurrenz bestanden haben. Ob und mit welchen Motiven Alexander und/oder dessen Mutter Olympia Philipps Leibwächter Pausanias zu dem Mord angestiftet haben und aus welchen Gründen dieser sich anstiften ließ, ist Gegenstand zahlreicher Spekulationen.
  31. Als Quellen sind in Wikipedia (Orakel von Delphi) Plutarch, Alexandervita 14,4, und Diodor, Bibliotheke 17,93,4, genannt. Historisch gelten die Berichte als Legende. 
  32. Nach Ende der neuzeitlichen Ausgrabungen wurden von ursprünglich 38 dorischen Säulen des Tempels 6 wieder aufgerichtet.
  33. Wikipedia: Letztes Orakel von Delphi
  34. UNESCO World Heritage List: Archaeological Site of Delphi - Delphi (de) 
  35. Beschreibung im Portal Gottwein: Delphi - Marmaria-Bezirk
  36. Wikipedia: Heiligtum der Athena Pronaia
  37. Gründungsmythos: Nachdem Athene Apollon beim Kampf gegen den Drachen Python geholfen hatte, überließ Apollon ihr aus Dankbarkeit dieses Heiligtum.
  38. Beschreibung im Portal Gottwein: Delphi - Heiliger Bezirk
  39. Wikipedia: Heiligtum des Apollon
  40. Ursprünglich war der Omphalos auf einem Bronzestativ montiert und mit 2 goldenen Adlern dekoriert. Eine hellenistische oder römische Marmorkopie des Steins befindet sich heute im Archäologischen Museum von Delphi. Das Schicksal des Orginal-Omphalos ist unbekannt.
  41. Demnach bestand ein erster Tempel aus den Zweigen des im thessalischen Tempe-Tal geschnittenen Lorbeer. Diesem Bau folgte ein von Bienen aus Bienenwachs und Federn errichteter Tempel, den der Wind in das Land der Hyperboreer davontrug. Er wurde ersetzt durch einen Tempel aus Bronze, der von Hephaistos und Athena errichtet wurde, aber durch Erdbeben und Feuer vernichtet wurde. (Wikipedia: Apollon-Tempel)
  42. Beschreibung des Innenraums im Portal Gottwein: Delphi: Apollontempel - Orakel

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen