Förderturm Schacht XII der Zeche Zollverein |
Es wäre vermessen, an nur einem Tag auch nur einen Überblick über einen derart großen und vielgestaltigen urbanen Raum gewinnen zu wollen. Um unsere begrenzte Zeit effizient zu nutzen, entscheiden wir uns für Ziele im Raum der Stadt Essen und konzentrieren uns auf jeweils ein Beispiel, das uns geeignet erscheint, nicht nur Facetten der Kohleindustrie, der Natur und der Kultur des Ruhrgebiets exemplarisch zu isolieren, sondern Kontexte von Industrielandschaft und Lebensraum zu erkennen. Mit unserer Auswahl sind die Optionen bestenfalls angedeutet. Das Ruhrgebiet hat nämlich noch sehr viel mehr zu bieten! Wer sich auf diesen Lebensraum und seine historische Entwicklung einlässt, darf spannende Erfahrungen erwarten und befreit sich ggf. von Klischees.
Auftakt im Museum Folkwang
Der gute Ruf des Museums reicht weit über das Ruhrgebiet hinaus. Allerdings wurde die begrenzte Ausstellungsfläche lange Zeit der reichen Sammlung nicht gerecht. Trotz Zeiten kleiner Budgets konnte 2010 eine Erweiterung in großartiger Qualität gefeiert werden. Für den Neubau ist der brittische Architekt David Chipperfield architektonisch verantwortlich, dessen Arbeit wir bereits auf der Museumsinsel Berlin bewundern und deren Qualität weltweit höchste Anerkennung findet.
Das Ergebnis von David Chipperfields Essener Museumsarchitektur beeindruckt uns tief. Die Architektur nimmt sich in minimalistischer Manier völlig zurück und macht sich fast unsichtbar, um sich in den Dienst der Kunstwerke zu stellen. Die unaufdringliche Architektur erzeugt eine Harmonie, deren Prinzipien uns an Zen-Buddhismus erinnern.
Neben der qualitativ absolut hochwertigen Präsenssammlung motiviert unseren Besuch eine Sonderstellung, die den Arbeiten des amerikanischen Fotographen Joel Sternfeld gewidmet ist. Joel Sternfelds Fotos können kaum besser als in diesem Rahmen in Szene gesetzt werden. Einen Beitrag zum Verständnis der Werke bietet das Magazin 'artnet' in der Ausgabe vom 5.08.2011 an:
"Die Welt – eine bizarre Bühne, ungemütlich und unberechenbar, meistens eingetaucht in matte Braun- und Grüntöne, fast immer im Panoramaausschnitt. Der Kreislauf aus Konsumdrang und Überlebenskampf trägt zwischen menschenleeren Mustersiedlungen und Erdrutschen, die Statussymbole in Erdlöchern verschwinden lassen, immerhin auch heitere Blüten, die allerdings das Zeug dazu haben, unvermittelt im Hals stecken zu bleiben."
Lunch am Baldeneysee
Inzwischen haben wir Mittag. Hunger stellt sich ein. Wir sind bereit für einen Lunch, zu dem wir an den Baldeneysee fahren, ein Ruhrstausee im Süden der Stadt Essen. Der Baldeneysee ist ein bevorzugtes Naherholungsgebiet der Region und ein Paradies für Wassersportler, Wanderer, Jogger, Skater, Spaziergänger, Radfahrer, etc.
Der Baldeneysee ist nicht nur ein beliebtes Segelrevier. Regelmäßig finden auf dem Stausee Ruder- und Kanuwettbewerbe statt, die von regionalen Veranstaltungen bis zu internationalen Meisterschaften reichen. Seit 49 Jahren wird jeweils Mitte Oktober auf einer zweimal zu laufenden Runde um den Baldeneysee der 'Essen Marathon' ausgetragen. Auf eine derart lange, kontinuierliche Tradion kann in Deutschland kaum eine andere heute noch aktive Marathonveranstaltung verweisen. Selbstverständlich haben wir schon teilgenommen und träumen noch immer von einer Wiederholung. Ja, so schön ist unser Panama!
Zum Lunch wählen wir die 'Südtiroler Stuben'. Wir sind hier schon häufig eingekehrt und verbinden mit diesem Ort denkwürdige Feiern. Die Betreiber, Familie Pichler, sind echte Südtiroler, wie bereits der Name verrät. Das Angebot ist südtirolerisch geprägt und von überdurchschnittlicher Qualität. Die Preise bleiben trotz üppiger Portionen bodenständig.
Dank des traumhaften Wetters können wir den Lunch auf der Terrasse des Außenbereichs einnehmen. An diesem Ort könnten wir gerne noch länger verweilen und möglicherweise auch versacken. Unsere Planung sieht jedoch weitere attraktive Ziele mit Reservierungen vor.
Im UNESCO Welterbe 'Zeche Zollverein'
red dot design museum im ehemaligen Kesselhaus (Mitte) |
Von 1848 bis 1986 war 'Zeche Zollverein' ein aktives Steinkohlebergwerk. 1928-1932 entstand in Anlehnung an ästhetische Prinzipien der Bauhausarchitektur die Anlage des Schachts XII, die schon bald als 'modernste' und 'schönste Zeche der Welt' galt.
Zu Zeiten des produktiven Betriebs war der architektonische Kernbereich nur einem priveligierten Personenkreis von außen zugänglich. Arbeiter mussten das Gelände auf Nebenrouten betreten, und ihre sozialen Einrichtungen waren in Außenbezirke verbannt. In der Jetztzeit mag ein Besuch dieser attraktiven Einrichtung die Anmutung einer inzwischen wieder heilen Welt wecken, was jedoch über das Ausmaß der nicht unmittelbar sichtbaren wahren Probleme täuschen würde. Der Anhang dieses Posts betrachtet die strukturellen Probleme dieses Kontextes mit eigenen kritischen Anmerkungen.
In Zusammenarbeit mit international bedeutenden Architekten wie Rem Kohlhaas, Norman Foster, Kazuyo Sejima, Ryūe Nishizawa etc. ist aus der einst 'verbotenen Stadt' ein öffentlicher Kulturraum mit zahlreichen Einrichtungen entstanden. Inzwischen fördert ein breit gefächertes Programm die öffentliche Rückeroberung. Mehr als 2,2 Millionen Besucher wurden 2010 verzeichnet. Auch heute finden sich viele Besucher ein. Auf dem 'Forum' empfängt eine Kapelle die Besucher mit Guggenmusik.
Wir müssen bald weiter, weil wir für den Nachmittag zu einer englischsprachigen industriehistorischen Führung über 'Kohle und Kumpel' angemeldet sind. Auf dem Weg zum Sammelpunkt unserer Führung überraschen uns zwei 'Backpiper'. Sie stimmen das traditionelle 'Steigerlied' deutscher Bergmänner an "Glück auf, der Steiger kommt" und treffen damit spontan mitten in das Herz der Zuhörer. Der Anlass dieses Auftritts wird uns bald klar: In der Lesebandhalle (Halle 12) findet eine Whiskymesse statt.
Unsere Gruppe von etwa 15 Personen führt ein promovierter Historiker, der aktuell ohne ein festes Beschäftigungsverhältnis lebt. Unser Guide ist zwar kein gelernter Bergbauexperte, aber er ist äußerst engagiert und vermittelt den ehemaligen Weg und die Umstände der Kohleverarbeitung von der Förderung bis zu ihrem Abtransport mit Kompetenz und Enthusiasmus. Die instruktive zweistündige Führung bleibt von Anfang bis Ende hoch interessant und bringt uns an einige Orte, die außerhalb von Führungen den Besuchern nicht zugänglich sind. Kritische Aspekte dieser Arbeitswelt spart unser Guide zwar nicht aus, streut sie aber eher beiläufig ein. Kohle wird zwar nicht mehr gefördert, ist aber noch immer wichtiger als Kumpel.
Zum Abschluss der Führung fahren wir mit dem Aufzug bis auf das Dach der Kohlenwäsche, von dem wir einen freien Rundblick über das gesamte Ruhrgebiet haben. Obwohl die Sicht heute nicht sehr klar ist, erkennen wir einen hohen Anteil an Grünflächen im Ruhrgebiet. Lt. Angaben des Regionalverbandes Ruhr sind 37,6 % der Fläche des Ruhrgebiets bebaut, 40,7 % werden landwirtschaftlich genutzt, der Waldanteil beträgt 17,6 % und 4,1 % entfallen auf Wasserflächen und sonstige Flächen. Mit knapp 2.100 Einwohnern/qkm ist die Bevölkerungsdichte relativ gering im Vergleich zu Metropolen, die i.d.R. 20.000 und mehr Einwohner/qkm haben.
Mit dem Ende der Führung geht unser Besuch auf 'Zeche Zollverein' noch nicht zu Ende. Wir haben nämlich für den Abend im Restaurant 'Casino Zollverein' reserviert, das sich auf dem Gelände des Weltkulturerbes 'Zeche Zollverein' in der ehemaligen Kompressorhalle befindet. Die Inneneinrichtung verbirgt keineswegs die Geschichte dieses Ortes. Die Industrierelikte sind im Gegenteil konsequent in die Innenarchitektur einbezogen. In Verbindung mit einer weit überdurchschnittlichen Qualität von Küche und Service ist das 'Casino Zollverein' eines der spektakulärsten Restaurants des Ruhrgebiets, in dem unser Trip in das Ruhrgebiet einen würdigen Abschluss findet. Link zur Webseite 'Casino Zollverein'
Anmerkungen zu strukturellen Problemen der Region im Kontext 'Zeche Zollverein'
'Zeche Zollverein' ist eines von ehemals mehreren Hundert Bergbaubetrieben
(auch 'Zechen' oder 'Pütts' genannt) die im Ruhrgebiet Steinkohle
förderten. Gegründet wurde 'Zeche Zollverein' 1847 vom Duisburger
Industriellen Franz Haniel, der bereits in der Stahlindustrie engagiert
war und mit der Kohleförderung die Versorgungssituation seiner
Stahlwerke optimieren wollte. Bis 1920 blieb 'Zollverein' im alleinigen
Besitz der Famillie und ging ab 1920 in Beteiligungen auf. 1966 wurde
'Zeche Zollverein' an die 'Ruhrkohle AG' übergeben. Nach dem Einstellen
der Förderung kaufte das Land Nordrhein-Westfalen (also auch wir!) das Gelände auf und
stellte das gesamte Ensemble unter Denkmalschutz.
Herausragende Objekte der ehemaligen Industriestruktur verbindet heute eine touristische Themenstraße, die auf einer 'Route der Industriekultur' historisch bedeutende und touristisch attraktive Industriedenkmäler des Ruhrgebiets zugänglich macht. Die regionale 'Route der Industriekultur' des Ruhrgebiets ist mit der 'Europäischen Route der Industriekultur' ('European Route of Industrial Heritage') vernetzt, auf der 'Zeche Zollverein' einen exponierten 'Ankerpunkt' bildet. Menschen, die diese Route kraft ihrer Leistung möglich gemacht haben und auf dieser Route auch geopfert worden sind, erscheinen, wenn überhaupt, nur am Rande in unauffälligen Zeitdokumenten. Im Unterschied zu vermeintlichen 'Heroen der Industriealisierung', wie z.B. Haniel, Thyssen, Stinnes, Krupp, Hoesch oder Klöckner ist ihr Leben und ihr Leiden in diesem historischen Prozess zu unbedeutend oder zu wertlos, um Beachtung zu finden.
Das Denkmal dieser 'Kathedrale des Industriezeitalters' sollte natürlich vor allem Größe, Bedeutung und Macht der Industriellen feiern. Innerhalb dieser Industrieanlagen sind die Arbeitsabläufe ausschließlich von Effizienzprinzipien dominiert, gemessen in Tonnen oder Wagons pro Zeiteinheit. Humanität von Arbeitsbedingungen war dagegen keine relevante Größe. Die Arbeitsbedingungen der Kumpel blieben unter Tage wie über Tage brutal. Der frühzeitige Verschleiß von Bergarbeitern wurde hingenommen. Ersatz war nicht schwer zu beschaffen. Das Schicksal der Silikose ('Steinstaublunge') wurde immerhin als Berufskrankheit anerkannt, was aber der stark reduzierten Lebensqualität der Betroffenen kaum half und die Jahre verlorener Lebenserwartung nicht aufwiegen konnte. Den Profit strichen diejeinigen ein, die eine Produktion unter diesen Arbeitsbedingungen ermöglicht haben. Die Sklaven dieser Produktion waren dagegen nicht einmal auf dem Gelände des Schachts XII geduldet. Sie hatten nur außerhalb des Schachts XII Zugang zum Werksgelände und gelangten nur in Zügen oder unter Tage zum Schacht XII.
Aktuell bestehen noch 3 fördernde Steinkohlenbetriebe mit zusammen ca. 24.000 Mitarbeitern. Bis zum Jahr 2018 soll auch diese Förderung eingestellt sein. Insgesamt fielen nach dem 2. Weltkrieg dem umfassenden Strukturwandel im Ruhrgebiet ca. 500.000 Arbeitsplätze im Bergbau und in der Schwerindustrie zum Opfer. Auf jedem Arbeitsplatz befanden sich Menschen, die ihren Arbeitsplatz selbstverständlich nicht freiwillig hergegeben haben, sondern Opfer des Strukturwandel wurden, nachdem sich diese inzwischen hoch subventionierte Industrie als nicht mehr länger profitabal erwiesen hat. Den Wegfall von Arbeitsplätzen im primären Sektor (Rohstoffgewinnung) und sekundären Sektor (Rohstoffverarbeitung) sollen neue Arbeitsplätzen im tertiären Sektor (Dienstleistungen) kompensieren. In der Realität zählen die Arbeitslosenzahlen einiger Städte des Ruhrgebiets zu den höchsten der alten Bundesländer. Die desolate Haushaltslage dieser Städte trifft ebenso alle Bewohner des Ruhrgebiets wie die Migrantenproblematik, die bewußt in Kauf genommen worden ist, weil die Jugend der eigenen Bevölkerung nicht mehr für niedere Arbeiten in diesem sterbenden Industriezweig zu gewinnen war.
Zu vermeiden war der Strukturwandel nicht. Dass dieser jedoch mittels Subventionen und Fremdarbeitern verschleppt worden ist und darum zu spät und nicht hinreichend konsequent eingeleitet wurde, trifft als Vorwurf eine Politik, deren Agenda eher an kurz- bis mittelfristige Interessenlagen ausgerichtet ist und die immer dann versagt, wenn es um eine nachhaltige Gestaltung langfristiger Veränderungen geht. Bestes Beispiel für diese Behauptung sind in Anbetracht der demografischen Entwicklung in Deutschland die fehlenden prinzipiellen Maßnahmen zur Reformierung der sozialen Vorsorgesysteme. Im Verbund mit den Interessen der ohnehin bereits Priviligierten finden politische Aktivitäten nur in einem begrenzten Areal statt, das Kontrolle und Erhalt eigener Macht vorerst sichert, weil sich nur so eigene Interessen versorgen lassen. Der Markt kennt keine Gerechtigkeit. Finanzanlagen fließen dort hin, wo Profite realisiert werden können. Dass anschließend Altlasten und ihre Folgekosten sozialisiert werden, diktiert jedoch nicht der Markt, sondern ist Ergebnis von Politik. Wenn die Duisburger Familie Haniel auf dem besten Wege scheint, ihren in der Industrie angehäuften Reichtum zu einem guten Anteil wieder zu verlieren, weil sich die im Familienbesitz befindende Franz Haniel & Cie. GmbH, ein Konglomerat mit 800 Firmen, 58.000 Mitarbeitern und 27 Milliarden Euro Umsatz, im Niedergang befindet, ist das letztlich trotz aller politischer Steigbügelhalter ebenfalls ein Ergebnis des Strukturwandels, das fast schon wieder versöhnlich stimmt.
Anders jedoch als für die ehemaligen Werktätigen dürften Arbeitslosigkeit, Migrationsprobleme und Verarmung und die damit einhergehende menschliche Tragik als Konsequenzen des Strukturwandels keine relevanten Themen für die Mitglieder der Familie Haniel sein. Die Geschichte kennt kein Mitleid. Effekte dieser Veränderungsprozesse, die als unverschuldete individuelle Schicksalsschläge empfunden werden, sind volkswirtschaftlich eher eine unvermeidbare und vorübergehende Begleitmusik des Strukturwandels. Erhalten bleiben die als 'Ewigkeitskosten' bezeichneten unmittelbaren Folgekosten des Bergbaubetriebs, die an die 'RAG Stiftung' delegiert sind. Die Höhe dieser Kosten, die z.B. für die Bewirtschaftung von Grundwasserproblemen aufgebracht werden müssen, wird nach heutigen Preisen auf jährlich ca. 200 Millionen Euro veranschlagt. Die Finanzierung dieser Kosten bleibt ein Risiko mit Zukunft. Dieses Risiko müssen nachfolgende Generationen tragen. Fair ist das nicht!
Zum Abschluss der Führung fahren wir mit dem Aufzug bis auf das Dach der Kohlenwäsche, von dem wir einen freien Rundblick über das gesamte Ruhrgebiet haben. Obwohl die Sicht heute nicht sehr klar ist, erkennen wir einen hohen Anteil an Grünflächen im Ruhrgebiet. Lt. Angaben des Regionalverbandes Ruhr sind 37,6 % der Fläche des Ruhrgebiets bebaut, 40,7 % werden landwirtschaftlich genutzt, der Waldanteil beträgt 17,6 % und 4,1 % entfallen auf Wasserflächen und sonstige Flächen. Mit knapp 2.100 Einwohnern/qkm ist die Bevölkerungsdichte relativ gering im Vergleich zu Metropolen, die i.d.R. 20.000 und mehr Einwohner/qkm haben.
Mit dem Ende der Führung geht unser Besuch auf 'Zeche Zollverein' noch nicht zu Ende. Wir haben nämlich für den Abend im Restaurant 'Casino Zollverein' reserviert, das sich auf dem Gelände des Weltkulturerbes 'Zeche Zollverein' in der ehemaligen Kompressorhalle befindet. Die Inneneinrichtung verbirgt keineswegs die Geschichte dieses Ortes. Die Industrierelikte sind im Gegenteil konsequent in die Innenarchitektur einbezogen. In Verbindung mit einer weit überdurchschnittlichen Qualität von Küche und Service ist das 'Casino Zollverein' eines der spektakulärsten Restaurants des Ruhrgebiets, in dem unser Trip in das Ruhrgebiet einen würdigen Abschluss findet. Link zur Webseite 'Casino Zollverein'
Anmerkungen zu strukturellen Problemen der Region im Kontext 'Zeche Zollverein'
Leuchter im Eingangsbereich des 'Casinos Zollverein' |
Herausragende Objekte der ehemaligen Industriestruktur verbindet heute eine touristische Themenstraße, die auf einer 'Route der Industriekultur' historisch bedeutende und touristisch attraktive Industriedenkmäler des Ruhrgebiets zugänglich macht. Die regionale 'Route der Industriekultur' des Ruhrgebiets ist mit der 'Europäischen Route der Industriekultur' ('European Route of Industrial Heritage') vernetzt, auf der 'Zeche Zollverein' einen exponierten 'Ankerpunkt' bildet. Menschen, die diese Route kraft ihrer Leistung möglich gemacht haben und auf dieser Route auch geopfert worden sind, erscheinen, wenn überhaupt, nur am Rande in unauffälligen Zeitdokumenten. Im Unterschied zu vermeintlichen 'Heroen der Industriealisierung', wie z.B. Haniel, Thyssen, Stinnes, Krupp, Hoesch oder Klöckner ist ihr Leben und ihr Leiden in diesem historischen Prozess zu unbedeutend oder zu wertlos, um Beachtung zu finden.
Das Denkmal dieser 'Kathedrale des Industriezeitalters' sollte natürlich vor allem Größe, Bedeutung und Macht der Industriellen feiern. Innerhalb dieser Industrieanlagen sind die Arbeitsabläufe ausschließlich von Effizienzprinzipien dominiert, gemessen in Tonnen oder Wagons pro Zeiteinheit. Humanität von Arbeitsbedingungen war dagegen keine relevante Größe. Die Arbeitsbedingungen der Kumpel blieben unter Tage wie über Tage brutal. Der frühzeitige Verschleiß von Bergarbeitern wurde hingenommen. Ersatz war nicht schwer zu beschaffen. Das Schicksal der Silikose ('Steinstaublunge') wurde immerhin als Berufskrankheit anerkannt, was aber der stark reduzierten Lebensqualität der Betroffenen kaum half und die Jahre verlorener Lebenserwartung nicht aufwiegen konnte. Den Profit strichen diejeinigen ein, die eine Produktion unter diesen Arbeitsbedingungen ermöglicht haben. Die Sklaven dieser Produktion waren dagegen nicht einmal auf dem Gelände des Schachts XII geduldet. Sie hatten nur außerhalb des Schachts XII Zugang zum Werksgelände und gelangten nur in Zügen oder unter Tage zum Schacht XII.
Aktuell bestehen noch 3 fördernde Steinkohlenbetriebe mit zusammen ca. 24.000 Mitarbeitern. Bis zum Jahr 2018 soll auch diese Förderung eingestellt sein. Insgesamt fielen nach dem 2. Weltkrieg dem umfassenden Strukturwandel im Ruhrgebiet ca. 500.000 Arbeitsplätze im Bergbau und in der Schwerindustrie zum Opfer. Auf jedem Arbeitsplatz befanden sich Menschen, die ihren Arbeitsplatz selbstverständlich nicht freiwillig hergegeben haben, sondern Opfer des Strukturwandel wurden, nachdem sich diese inzwischen hoch subventionierte Industrie als nicht mehr länger profitabal erwiesen hat. Den Wegfall von Arbeitsplätzen im primären Sektor (Rohstoffgewinnung) und sekundären Sektor (Rohstoffverarbeitung) sollen neue Arbeitsplätzen im tertiären Sektor (Dienstleistungen) kompensieren. In der Realität zählen die Arbeitslosenzahlen einiger Städte des Ruhrgebiets zu den höchsten der alten Bundesländer. Die desolate Haushaltslage dieser Städte trifft ebenso alle Bewohner des Ruhrgebiets wie die Migrantenproblematik, die bewußt in Kauf genommen worden ist, weil die Jugend der eigenen Bevölkerung nicht mehr für niedere Arbeiten in diesem sterbenden Industriezweig zu gewinnen war.
Zu vermeiden war der Strukturwandel nicht. Dass dieser jedoch mittels Subventionen und Fremdarbeitern verschleppt worden ist und darum zu spät und nicht hinreichend konsequent eingeleitet wurde, trifft als Vorwurf eine Politik, deren Agenda eher an kurz- bis mittelfristige Interessenlagen ausgerichtet ist und die immer dann versagt, wenn es um eine nachhaltige Gestaltung langfristiger Veränderungen geht. Bestes Beispiel für diese Behauptung sind in Anbetracht der demografischen Entwicklung in Deutschland die fehlenden prinzipiellen Maßnahmen zur Reformierung der sozialen Vorsorgesysteme. Im Verbund mit den Interessen der ohnehin bereits Priviligierten finden politische Aktivitäten nur in einem begrenzten Areal statt, das Kontrolle und Erhalt eigener Macht vorerst sichert, weil sich nur so eigene Interessen versorgen lassen. Der Markt kennt keine Gerechtigkeit. Finanzanlagen fließen dort hin, wo Profite realisiert werden können. Dass anschließend Altlasten und ihre Folgekosten sozialisiert werden, diktiert jedoch nicht der Markt, sondern ist Ergebnis von Politik. Wenn die Duisburger Familie Haniel auf dem besten Wege scheint, ihren in der Industrie angehäuften Reichtum zu einem guten Anteil wieder zu verlieren, weil sich die im Familienbesitz befindende Franz Haniel & Cie. GmbH, ein Konglomerat mit 800 Firmen, 58.000 Mitarbeitern und 27 Milliarden Euro Umsatz, im Niedergang befindet, ist das letztlich trotz aller politischer Steigbügelhalter ebenfalls ein Ergebnis des Strukturwandels, das fast schon wieder versöhnlich stimmt.
Anders jedoch als für die ehemaligen Werktätigen dürften Arbeitslosigkeit, Migrationsprobleme und Verarmung und die damit einhergehende menschliche Tragik als Konsequenzen des Strukturwandels keine relevanten Themen für die Mitglieder der Familie Haniel sein. Die Geschichte kennt kein Mitleid. Effekte dieser Veränderungsprozesse, die als unverschuldete individuelle Schicksalsschläge empfunden werden, sind volkswirtschaftlich eher eine unvermeidbare und vorübergehende Begleitmusik des Strukturwandels. Erhalten bleiben die als 'Ewigkeitskosten' bezeichneten unmittelbaren Folgekosten des Bergbaubetriebs, die an die 'RAG Stiftung' delegiert sind. Die Höhe dieser Kosten, die z.B. für die Bewirtschaftung von Grundwasserproblemen aufgebracht werden müssen, wird nach heutigen Preisen auf jährlich ca. 200 Millionen Euro veranschlagt. Die Finanzierung dieser Kosten bleibt ein Risiko mit Zukunft. Dieses Risiko müssen nachfolgende Generationen tragen. Fair ist das nicht!
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